Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria
científica
© 1989 by ISMPS e.V. © Internet-edição 1999 by ISMPS e.V. © 2006
nova edição by ISMPS e.V.
Todos os direitos reservados
»»» impressum -------------- »»» índice geral -------------- »»» www.brasil-europa.eu
No. 85 (2003: 5)
![]() |
||||||
Entidades promotoras Direção geral |
||||||
![]() |
||||||
Sitzung im Rathaus von Joanópolis © Foto: H. Hülskath, 2002 Archiv A.B.E.-I.S.M.P.S. |
COMMENDATIO ANIMAE IN SANTANA DO JANACRÉ
[Zusammenfassender Bericht]
Zuleika de Paula
Die Bezeichnung "Empfehlung der Seelen" (Commendatio animae) wird
auf Gruppen von Menschen übertragen, die sich während der Karzeit
versammeln und zu späten Stunden der Nacht auf die Straßen begeben,
um für die Seelen, die sich in der Hölle oder im Fegefeuer befinden
oder durch die Welten irren, zu beten und zu singen.
Die Seele jener Menschen, die nicht eines natürlichen Todes sterben,
sollen nämlich die Lebenden plagen. Deshalb scheint es notwendig,
für sie zu beten und stellvertretend zu büßen, damit sie in Frieden
ruhen können.
Die "Empfehler" von Seelen aus Santana do Jacaré erscheinen in
der Stadt mittwochs und freitags mit weißen Bettlaken umhüllt,
als ob sie Totenhemden trügen. Sie singen und beten an Kreuzungen,
vor Wegekreuzen und Kapellen. Sie vollziehen zwischen drei und
neun Stationen - es muß eine ungerade Zahl sein - und gehen schweigend
und mit gesenktem Haupt.
Zu Beginn und am Ende einer Station spielen sie Klapper und Stierhorn.
Sie beten für die Seelen derjenige, die ertrunken, verbrannt,
aufgehängt, gelyncht oder ermordet wurden, bei Unfällen starben
oder Selbstmord begangen haben.
Sie glauben, beim Gehen nicht nach hintern schauen zu dürfen,
denn sonst würden sie die Seelen sehen, die sie begleiten. Die
Menschen in den Häusern, die die Klappern und die Gesänge hören,
schließen die Türen und verharren in Stille oder im Gebet, bis
sich die Gruppe entfernt hat. Sie gehen davon aus, daß sie den
Zug der Seelen sehen würden, wenn sie der Gruppe bei ihrer Verrichtung
zuschauen würden.
Es ist üblich, daß sie den Pönitenten Essen und Trinken anbieten,
damit sie dann gestärkt ihre wandernden Empfehlungen fortsetzen
können.
Das Kantatorium ("cantoria") obliegt einem Solisten - einer Art
Führer -; die anderen, der ihm gehorchen, nehmen an dem Chor teil.
Die Empfehlung der Seelen kann auch andere Bezeichnungen erhalten,
wie Predigten der Seelen, die Seelen legen, Aufträge der Seelen,
"amenta" oder Lamentierung der Seelen. In der katholischen Kirche
bedeutet "amenta" das Gebet für einen Verstorbenen oder ein Almosen,
das den Geistlichen für das Gebet für die Seelen gegeben wird.
Dies ist die basale Struktur dieses Kulturphänomens. In seiner
Dynamik können allerdings weitere Einzelheiten und Variationen
erscheinen.
Zur Geschichte
Die Tradition wurde von den portugiesischen Kolonisten eingeführt
und geht auf mittelalterlicher Praktiken zurück. Rossini Tavares
de Lima verwies in seiner Monographie über das Thema auf die Erwähnung
von Teófilo Braga, wonach der älteste Hinweis auf diese Praxis
aus Coimbra des Jahres 1515 stammt. Ein Afonso Fernandes Barbus
aus Penafiel pflegte 1579 Seelen zu empfehlen: von Beruf Schmied,
soll er nach Viterbo die fromme Tradition erfunden haben, nachts
zum Klang eines Handglöckchens für die Seelen zu beten.
Dieser Brauch wird für das 17. Jahrhundert von Francisco Manoel
de Melo in seinem Werk "Fidalgo Aprendiz" bestätigt, in dem er
den Anfang des Gebetsaufrufs erwähnt: "Erinnere an die Seele,
die sich im Feuer befinden
"
Margot und Jorge Dias schließen aus ihren Studien in "A encomenda
das almas" (Porto: Imprensa Portuguesa, 1953), daß der Ursprung
dieser Sitte möglicherweise in einem öffentlichen Amt lag, das
es in Spanien bis in das 18. Jahrhundert hinein gab und in Santiago
de Compostela als "de nulidor" oder "coquin" bezeichnet wurde.
Der damit Beauftragte ging bei Anbruch der Nacht aus, um die Seelen
zu empfehlen, indem er ein Glöckchen spielte und um ein Vater
Unser und ein Ave Maria für diejenigen bat, die sich im Fegefeuer
befinden; dabei erinnerte er die Bürger auch daran, auf Brandherde
zu achten.
Diese Praxis soll populär geworden sein und bei diesem Vorgang
andere traditionelle Elemente inkorporiert haben; in ihrer Dynamik
soll sie sich bis in die heutige Zeit neu formiert und reformuliert
haben. Nach den Experten ist diese Praxis heute in Spanien und
im übrigen Europa ausgelöscht. In Portugal wurde sie zwar von
der Kirche abgeschafft, ist aber im Volk vom Norden bis zum Süden
des Landes verblieben.
Für weitere Einzelheiten sei auf das Lexikon für Folklore von
Luís da Câmara Cascudo verwiesen.
Portugal
Bereits vor Margo und Jorge Dias widmete sich Jaime Lopes Dias
der Untersuchung dieser Praxis und hob dabei hervor, daß sie in
Regionen der Beira Baixa, im Vale do Lobo, in Idanha und Nova
Portugal gepflegt wird.
Es handelt sich dabei um Frauen, die die Glockentürme von Kirchen
oder sonstige hohe Orte besteigen, um in den Nächten der Karzeit
zu singen und zu beten. Nach diesem Autor ist dies im ganzen Land
eine sehr verbreitete Tradition, die jedoch in Spanien und im
übrigen Europa unbekannt ist. Er weist auf ihre Pflege auf den
atlantischen Inseln und in Brasilien hin und erinnerte daran,
daß es in den Balkan-Ländern die Lamentation für die Toten gibt,
die allerdings aus Gesängen und Klagen bestehen, die einer besonderen
Seele gewidmet sind, so daß sie mit diesem Brauch nicht verglichen
werden können.
"Ich bitte darum, meine Brüder / Kinder des Hl. Josephs / beten
wir ein Vater Unser / für die Seelen, die noch stehen. // Ich
bitte darum, meine Brüder / hier in diesem Auditorium / laßt uns
ein Vater Unser beten / für die Seele des Fegefeuers."
Diese beiden vom Autor aufgeschriebenen Strophen seien hier erwähnt,
um mit den folgenden Daten verglichen zu werden.
1945 wies Luís Chaves in seinem Buch "Folclore religioso" auf
den Brauch "amentar as almas" hin, ein Totenkult, der vor Wegekreuzen
abgehalten wurde. Gruppen von Männern und Frauen gingen dabei
durch die Straßen, hielten an Kreuzungen, beteten und beklagten
weinend die Toten. Einer der Verse lautet: "Ich bitte darum, meine
Brüder / hier in diesem Raum / laßt uns ein Vater Unser beten
für die Seelen im Fegefeuer."
Es handelt demnach um einen analogen Text.
Die Studien in Portugal wurden von Augusto César Pires de Lima
und Alexandre Lima Carneiro vorangetrieben (Douro Litoral III-IV,
4. Reihe, Porto 1951).
Brasilien
Saint'Hilaire erwähnt in seinem Reisebericht, daß er in Minas
Gerais Aufzüge durch die Straßen erlebte, die er "Prozessionen
der Seelen" nannte. Als er sich in Vila do Príncipe zur Karzeit
befand, beobachtete er, daß dreimal in der Woche diese religiöse
Praktiken abgehalten wurden. Sie hatten zum Ziel, für die Rettung
der Seelen im Fegefeuer zu beten. Sie wurden in der Regel von
dem Geräusch einer Klapper angekündigt und wurden von Männern
mit guter Stimme gesungen. Saint'Hilaire beobachtete diese Prozessionen
auch in Itabira.
Eine der ältesten Beschreibungen ist die von Mello Morais Filho,
die ausdifferenzierte Elemente erwähnt. Er beschreibt Pönitenten
mit Röcken und Dornenkronen, die sich vor Kreuzen und Oratorien
geißelten. Der Aufzug wurde von Musikinstrumenten, vor allem Kontrabässen,
Geigen, Klappern und Glöckchen, begleitet. Es wurde als Sünde
angesehen, Fenster und Türen zu öffnen; man hatte aber sowieso
Angst davor, die Seelen zu sehen.
Pereira da Costa bestätigte zu Beginn des 20. Jahrhunderts das
Vorkommen dieses Brauchs auch in Pernambuco. Alceu Maynard de
Araújo beobachtete ihn in den fünfziger Jahren in Tatui sowie
in Rendeção da Serra im Staate São Paulo.
Rossini Tavares de Lima untersuchte diese Praxis mit einer Forschergruppe
in verschiedenen Orten der Staaten São Paulo und Minas Gerais:
Pirangi, Itaberá, Rio Branco, Lima, Novo Horizonte, São Manoel,
São Joaquim da Barra, Vargem Grande do Sul, Laranjal, Franca,
Pereiras, Santa Rosa do Viterbo und Ponte Nova.
Aus dem Jahre 1947 stammt die Monographie von José Nascimento
de Almeida Prado, in der diese Tradition der Karzeit ebenfalls
beschrieben wird. Die Daten decken sich mit denen, die bei der
Forschung in Santana do Jacaré erhoben wurden.
1966 erforschte Kilza Setti diese Tradition in Lindóia und Socorro.
Der veröffentlichte Text des Hauptthemas entspricht dem in Santana
do Jacaré.
Elias Xidieh publizierte 1972 eine Forschung, die in der Region
von Jardinópolis durchgeführt wurde. Hier erscheint der Brauch
unter der Bezeichnung "Devotion der Seelen" oder "Gesang der leidenden
Seelen". Einige Angaben aus dieser Forschung sind ganz unterschiedlich
zu denen, die aus dem jetzigen Forschungsprojekt stammen. So treten
in der Gruppe ein Viola-Spieler und eine Figur - der Schläger
- auf, der die Funktion hat, neben dem Singen auch mit einem Stock
die Hunde zu verscheuchen.
Unter der Bezeichnung "Pönitenten" oder "Speisung der Seelen"
wird dieser Brauch von Francisco Pereira da Silva als Akt persönlicher
Buße gedeutet. Der "Empfehler" ging nachts zum Friedhof und geißelte
sich während des Gebets. Als dieser Brauch kollektiv wurde, wurde
er nicht mehr auf den Friedhöfen abgehalten und erhielt musikalische
Begleitung von Klappern und Gesang. Dieser Autor erwähnt den Roman
Paracoera von Lauro Palhano, in dem beschrieben wird, wie in Salitre
(Bahia) am Aschermittwoch die Gläubigen zum Friedhof gingen und
dabei makabre Gesänge und den Benedictus anstimmten.
Im Norden und Nordosten weisen diese Praktiken Charakterisken
einer individuellen Übung mit Flagellationen auf, sie können aber
auch in der hier beschriebenen Art und Weise vorkommen. Dies ist
der Fall bei der von Carvalho Dada beschriebenen Tradition von
Sergipe, wo die Empfehlung der Seelen am Karfreitag abgehalten
wird.
Lilian Argentina übermittelte Daten aus Rio Grande do Sul, die
in einer Monographie von Paulo Roberto Pedroso der Musikfakultät
von Palestria, Porto Alegre, 1982 erschienen sind. Die Gruppe
nennt sich hier "terno" und wird von einem "Kaplan" angeführt.
Das einzige Instrument ist die Klapper. Das Ritual beginnt am
Friedhof oder vor einem Wegekreuz. Auch hier wird für die Seelen
im Fegefeuer und in der Wüste sowie für die verlorenen Seelen,
die mit der Klapper herbeigerufen werden, gebetet.
In Soledade konnte eine Erscheinungsweise dieser Tradition eingehend
beobachtet werden. Die Tür des Hauses, vor dem gebetet wird, bleibt
verschlossen, damit die Seelen keinen Einwohner mitnehmen. Nach
der Empfehlung lassen die Teilnehmer Kopfbedeckungen und Klappern
draußen und betreten das Haus.
Wie in Santana do Jacaré endet der Umzug auf einem Friedhof. Dieser
Tag heißt auch hier "entrega". Wenn sich verschiedene Gruppen
begegnen, dann kommt es zu einem Wettstreit zwischen den Anführern,
um festzustellen, wer effizienter beten kann. Der Verlierer wird
sich dann dem Sieger als Begleiter unterordnen.
Nach einem Informanten aus der Gemeinde Anhembi, der auch der
Folia des Heiligen Geistes angehört, wird diese Praxis vor allem
in ruralen Regionen gepflegt, und es werden dabei in der Regel
sieben Häuser besucht. Auf jeden Fall handelt es sich immer um
eine ungerade Zahl von Stationen. In der Karwoche wird von Aschenmittwoch
an jede Nacht gebetet. Der Beginn an einem Mittwoch von symbolischer
Bedeutung. Wenn man mit dieser Gebetsreihe begonnen hat, darf
sie nicht mehr unterbrochen werden. Früher wurden die Gruppen
nicht in den Häusern empfangen, heute dagegen werden sie nach
dem Gesang zu Speise und Trank eingeladen. Auch hier dürfen sie
nicht nach hinten schauen, und beim Vorbeiziehen der Gruppe werden
alle Türen und Fenster geschlossen. Der Anführer heißt hier Kaplan
oder Meister der Empfehlung. Früher soll keine Viola bei diesen
Praktiken verwendet worden sein, da jedoch der Informant als Mitglied
der Folia des Heiligen Geistes dieses Instrument beherrscht, hat
er sie hier eingeführt. Es handelt sich jedoch um eine Neuerung,
denn die Instrumente dieser Praxis sind auch hier traditionell
die Klapper und das Schwirrholz. Die Weitergabe der Gebete und
der Prkatiken erfolgt in mündlicher Überlieferung. Junge Leute
tendieren dazu, die Tradition abzulehnen. Selbst die Teilnehmer
tragen heute kein Leichentuch mehr. Die überlieferten Verse für
den Beginn und den Abschluß dieser regionalen Tradition sind den
Texten anderer untersuchter Erscheinungsweisen des Brauchs ähnlich.
Diese Daten vervollständigen die Angaben anderer Volkskundler.
Zu erwähnen sind z.B. die Ergebnisse der Forschungen von M. da
Glória Carvalho Tereza für die Gemeinden Cabo Verde, Alterosa
und Nova Rezende in Minas Gerais sowie Caconde in São Paulo. Auch
José Vieira da Silva übermittelte Daten aus Forschungen in einem
Sítio Piranguinha in Conselheiro Lafaiete, einer Stadt in Minas
Gerais.
Donald Pierson berichtete über das Ritual der sieben Stationen,
bei dem eine Gruppe in einer Prozession von einem Friedhof oder
einer Kapelle aus sieben Kreuze am Wegesrand besucht. Sie schreitet
schweigend und betet vor diesen Wegekreuzen. Diese Devotion ist
von der Empfehlung der Seelen zu unterscheiden, auch wenn sie
während der Karzeit stattfindet. Die Empfehlung wurde nach diesem
Autor nur von Männern durchgeführt, die zum Klang der Klapper
für die Seelen der Ertrunkenen beteten und dabei nicht nach hinten
schauen durften.
Maria Salete P. de Castro sammelte in Lençóis, Bahia, Informationen
über eine Bruderschaft von Frauen, deren Aufgabe das Beten eines
Vater Unsers für die Seelen war. Die Devotion heißt hier "Speisung
der Seelen", da sich die Seelen von Gebeten ernähren wie die Lebenden
von Speisen. Umhüllt von weißen Leichentüchern besuchen sie drei
oder fünf Kreuzungen am Montag, Mittwoch und Freitag und beten
dabei für die Ertrunkenen und die ohne Beichte Gestorbenen. Die
siebte Station ist dort in der Kirche in Anwesenheit des Priesters
und der Gemeinde. Dies ist die einzige Information über eine aktive
Teilnahme von Geistlichen an diesem traditionellen Brauch. Obwohl
nämlich die Commendatio animae eine Praxis von Katholiken ist,
wird sie vom Klerus nicht gern gesehen. Einige nehmen gegenüber
diesen Traditionen eine paternalistische Haltung der Duldung an,
andere versuchen, sie zu verbieten. Sie stellen ihre Haltung nicht
in Frage und erwägen nicht, ob sie nicht Ausdruck eines ethnozentrisch
bedingten Vorurteils ist. Sie vergessen, daß die katholisch geprägte
Kultur Brasiliens eher Volkskatholizismus als Ausdruck einer angeblichen
Hochkultur der Amtskirche ist (Lima & Andrade, 1983).
Diese intime und familiäre Umgangsform mit der Religion wurde
vor allem von Sérgio Buarque de Holanda behandelt, der auf die
auf das Mittelalter zurückgehenden Differenzen der Religionsausübung
hinweist. Für Carrato jedoch handelt es sich dabei schlicht um
den einfachen und natürlichen Glauben portugiesischer Art. Entgegen
einer komplexen und rigiden Struktur des Glaubens der Amtskirche
hätte das portugiesische Volk eine Religiosität entwickelt, die
eher veräußerlicht und gefühlsbetont ist. Dieses lusitanische
Erbe wurde von den Kolonien übernommen und durch den Einfluß anderer
Kulturströmungen gewandelt. Heute werden Untersuchungen über die
Ursachen dieser intimen, familiären Positionen gegenüber der Religion
vor allem von Julieta de Andrade durchgeführt.
Zum Ort der Beobachtungen
Die Gemeinde Santana do Jacaré befindet sich im Westen des Bundesstaates
Minas Gerais in der Quellregion mehrerer Flüsse. Sie grenzt an
die Gemeinden Campo Belo, Perdões, Cana Verde, Santo Antonio do
Amparo, Candeias und São Francisco de Paula. Die Stadt befindet
sich auf der linken Seite des Jacaré-Flusses. Verwaltungsmäßig
gehört sie dem Distrikt von Campo Belo an. Ihre Bevölkerung zählt
etwa 6000 Einwohner, von denen zirka 1200 in ländlichen Gebieten
leben. Die Gemeinde lebt von der Landwirtschaft und Viehzucht.
Sie baut Kaffee, Getreide und Tabak an. Die Verarbeitung landwirtschaftlicher
Erzeugnisse erfolgt in handwerklicher Art. Das Kulturleben der
Stadt beschränkt sich weitgehend auf eine Blasmusikkapelle, die
Lira São Geraldo. Alle Fernsehekanäle sind zu empfangen.
Die Gemeinde entstand aus einer kleinen Siedlung an der alten
Straße, die Ouro Preto, São João del Rei und Oliveira mit dem
Hinterland von Goiás verband. An dieser Stelle gab es eine Möglichkeit,
den Fluß zu überqueren, und wohl auch eine Raststelle. Der Ort
hieß damals Mato do Jacaré de Tamanduá, da die Region von Wald
bedeckt war, der damals der Gemeinde von Tamandaré gehörte. Die
ersten historischen Informationen gehen auf die Jahre 1750-59
zurück. Im ältesten Pfarrbuch ist verzeichnet, daß am 19. September
1787 der Kapitän Manoel Ferreira de Almeida und seine Frau Feliciana
Cardoso de Andrade der Kapelle ein Grundstück für die Gründung
der Siedlung gestiftet hatten. Zu dieser Zeit gab es bereits eine
Kapelle, die deren Bau 1750 begonnen und 1752 beendet wurde. Man
weiß wenig über die historischen Grundlagen. Vielleicht war ein
"Jangada" genannter Manoel Ferreira Carneiro - der Vater des Stifters
- derjenige, der die Siedlung initiierte.
Die Bezeichnung Santana do Jacaré geht auf das Jahr 1887 zurück,
als der Distrikt gegründet wurde und die hl. Anna als Schutzpatronin
erhielt. 1923 wurde der Name offiziell in Corredeiras umgewandelt,
was allerdings von der Bevölkerung nicht angenommen wurde. Am
9. September 1924 wurde der Ort per Gesetz erneut umbenannt. Als
Verwaltungsbezirk wurde er erst am 12. Dezember 1953 errichtet
und von der Gemeinde Campo Belo abgetrennt.
Es handelt sich um eine sehr kleine Stadt, deren einzige Attraktionen
zwei Plätze mit ihren Gärten sind. Die Kirchen sind der hl. Anna
und Unserer Frau des Rosenkranzes gewidmet. Beide sind Kolonialbauten,
die allerdings starke Veränderungen erfahren haben. Die Bebauungen
besteht aus Häusers der Kolonialzeit, einfachen Lehmhütten in
der "pau-a-pique"-Technik und wenigen aus Mörtel. Da sie in verschiedenen
Farben angestrichen sind, besitzt der Ort eine bunte und pittoreske
Erscheinung.
Der Friedhof befindet sich auf der Höhe eines Berges. In der Nähe
gibt es zwar die Kirche einer protestantischen Gruppe ("Assembleia
de Deus"), die Kulte während der Woche abhalten, wenn ein Pastor
in der Stadt ist. Die vorherrschende Konfession ist jedoch die
katholische. Es wurden keine Anzeichen von Rivalität festgestellt,
auch nicht bei der Realisierung der Praktiken der Empfehlung der
Seelen.
Die Angehörigen der höheren sozialen und okönomischen Schichten
leben in den tiefer gelegenen Teilen der Stadt in der Nähe der
beiden Plätze und ihrer Gärten. Je höher die Straßen steigen,
desto ärmlicher werden die Behausungen. So befindet sich der Friedhof
in einer sozialen und urbanen Grenze zur Welt der Ruralität.
Die Bevölkerung besteht vorwiegend aus Menschen aus einfachen
Verhältnissen, die im Kaffeeanbau der mächtigen Farmer arbeiten.
Sie stehen meist unter der Obhut eines Verwalters. Die Tabakproduktion
erfolgt nach traditionellen handwerklichen Methoden in Familiengruppen.
Diese Gemeinsamkeit führt zur Entstehung besonderer Charakteristika
in der Ausdrucks- und Sprechweise. Personen werden im allgemeinen
ohne Nennung von Familiennamen mit Anfügung des Berufes oder des
Vornamens der Eltern bezeichnet. Auch Straßen und Plätze werden
nach vorherrschenden Geschäften oder Gebäuden benannt. Vom Kirchturm
werden über Lautsprecher Ankündigungen und Musik ausgestrahlt.
Durch Glockengeläut wird mitgeteilt, ob jemand gestorben oder
ob ein Fest angesagt ist. Im Krankheitsfall wird der Apotheker
oder ein Beter gerufen, natürliche Heilmittel werden am meisten
verwendet.
Für die Kulturforschung sind die Reiterspiele der Cavalhadas zur
Karnevalszeit von besonderem Interesse. Sie werden auf einem weiten
Feld am Stadtrand durchgeführt. Im Januar werden die Folias de
Reis, im Mai das Fest der "alten Schwarzen", im August der "Reinado"
gefeiert. Beim volkstümlichen Fest von Unserer Frau von Aparecida
am 12. Oktober erfolgt das Ritual des "Fischens der Santa" am
Fluß.
Bei den Prozessionen der Karzeit erscheinen nur die "Figurados"
mit Darstellungen des Leidenswegs Christi an der Tür der Hauptkirche.
Zu dieser Zeit des Jahres werden die Empfehlungen der Seelen praktiziert,
wenn auch das ganze Jahr hindurch der Seelen gedacht wird. Montags
werden deshalb die Kirchen oft besucht, in denen Kerzen für die
Verstorbenen und für die Seelen angezündet, Almosen gestiftet
und Gedächtnismessen gefeiert werden. Die Volksreligiosität des
Ortes erhält ihre besondere Eigenart durch die Verehrung des Grabes
eines als wundertätig geltenden Vicente da Batista oder Vicentinho,
der zu Lebzeit nicht gewachsen war und nicht gehen konnte und
so in dem Ruf stand, stets als unschuldiges Kind gelebt zu haben.
Er starb im Alter von neununddreißig Jahren im Jahre 1972. Wegen
seines Leidens gilt er als im Leben geheiligt. Schwangere Frauen
widmen ihm die ersten Speise, die eine Diät einleiten soll, um
eine erfolgreiche Entbindung zu gewährleisten. Bei seinem Tod
soll er - der bis dahin stumm gewesen sein soll - den Namen seiner
Mutter ausgesprochen haben.
Drei Arten von Seelen-Devotionen sind in dieser Gemeinde zu unterscheiden.
Die erste bezieht sich auf den Verstorbenen im allgemeinen und
wird von der Kirche unterstützt. Die zweite betrifft den Volksglauben
über Vicentinho. Die dritte stellt die traditionelle Praxis der
Empfehlung der Seelen dar.
Der letzte Tag der Empfehlung der Seelen fällt auf einen Mittwoch,
der auch als Tag der Abgabe bezeichnet wird. Die Praktiken finden
am Friedhofstor ihren Abschluß. Der Begriff Abgabe bezieht sich
in diesem Fall auf die Vorstellung von einem erfüllten Dienst.
Er wird nicht nur bei der Empfehlung, sondern auch bei der Erfüllung
anderer Gelübde verwendet. Die Teilnehmer versammeln sich im Hause
des Verantworlichen. Sie sind in weiße Tücher gehüllt und tragen
Blumen und Kerzen. Zunächst ist das Zusammensein entspannt. Gegen
23 Uhr verlassen sie schweigend das Haus. Die Straßen sind in
der Regel verlassen und die Häuser verdunkelt. Wenn ein Anwohner
zufällig die Gruppe sieht, senkt er sofort den Kopf und entfernt
sich. Beim Gehen sind nur die Geräusche des Waldes und der Schritte
auf den nicht gepflasterten Wegen zu hören. Da Vollmond ist, ist
die ganze Stadt vom Licht des Mondes hell erleuchtet. An der ersten
Kreuzung halten die Teilnehmer inne und bilden einen Kreis. Der
Anführer weist die Übrigen darauf hin, daß sie von den guten Seelen
begleitet werden, und so bitten sie zu Beginn im Namen der Dreifaltigkeit
um Gesundheit, Liebe und Frieden. Nach einem Vater Unser wird
eine Rede gehalten, in der warnend darauf hingewiesen wird, daß
die Empfehlung kein Spiel sei und Respekt erfordere. Es wird darum
gebeten, daß sich alle, die sich vergnügen wollten, entfernen
sollten. Da es sich um den letzten Tag der Empfehlung handelt,
wird betont, daß man sie sehnsuchtsvoll in Erinnerung behalten
werde. Der Wunsch wird ausgesprochen, man möge sich im nächsten
Jahr wieder lebend treffen.
Nach dem Gebet des Ave Maria und einer Schweige-Minute ertönt
die Matraca und alle beginnen, sehr langsam den Ruf-Gesang der
Seelen zu singen: "Achte, achte Sünder
". Während des Gesanges
wird ein Vater Unser für jede der drei Arten von Seelen gebetet.
Anschließend betet man drei Vater Unser für die erwähnten Seelen.
Nach dem abschließenden Ave Maria benennt der Anführer denjenigen,
der den Gesang intoniert, der von den anderen im Chor beantwortet
wird. Schließlich ertönt erneut die Matraca. Der Anführer bittet
die Seelen darum, sie zu begleiten. Sie lösen den Kreis auf und
gehen weiter, ohne zurückzublicken. Die Häuser mit noch brennenden
Lichtern werden verdunkelt. Sobald Hundegebell zu hören ist, beschleunigen
sie die Schritte und beten dabei mehrfach das Credo. Diese Worte
sollen auch die Macht haben, den Werwolf zu vertreiben. Alle ziehen
sich aus Angst enger zusammen. Auch wenn dies niemand zugibt,
ist die Furcht eindeutig zu spüren. Das gleiche Ritual wird an
denselben Kreuzungen oder Wegkreuzen jährlich wiederholt. Dabei
wird stets an acht Stationen gehalten, der neunte Stopp erfolgt
am Friedhofstor. Hier wird ausdrücklich auch für kranke Kinder,
für Teilnehmer an den Congadas und für eine lange Liste von bereits
Verstorbenen gebetet. Man weist die Seelen darauf hin, daß sie
an dem Ort abgegeben werden, zu dem sie gehören. Die Seelen werden
darum gebeten, die Teilnehmer nicht weiter zu begleiten, aber
zu kommen, um den Menschen in Notfällen zu helfen. Zuletzt kann
jeder Teilnehmer eine persönliche Bitte schweigend formulieren.
Nach einem stillen Gebet werden Kerzen angezündet und auf den
Boden vor dem Tor des Friedhofs gestellt. Die Blumen werden über
die Mauer geworfen und der Abschiedsgesang angestimmt. Der Anführer
verspricht, im nächsten Jahr zurückzukommen, da er unter dem Schutz
der Seelen steht. Man singt den Benedictus mit Matraca-Begleitung.
Erst dann ziehen die Teilnehmer die Totenhemden aus und zerstreuen
sich.
Reflexionen über Forschungsergebnisse
Im Verlaufe der Untersuchungen mußten bisherige historische und
hermeneutische Erklärungsversuche revidiert und Analysen des Rituals
der Empfehlung der Seelen vorgenommen werden. Das geschichtliche
Faktum, daß diese Traditionen von den portugiesischen Kolonisten
eingeführt worden sind, ist nicht in Frage zu stellen. Diese geschichtliche
Kontinuität wird nicht nur durch die in der Fachliteratur erwähnten
und besprochenen Daten, sondern auf Grund der Permanenz von Texten,
Gesängen und rituellen Elementen in Europa und in den untersuchten
Regionen Brasiliens bestätigt.
Die Sichtweise eines Gilberto Freire, der auf der Grundlage von
kulturgeschichtlichen Arbeiten portugiesischer Forscher wie C.
Michaelis und J. Leite von einer tiefgreifenden Romanisierung
der Iberischen Halbinsel in der Spätantike ausgeht, zwingt die
kulturhistorische Forschung zu eine näheren Auseinandersetzung
mit der antiken Mythologie, um mögliche Ursprünge dieser rituellen
Formen der Interaktion zwischen Lebenden und Toten aufzudecken.
Aus den gesichteten Quellen wurden einige Elemente antiker Kultur
ausgewählt, um in deren Licht die bestehenden Vorstellungen und
Praktiken in der Gegenwart zu interpretieren. So konnten Erwähnungen
aus historischen Quellen und Beobachtungen der aktuellen rituellen
Handlungen miteineinander in Beziehung gesetzt werden, was z.B.
den Seelenkult im allgemeinen, die Symbolik des Kreises und der
Kreuzung, die Abhaltung von Gelübden, spezifische Gebetsarten,
Friedhöfe, Rechtsvorstellungen in bezug auf den Himmel, den Brauch,
nicht zurückzublicken, das Tragen eines Totenhemdes, die Kerze,
den Werwolf, den Hahnengesang und auch die Musikinstrumente betrifft.
In bezug auf den Seelen-Kult konnten in Santana do Jacaré drei
Arten von Devotion der Seelen beobachtet werden. Die erste Art
ist gleichsam universell, da sie von der Kirche gestützt wird,
die seit wohl dem 2. Jahrhundert Totenmessen feiert und Gebete
für die Toten kennt. Diese Riten fanden im Volk ihre Auswirkungen.
Auf diesen theologisch begründeten Grundvorstellungen basiert
auch die Verpflichtung, Gelübde als Danksagung für empfangene
Wohltaten zu erfüllen.
Der Seelen-Kult in der untersuchten Region besitzt einen Repräsentanten,
nämlich den bereits erwähnten Vicente da Batista oder Vicentinho.
Der Beter tritt mit ihm in einen familiär geprägten Kontakt und
bespricht die Art und Weise der Danksagung in Form eines Rituals.
Es stellte sich die Frage, wie die an dem Brauch der Empfehlung
der Seelen nicht Teilnehmenden diesen wahrnehmen und akzeptieren.
Unter den jungen Leuten gibt es unterschiedliche Meinungen. Es
ist jedoch zu spüren, daß der Glaube daran selbst bei den Einwohnern
der kleinen Gemeinde nachläßt. Die Assimilierung neuer Weltsichten
und Lebensformen schreitet unaufhaltsam fort. Die älteren Menschen
betrachten allerdings diese Praktiken als selbstverständlichen
Bestandteil ihrer religiösen und kulturellen Welt. Sie sind absolut
davon überzeugt, daß alle Menschen, die etwa durch Ertrinken,
bei Unfällen oder durch Mord sterben, keine Zeit hatten, ihre
Sünden zu bereuen, so daß die Seelen vieler von ihnen umherziehen
und die Lebenden plagen, damit ihre Schulden beglichen werden.
Mit der Teilnahme an dem Ritual der Empfehlung der Seelen versucht
man also gleichsam solidarisch und zum eigenen Schutz Frieden
für diese verzweifelte Seelen zu schaffen, die letztlich nur die
ewige Ruhe suchen. Aus diesem Grund ist die Durchführung des Rituals
auch ein Akt der Nächstenliebe. Diese gründet in der Auffassung,
daß der Mensch aus Körper und Seele besteht und und beim Tod nur
der Körper stribt. Die Seele verfolgt weiter ihren Weg. Wenn sie
gut war, geht sie direkt in den Himmel, im anderen Fall in die
Hölle. Diejenigen aber, die im Fegefeuer ausharren, haben noch
eine Chance, errettet zu werden.
Diese Auffassung vom Menschen hängt nach den Ergebnissen der Befragung
mit der Vorstellung zusammen, daß die Seele mit der Luft zu vergleichen
ist. Sie ist eine Art Atem, der den Körper als Materie durchzieht
und belebt. Aus diesem Grund gehören auch die Danksagungen für
die Luft und für den Atem zu den üblichsten gebetsähnlichen Kurzformeln,
die alltäglich gesprochen werden.
Die Überzeugung, daß die Seele den Körper nach dem Tod verläßt,
hing stets mit den Geheimnissen zusammen, die den Menschen seit
altersher mit Sorgen erfüllten. Die Geschichte der damit zusammenhängen
Ansichten ist je nach Zeit und Kultur unterschiedlich. Einige
Autoren - wie Marcineau - gehen davon aus, daß die Begräbnisriten
grundsätzlich Praktiken waren, um den Schatten des Toten endgültig
zu beseitigen und den Vampir auszulöschen. Kommemorationen, Feste
und Riten, die man kaum noch wahrnimmt, gehen auf den Ursprung
des Menschen zurück. Durch Imitation gab der Mensch seine Glaubensinhalte
und seine Rituale den folgenden Generationen weiter. Im Verlaufe
der Jahre veränderten sie sich durch Aneignung neuer Bilder und
Vorstellungen. So können die heutigen Erscheinungsweisen dieser
Rituale äußerlich von den alten differieren, in ihren Grundlagen
sind sie jedoch dieselben.
[...]
Die Kulturforscher verweisen darauf, daß das Umhergehen im Kreis
wahrscheinlich auf frühgeschichtliche Zeit zurückgeht. Der Kreis
erscheint in den ältesten bekannten Ritualen verschiedenster Kulturen.
Prozessionen, Tänze und Exorzismen erfolgen kreisförmig um etwas
herum. Arthur Ramus verwies besonders auf das Umbulatio und das
kreisförmige Umhergehen im Mittelalter. Nach der volkskundlichen
Tradition in der Nachfolge Saintyves gilt das Kreisen als Schaffung
eines religiös-magischen Geistes. Dementsprechend hat die Mehrheit
der Kreistänze ihren Ursprung in Ritualen und Gesängen, die mit
Magie zusammenhängen. In den verschiedensten Religionen und Völkern
finden wir das Symbol des Kreisens - um das Heiligen Grab in Jerusalem,
um Buddha in Japan, um die Hindu-Heiligen in Indien, um die Kaaba
in Mekka, bei der Pradaxima Indiens und um sakrale Gegenstände
bei den Schotten. Die kreisenden Winde sollen nach dem Volksglauben
- so in Portugal - von leidenden Seelen verursacht werden, die
sich nicht zum Jenseits begeben können und in dieser Weise an
den Kreuzungen verweilen.
Was der symbolischen Gehalt von Kreuzungen anbelangt, so werden
an ihnen Gesänge und Gebete bei den Empfehlungen vollzogen. Nach
den Informanten liegt die Bedeutung der Kreuzungen darin, daß
sie kreuzförmig sind und in alle Richtungen zeigen. Die Vorstellung,
Kreuzungen seien magisch beladene Orte, wurde von den iberischen
Siedlern eingeführt. Câmara Cascudo verwies darauf, daß es diese
Idee bei den Indianern nicht gegeben hat und die Afrikaner sie
bereits antrafen, als sie nach Brasilien kamen. Als Quelle zitierte
er Gil Vicente (Auto das fadas, 1511), wonach eine Hexe (Genebra)
aussagte, daß sie zu Nachtstunden auf Kreuzungen umherging, wenn
die guten Seelen bereits schliefen. Carolina Michaelis hob die
"balborinhos" genannten Windformationen hervor, in denen phantasmagorische
Erscheinungen gesehen werden. Kreuzungen sind Orte, die seit der
Antike für die Versammlung von Geistern in der Nacht sowie für
die Darbringung bösartiger Werke als geeignet angesehen wurden.
Sie standen unter der Obhut von Göttern, die dem Quadrivium subsumiert
waren und von denen Hekate die bekannteste war, die mit den leidenden
Seelen erschien. An Orten, in denen sich Wege kreuzten, hatten
auch die Laren ihre Repräsentanten, nämlich die Compitalen. Auch
die Römer feierten für sie ein Fest, das unter gleicher Bezeichnung
bekannt war und begrifflich auf Kreuzungen hindeutete.
Die Teilnahme an einer Empfehlung der Seelen ist ein devotionaler
Akt. Sie kann aber auch eine Art sein, um ein Gelübde zu erfüllen.
In diesem Fall setzt man eine gewisse Zahl von Jahren fest (zB.
sieben), während der man das Ritual begleitet. Hier erscheint
wiederum ein ungerade Zahl mit symbolischen Konnotationen. Die
Art und Weise, wie der Pönitent eine erhaltene Gnade "zurückbezahlt",
ist unterschiedlich. Sie kann z.B. darin bestehen, daß er ein
Objekt einer Kirche schenkt (Ex-voto). Im Fall der Empfehlung
der Seelen handelt es sich um Blumen und Kerzen, die vor dem Tor
des Friedhofs am letzten Tag hinterlegt werden. Sie dienen der
Erfüllung der Versprechungen und auch dazu, die Seelen zu besänftigen.
Es ist daran zu erinnern, daß die Darbringung von Ex-votos zu
den ältesten Praktiken der Religionen gehört. Die Bibel erwähnt
den Todá, die Offerte, der nach langen Seefahrten oder Reisen
durch die Wüste, nach einer Erkrankung oder nach Erlangung der
Freiheit dargebracht wurde. Bei den Römern gab es die Donaria,
Geschenke, die den Göttern als Dank für erhaltene Gunsterweisungen
offeriert wurden. Die Objekte hatten die Bezeichnung "ex voto"
eingraviert, was bis heute noch in der Volkskultur gebräuchlich
ist. Die Gegenstände, die heute noch in den Kirchen, an Kreuzen
und auf Friedhöfen hinterlassen werden, können aus dieser Tradition
heraus auch dieser Bezeichnung subsumiert werden.
Unter den Gebete gibt es zwei, die bei allen Empfehlungen gesprochen
oder gesungen werden: Vater Unser und Ave Maria. Beide gehören
zu den ersten Gebeten, die die Menschen in christlichen Regionen
lernen. In der Kolonialzeit soll sich die Erziehung zuweilen auf
die Erlernung dieser Gebete beschränkt haben. Die Instruktion
des Erzbistums Bahia von 1707, die unter dem Erzbischof Sebastião
Monteiro Vide vor allem für den Unterricht der Sklaven herausgegeben
wurde, sah das Erlernen des Glaubensinhaltes durch Fragen und
Antworten vor und erläuterte das Vater Unser und das Ave Maria
besonders als Formen des Bittens. In dieser Instruktion werden
auch die Seelen behandelt. Auf die Frage, wohin Jesus nach seinem
Tod ging, wird geantwortet, er sei in die Unterwelt gegangen,
um die guten Seelen zu holen. Auf die Frage, was mit den Seelen
schlechten Herzens passiert, wird geantwortet, sie gingen in die
Hölle und blieben dort im ewigen Feuer.
Hinsichtlich des symbolischen Charakters des Friehofs beim letzten
Akt der Empfehlungen der Seelen ist hervorzuheben, daß das Totenfeld
von altersher als der geeignete Ort für den Seelenkult angesehen
wurde. Kultur- und Religionsforscher haben auf die Bedeutung von
Gräbern in verschiedenen religiösen und kulturellen Kontexten
hingewiesen.
(...)
Die Christen bewahrten über die Jahrhunderte die Tradition, für
ihre Toten zu sorgen. Die Friedhöfe gelten als geheiligte Orte.
Auf ihnen durften keine Körper begraben werden, denen das Recht
einer kirchlicher Bestattung nicht zukam, wie z.B. Selbstmördern.
Im Mittelalter war es ein Privileg, in den Kirchen begraben zu
werden, ein Brauch, der in der Kolonialzeit Brasiliens verbreitet
war. Die Bestattung auf Friedhöfen wurde durch königlichem Erlaß
von 1801 angeordnet.
Als Folge dieser alten Tradition ist die Praxis anzusehen, bei
heutigen Empfehlungen der Seelen am Tor der Friedhöfe Blumen und
grüne Zweige zu hinterlassen.
Das Recht, in den Himmel einzutreten, wird u.a. den Seelen der
Selbstmörder verwehrt. So erhalten sie während der Empfehlung
die meisten Gebete. Durch den unreflektierten Akt verlieren die
Selbstmörder das Recht auf Genugtuung und ihre Seelen bleiben
in der Schattenwelt. Daraus läßt sich schließen, daß Seelen, die
zurückkehren, entweder von Menschen stammen, die Opfer eines Verbrechens
waren oder Selbsmord begangen hatten. Die Seele eines Ermordeten
verlangt nach Rache. Die Seele eines Ertrunkenen oder eine, die
ohne Grab geblieb ist, ist bedürftig und plagt die Menschen nur,
weil sie Hilfe benötigt, um in den Himmel zu kommen. Seit den
alten Römern waren sie besonders gefürchtet, wenn sie hilflos
gelassen wurden. Auch in Indien werden an Orten, an denen Morde
begangen wurden, kleine Heiligtümer errichtet (Pudans). Sie entsprechen
offenbar unseren Kreuzen am Wegesrand, an denen auch die Gruppen
der Empfehlungen singen und beten. In unterschiedlichen Kulturen
gibt es besondere Gebete für die Ertrunkenen oder die vom Blitz
Getroffenen, da sie keine Zeit hatten, sich innerlich vorzubereiten.
Was den Brauch angeht, nicht zurück zu blicken, so ist er bei
allen bekannten Erscheinungsweisen der Empfehlung der Seelen anzutreffen.
Er wurde ebenfalls von den ersten Siedlern eingeführt, besteht
aber nicht nur bei diesem Ritual. Bei magischen Praktiken, bei
Segnungen und sympatethischen Handlungen soll man nicht den ins
Wasser oder auf Kreuzugen über die Schulter geworfenen Objekten
nachschauen. Câmara Cascudo verwies auf die biblische Stelle (Gn
19,28), in der nach der Zerstörung von Sodoma und Gomorra den
Geretteten befohlen wurde, nicht nach hinten zu schauen. Die Frau
von Lot wurde wegen der Mißachtung eines solchen Gebotes in eine
Salzsäule verwandelt.
Auch in Rom sollte bei einer Opferung an einer Kreuzung nicht
zurückgeschaut werden. Auf den Brauch bei den Lemurien wurde bereits
hingewiesen.
Die Überzeugung, daß derjenige, der bei der Empfehlung nach hinten
schaut, die Seelen sieht, ist bereits aus dem Mittelalter bekannt.
Diese phantasmagorische Prozession von Schatten war in Spanien,
Portugal und anderen Ländern Europas bekannt. Teófilo Braga verwies
auf die Totenprozessionen, die für das Landvolk furchteinflößend
waren. Man sah sie an verlassenen Orten, auf Kreuzungen und Friedhöfen.
An ihnen nahmen Gestalten mit Kerzen teil, die bei näherer Betrachtung
wie menschliche Skelette aussahen. Die Narrativen erzählen von
unzähligen solchen furchterregenden Prozessionen und Seelenversammlungen
an Glockentürmen der Kirchen. Es bestand der Glaube, daß immer,
wenn zu fortgeschrittener Stunden der Nacht Türme und Kirchen
in sonderbarem Licht erleuchteten, dieses von einer Messe ausstrahlte,
die von einem Priester mir einem Totenkopf zelebriert wird und
an der als Gläubige Geister und Phantasmen teilnehmen. Solche
Feiern werden in Brasilien und in Portugal als Seelenmesse bezeichnet.
In Spanien heißt sie entsprechend "misa de las animas". Hierzu
gibt es unter dem Begriff "estatinga" oder "estantinga" eine aufschlußreiche
Arbeit von Carolina Michaelis de Vasconcelos, die 1899 in Lissabon
erschienen ist. Im Lexikon der Spanischen Akademie erscheint der
Begriff als "estantigua" und wird als nächtliche Vision oder Phantasma
erläutert. In Galizien erscheint dieser Begriff als "campanha"
oder "hueste". Er deutet auf Prozessionen von Hexen hin, die den
Weg mit Knochen von Toten beleuchten. Diese phantastischen Aufzüge
erscheinen auf Friedhöfen, in Kirchen, Olivenhainen und Pinienwäldern
vor allem zur Vigil des Totensonntags, wenn die Manes zurück auf
die Erde kommen. Diese werden als hochgewachsene, magere, weiß
gekleidete Gestalten beschrieben. Unter ihnen befindet sich auch
ein Lebender, der deren Schicksal sieben Jahre lang erleiden muß.
Derjenige, der diese Gestalten vor seinem Fenster sieht, ist verloren.
Aus dieser Tradition könnte die Observanz stammen, bei den Empfehlungen
der Seelen kein Fenster zu öffnen.
Es gibt auch Erscheinungen von Seelen während des Tages, nämlich
beim Wirbeln von Wind an Kreuzungen. Dabei soll man sich bekreuzigen
und den Namen Jesu aussprechen. Diese Wirbelwinde werden in Portugal
nicht nur "balborinhos", sondern auch "avejão" oder "fogachos"
genannt. Nach Michaelis handelt es sich dabei ebenfalls um die
Seelen der Sünder, die weder in den Himmel eintreten dürfen und
noch im Fegefeuer sind und demnach zwischen allen Welten umherirren
müssen, bis sie eine Messe erhalten. Hier ist demnach wiederum
das Fortbestehen von Vorstellungen festzustellen, die auf die
Larven und Lemuren der Antike zurückweisen.
Zu erwähnen ist auch das Tragen von Totenhemden als eine konstante
Erscheinung der Empfehlungen der Seelen. Nach den Informanten
dient es als Zeichen. Wer den so gekleideten Menschen begegnet,
weiß sofort, daß es sich um einen Büßer handelt. Darüberhinaus
ist dies bereits ein traditioneller Brauch, der nicht mehr hinterfragt
wird. Die Totenhemden dieser Praktiken wurden bereits mit der
Kleidung der sogenannten Farricocos verglichen, jener Kapuzen
tragenden, umhüllten Gestalten der Prozessionen der Karwoche,
die in einigen Orten den Tod versinnbildlichen.
Bei der Erfüllung ihrer Plichten tragen übrigens auch die muslimischen
Pilger ein besonderes Kleid, das "ihram" genannt wird und aus
zwei Teilen von weißem Wollstoff besteht. Auch hier scheint diese
Art der Kleidung zeichenhaft zu zeigen, daß der Betreffende sich
in einem Zustand der Weltabgewandheit befindet bzw. sich von der
Welt entfernt hat.
Das Totenhemd in christlichen Bräuchen geht zunächst auf jüdische
Kulturüberlieferung zurück - man denke lediglich an das Tuch,
in dem Jesu begraben wurde. In den Praktiken der Empfehlung der
Seelen erscheint das Totenhemd als Zeichen der Pönitenz und identifiziert
den Gläubigen als jemanden, der für die guten Sitten betet. Es
findet sich auch in anderen Kontexten. So versprechen Gläubige
von Anhembi (São Paulo), die ein Gelübde an den Heiligen Geist
abgelegt haben, ein Totenhemd selbst zu besticken. Dieses Tuch
wird dann bei der eigenen Bestattung getragen.
Ein bedeutendes Element des Rituals ist die Kerze, die bei der
untersuchten Erscheinungsweise der Tradition am letzten Tage erscheint,
wenn die Zeremonie der "Abgabe und Weitergabe" am Tor des Friedhofs
durchgeführt wird. Ihre Bedeutung liegt zunächst in die Symbolik
des Lichts, die in alten jüdischen Vorstellungen begründet ist.
Die Flamme erhebt sich und erinnert darüber hinaus an die Seele,
an die Thora und an das ewige Leben der bereits Verstorbenen.
Nach kirchengeschichtlichen Untersuchungen soll die Kerze von
den Christen zunächst bei Gräbern der Märtyrer verwendet worden
sein. Einige datieren ihre Einführung im christlichen Kult auf
das Jahr 370. Im Mittelalter wurde eine Exkommukation mit dem
Löschen von Kerzen besiegelt, wodurch versinnbildlicht wurde,
daß die Seele der Finsternis überlassen war. Bis heute spielt
die Kerze eine wichtige Rolle bei allen mit dem Tod zusammenhängenden
Handlungen. So gibt man einem Sterbenden eine Kerze, damit ihm
im Jenseits kein Licht fehlt und damit seine Seele aufsteigen
kann.
Bei einer kulturwissenschaftlichen Studie muß besonders der Vorstellung
des Werwolfes Aufmerksamket geschenkt werden. Im untersuchten
Ort glaubt man, diese Gestalt erscheine zur Karzeit und in Vollmond-Nächten.
Dieser Mythos, über den es eine breite und differenzierte Literatur
gibt, ist weltweit verbreitet. In ihren vielfältigen Erscheinungsweisen
ist diese Gestalt stets mit Vorstellungen von leidenden Seelen
verbunden und gibt Anlaß zu größten Befürchtungen. Bei der Empfehlung
der Seelen kann die Permanenz dieser Vorstellungen noch heute
festgestellt werden. Wenn die Gläubigen spät in der Nacht ihre
Devotion verrichten, beschleunigen sie ihren Gang, wenn sie das
Bellen eines Hundes hören. Dabei beten sie unaufhörlich die Formel
"Ich glaube an Gottvater". Damit kürzen sie das Glaubensbekenntnis
ab, das nach überlieferter Meinung vieler viel effizienter wäre,
wenn er rückwärts - d.h. von den letzten zu den ersten Glaubenssätzen
- gebetet werden würde.
Die Bezüge des Mythos zur Karzeit, zum Vollmond und zu den leidenden
Seelen ist auch in anderen Regionen festzustellen. In Amazonien
gibt es die sogenannten "matintapereras", die auch Seelen darstellen,
die ihr Schicksal wegen gravierender Sünden erleiden. Auch der
Werwolf bezahlte mit seinem Schicksal seine Schulden.
Der Mittwoch und der Freitag der Karwoche sind die am meisten
gefürchteten Tage, da sie auch Vollmondtage sind. Da sich die
beweglichen Feste des Christentums nach dem Osterfest richten,
und da Jesus Christus am ersten Vollmond-Sonntag nach dem Frühlingsbeginn
der nördlichen Hemisphäre auferstanden ist, ergeben sich diese
Beziehungen zum Mondjahr. Auf Grund der Mondtabelle von Meton
(500 v.Chr.) wurde der Beginn des christlichen Frühlings beim
Konzil von Nicea auf den 21. März gelegt.
Der Mythos bezieht sich aber nicht nur auf die Vorstellung von
der leidenden Seele, sondern auch auf Menschen, die ein solches
Schicksal in diesem Leben vollziehen müssen. Nach Leite Vasconcelos
gibt es eine Beziehung zwischen Fatum und dem Glauben an Seelenwanderung
bzw. Metempsychose, was nach Herodot in Ägypten, Indien und Griechenland
verbreitet war. Die Grundannahme ist es, daß die Seele aus dem
Körper in den Leib eines Tieres wandelt, von wo sie nach einer
bestimmten Zeit (3000-Zyklen) in die menschliche Form zurückkehrt.
Der Hahnengesang spielt bei den Empfehlungen des Seelen eine bedeutende
Rolle. Nach den Informanten soll er signalisieren, daß das Ritual
abgeschlossen werden soll, da der Tag bereits anbricht. Allerdings
weist diese Deutung nur auf eines der vielen Elemente des mit
dem Hahnengesang verbundenen symbolischen Komplexes hin. Auch
diese Vorstellungen kamen durch die iberischen Siedler nach Amerika.
Wie Leite de Vasconcelos erläuterte, soll in Portugal die Vorstellung
herrschen, daß der Teufel flieht, wenn er den Hahnengesang zu
Mitternacht vernimmt, durch den die bösen Geister vertrieben werden.
Phantasmen und auch Werwölfe irren nur in der Zeit vor dem ersten
Hahnengesang umher.
Die Musik spielt als Organisationsprinzip bei den Ritualen der
Empfehlung der Seelen eine zentrale Rolle. Der Gesang dient der
Verbrüderung der Teilnehmer, der Herstellung des Gemeinschaftsgefühls,
der seelischen Vereinigung und trägt sogar ökumenische Züge. Nach
dem Volkskundler Rossini Tavares de Lima weisen die bei diesen
Praktiken gesungenen Gesängen Tendenz zu mehrstimmigen Bildungen
auf. Sie verweisen auf einen alten Fundus von europäischem bzw.
euro-asiatischem Musikstil. Diesem archaischen Stil seien manche
Erscheinungen volkstümlichen Singens zuzuschreiben, wie z.B. das
Falsett, das Tremolieren und Pulsieren mit der Stimme, bestimmte
Arten der Gesichtsverzerrung und die individuelle Narrativität
beim Singen.
Die Gesänge, die heute bei den Empfehlungen der Seelen intoniert
werden, werden - mit Ausnahme des gesungenen Rufes "Achte, achte
"
- erst nach dem Gebet von drei Vater Unser für die bedürftigen
Seelen vorgetragen. Einige von diesen Gesängen sind katholischen
Kirchenliedern entnommen, andere stammen sogar aus dem Volksliedrepertoire
einschließlich dem der Kreislieder für Kinder. Auch evangelische
Kirchenlieder werden neuerdings assimiliert und angepaßt. Diese
Aneignung von Elementen sich immer mehr ausbreitender neuer Religionsformen
in den traditionellen Praktiken katholischer Herkunft erscheint
als besonders bedeutsam. Nicht das Ritual selbst wird damit in
Frage gestellt, sondern es werden lediglich geeignet erscheinende
Gesänge übernommen.
Allerdings gehört das Ritual der Empfehlung zu den Kulturphänomenen,
für die die Teilnehmer keinen neuen Gesang schaffen. Es ist grundsätzlich
der Tradition verpflichtet. Diese Tradition hat Eigenarten des
Sakralen, wozu auch die Anonymität und die kollektive, nicht hinterfragte
Akzeptanz beitragen, und wird jährlich zur Karzeit verlebendigt.
Aus dem alten Repertoire ist vor allem auf die Pflege der "excelenças"
bzw. "incelenças" hinzuweisen. Es handelt sich um eine Reihe von
zwölf Gesängen, von denen allerdings nur noch drei in Gebrauch
sind. Die Strophen werden jeweils dreimal wiederholt: "Eine incelença
meines Herrn Jesu greift wieder und wieder in meine Brust; diese
Seele tritt in den Himmel, ich kann sie nicht begleiten."
Vorherrschend ist die Vortragspraxis von Solo und Chor. Der Ruf
"Achte, achte
" wird stets von dem Leiter bzw. von den sogenannten
Zieher ("tirador") angestimmt. Er bestimmt, wer bei den anderen
Gesängen die Solo-Partien singen soll.
Die Musik dient in erster Linie der Vermittlung zwischen Lebenden,
Heiligen und leidenden Seelen.
Die einzigen heute gebrauchten Instrumente sind die Klappern (Matraca)
und der Berra-Boi. Nach historischen volkskundlichen Studien -
wie der von Mello Moraes- wurden in der Vergangenheit andere Instrumente
verwendet, etwa sogar ein Cello. Diese Praxis bezog sich wohl
aber nicht auf rurale Gegenden. Alle Feldforschungen sprechen
lediglich von Klappern und - nach Belieben - auch vom Berra-Boi.
In Anhembi bestätigte man allerdings den Gebrauch der Viola, was
nicht nachgeprüft werden konnte.
Fest steht, daß die Matraca bei den Empfehlungen von altersher
in Gebrauch war. Dieses Instrument wurde im Rahmen des akkulturativen
Prozesses von den Europäern übernommen. Es handelt sich um einen
Holzbrett von ungefähr 35 Zentimetern Länge und 25 Zentimetern
Breite, an dem ein Metallgriff befestigt ist, der beim Drehen
des Instruments gegen das Brett schlägt und Geräusche produziert.
Es wurde in der Kirchen zur Karzeit anstelle der Glocken verwendet.
Es gibt mehrere Deutungen über Funktion und den Gebrauch dieses
Instrumentes. Nach volkskundlichen Forschungen - so z.B. in Soledade
- sollen damit verlorene Seelen gerufen und versammelt werden.
Nach anderen Informanten sollen damit die plagenden Geister vertrieben
und während der Praktiken ferngehalten werden. In der untersuchten
Region dient es dazu, den Anwohnern anzukündigen, daß sich die
Seelen-Brüder nähern.
Was den Berra-Boi anbelangt, so ist sein Gebrauch nicht verpflichtend.
Bei einigen Empfehlungs-Gruppen ist das Instrument unbekannt.
In Portugal ist es nicht nachzuweisen. Nach Rossini Tavares de
Lima handelt es sich dabei um ein Kulturelement, das im Rahmen
des Akkulturationsprozesses von den Indianern übernommen wurde.
Es besteht aus einem Stück Holz oder Bambus mit einer Kordel,
die an ein Ende gebunden ist. Der Spieler dreht es mit Kraft in
der Luft in einer Weise, daß sich das Holz auch um ihn dreht.
Beim Drehen soll die Spitze des Holzes nur leicht den Boden berühren.
Es wird organologisch als freies Aerophon klassifiziert. Curt
Sachs wies darauf hin, daß der hervorgebrachte Ton umso höher
ist, je schneller das Instrument gedreht wird.
Dieses Instrument wird bei verschiedenen stammesgebundenen Völkern
als wichtiges Element magischer und ritueller Handlungen verwendet,
so heute noch in Australien und Neuguinea. Der hervorgebrachte
Ton ist eine "Stimme", die weder mit der eigenen noch mit der
der anderen Teilnehmer identifiziert wird, sondern mit der eines
Geistes, Dämons oder Ahnen. Das Instrument eignet sich, da aus
ihm ein hörbares, aber nicht greifbares Phänomen durch die Aktion
des Menschen entsteht, in besonderer Weise für magische Praktiken.
Das Summen erinnert an den Wind und verbindet das Instrument mit
Regenriten. Selbst seine Form weist auf Vorstellungen von Kraft
und Fruchtbarkeit hin. Aus diesem Grund ist auch nachvollziehbar,
daß der Anblick des Instruments häufig den Frauen verwehrt ist.
Bei den Bororo sollen Herbert Baldus, der sich hierbei auf Karl
von den Steinen stützt, die Frauen die Trauerriten verlassen,
denn allein der Anblick dieses Instruments genüge, ihren Tod herbeizuführen.
Der Berra-Boi erscheint in der Literatur unter verschiedenen Namen
wie Tavoleta (Italien), Zuna (Portugal), Bull-Roarer (Großbritannien),
Schwirrholz (Deutschland), Aidje (Bororo), Bramadeira (Spanien)
und Zumbidor (Brasilien)
In den untersuchten Regionen von Santana do Jacaré und Anhembí
wird er auch als Berrante bezeichnet. Es wird z.B. auch als Spielzeug
verwendet und aus diesem Grund von einigen Anführern von Empfehlungen
der Seelen nicht akzeptiert. Im Ort Conceição wird er abgelehnt,
da er mit dem Teufel verbunden sein soll.
In diesem Zusammenhang sind die Aussagen von Mário de Andrade
zu bedenken. Das Praktizieren eines Kultaktes stellt nach ihm
eine feierliche Form dar, um die vitalen Kräfte zu rufen und die
zerstörerischen fernzuhalten. Der Klang ist der lebendigste, persönlichste
und vergeistigste Ausdruck des Menschen. Daher ist das Musikinstrument
das machtvollste Kulturobjekt. Es wirkt unmittelber, es gibt der
Bewegung eine Zielrichtung, und deren Wirkung ist ein mächtiges
Zaubermittel. Das Instrument als Kulturobjekt ist nicht ästhetischen
Kriterien unterworfen. Es wirkt nicht im Sinne der Erweckung ästhetischen
Genusses, sonder als Agent vitaler oder Vertreiber zerstörerischer
Kräfte. Die Gefühle von Angst und Terror, die der Mensch beim
Hören dieser Instrumente empfindet, dienen dazu, böse Mächte zu
vertreiben.
Diese Erwägungen konnten durch die Forschung bestätigt werden.
So sagte ein junger Informant, der seine Mutter bei diesen Praktiken
begleitete, er würde zwar das Schwirrholz verwenden, empfinde
dabei aber Angst und tue es deshalb nur ungern.
Literatur
Andrade, Julieta de & Rossini Tavares de Lima. Escola de Folclore:
Estudo e Pesquisa de Cultura Espontânea, Brasil. São Paulo: Escola
de Folclore, 1983 (Coleção Pesquisa, 5).
Andrade, Mário de. Música de Feitiçaria do Brasil. Belo Horizonte:
Itatiaia, 1982.
Araújo, Alceu Maynard. Folclore Nacional: Danças, Recreações,
Música, II. São Paulo: Melhoramentos, s/d.
Baldus, Herbert. Ensaios de Etnologia Brasileira. São Paulo: Nacional,
1979 (Brasiliana, 101).
Carrato, José Ferreira. Igreja, Iluminismo e Escolas Mineiras
Coloniais. São Paulo: Nacional, 1968 (Brasiliana, 134).
Cascudo, Luís da Câmara. Anúbis e outros Ensaios. Rio de Janeiro:
O Cruzeiro/INL, 1951.
-----------. Dicionário do Folclore Brasileiro. São Paulo: Melhoramentos/MEC/INL,
1979.
César, Getúlio. Crendices: Suas Origens e Classificação. Rio de
Janeiro: MEC, s/d.
Chaves, Luís. Folclore Religioso. Porto: Portucalense, 1945.
Costa, Francisco Augusto Ferreira da. Folk-Lore Pernambucano.
Rio de Janeiro: Revista do Instituto Histórico Brasileiro Tomo
LXX, Parte II (1908).
Deda, Carvalho. Brefaias e Burundungas do Folclore Sergipano.
Aracajú: Livraria Regina, 1967.
Dias, Jaime Lopes. Etnografia da Beira. Lisboa: Imprensa Nacional
de Publicidade, 1944.
Freyre, Gilberto. Casa Grande e Senzala. Rio de Janeiro: José
Olympio, 1987.
Gonçalves, Maria Salete Petroni de Castro. Garimpo, Devoção e
Festas em Lençóis, BA. São Paulo: Escola de Folclore, 1984 (Coleção
Pesquisa, 8).
Lima, Augusto Pires de. A Poesia Religiosa na Literatura Portuguesa.
Porto: Domingos Barreia, 1942 (Coleção Portugal, 9).
Lima, Rossini Tavares de. A Ciência do Folclore. São Paulo: Ricordi,
1978.
----------. ABC de Folclore. São Paulo: Conservatório Dramático
e Musical de São Paulo, 1952.
Marcineau, Jacques. Ritos Estranhos no Mundo. São Paulo: DIFEL,
1975.
Mello Morais Filho, Alexandre José. Festas e Tradições Populares
do Brasil. Rio de Janeiro: Fauchon, s/d.
Monteiro, Valcyr. Visagens e Assombrações de Belém. Belém: O autor,
1985.
Pierson, Donald. Cruz das Almas. Rio de Janeiro: José Olympio,
1966 (Coleção Documentos Brasileiros).
Porto, Humjberto & Hugo Schlesinger. As Religiões: Ontem e Hoje.
São Paulo: Paulinas, 1982.
Prado, José Nascimento de Almeida. Trabalhos Fúnebres na Roça.
São Paulo: Separata da Revista do Arquivo Municipal, 1947.
Ramos, Arthur. Estos de Folk-Lore. Rio de Janeiro: CEB, 1951.
Setti, Kilza. In: Revista Brasileira de Folclore VI/16 (set/dez
1966).
Silva, Francisco Pereira da. Miçangas Folclóricas. São Paulo:
Empresa Gráfica Editora Taubaté, 1975.
Spalding, Tassilo Orfeu. Dicionário de Mitologia Grego-Latina.
Belo Horizonte: Itatiaia, s/d.
Van Gennep, Arnold. Os Ritos de Passagem. Petrópolis: Vozes, 1978.
Vasconcelos, J. Leite. Ensaios Ethnográficos, 4 vols. Lisboa:
Esponsed, 1903.
-----------. Religiões da Lusitânia, 3 vols. Lisboa: Imprensa
Nacional, 1905.
Volta, Ornela. Guia do Outro Mundo. São Paulo: Hemus, 1973.
Saint-Hilaire, Augusto. Viagens pelas Províncias do Rio de Janeiro
e Minas. São Paulo: Nacional, s/d.
Xidieh, Oswaldo Elias. Semana Santa Cabocla. São Paulo: USP/Instituto
de Estudos Brasileiros, 1972.
Musik, Projekte und Perspektiven. A.A. Bispo u. H. Hülskath (Hgg.).
In: Anais de Ciência Musical - Akademie Brasil-Europa für Kultur-
und Wissenschaftswissenschaft. Köln: I.S.M.P.S. e.V., 2003.
(376 páginas/Seiten, só em alemão/nur auf deutsch)
ISBN 3-934520-03-0
Pedidos com reembolso antecipado dos custos de produção e envio
(32,00 Euro)
Bestellungen bei Vorauszahlung der Herstellungs- und Versandkosten
(32,00 Euro):
ismps@ismps.de
Deutsche Bank Köln (BLZ 37070024). Kto-Nr. 2037661
Todos os direitos reservados. Reimpressão ou utilização total
ou parcial apenas com a permissão dos autores dos respectivos
textos.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Wiedergabe in jeder Form
oder Benutzung für Vorträge, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung
der Autoren der jeweiligen Texte.