Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria
científica
© 1989 by ISMPS e.V. © Internet-edição 1999 by ISMPS e.V. © 2006
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No. 82 (2003: 2)
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© Foto: H. Hülskath, 2002 Archiv A.B.E.-I.S.M.P.S. |
MUSIKALISCHE WAHRNEHMUNG UND SELBSTWAHRNEHMUNG
Laura Franch Schmidt da Silva
[Aus der Tonaufnahme des Vortrags]
A percepção musical e a percepção de si mesmo Laura Franch Schmidt da Silva A experiência de ensino obtida desde 1988 nas matérias estruturais
da linguagem musical no Instituto de Música da Escola Superior
de Teologia - EST em São Leopoldo tem demonstrado que a orientação
e a fundamentação da prática de ensino devem ser consideradas
sob duas perspectivas: 1) a da preocupação exclusiva com a assimilação de conteúdos teórico-musicais
- rítmo, melodia, contraponto e harmonia - com o objetivo de dar
maior qualidade à prática musical; 2) a da consideração do fato
de que o processo de aquisição da linguagem musical para os alunos
representa uma experiência que modifica a sua percepção de si
próprio e a sua visão do mundo. Percepção musical e percepção de si próprio torna-se, assim, cada
vez mais, um objetivo central do ensino e também objeto de pesquisa
científica. Uma pesquisa desse tipo encontra-se em andamento e
deverá fornecer bases teóricas para a publicação de materiais
didáticos que serão aplicados ao ensino de Teoria, Ditado e Solfejo
no Instituto de Música da EST. (resumo parcial)
Der vorliegende Vortrag basiert auf Erfahrungen, die seit 1988
am Musikinstitut der Hochschule für Theologie von São Leopoldo
im Fach Theorie und musikalische Perzeption der Musik gemacht
werden, das im Laufe der Zeit mehrfach umbenannt wurde. 1998 wurde
eine Musikabteilung der theologischen Hochschule gegründet, die
später zu einer Schule professioneller Qualifizierung wurde. Heute
gilt sie als eine Fachhochschule. Wir haben es somit mit einem
Fach zu tun, das sich dem Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen
anpassen mußte. Die Disziplin, die heute Theorie und musikalische
Perzeption heißt, ist mit dieser Bezeichnung verhältnismäßig neu.
Ihr Konzept wurde vielfach diskutiert und wird oft nicht verstanden
oder wie das Instrumentalspiel akzeptiert.
Musikalische Perzeption wird im Sinne der Wahrnehmung des Selbst
verstanden. Diese Auffassung der Disziplin kann aber nur unter
Berücksichtigung ihrer Geschichte und Entwicklung in der Institution
nachvollzogen werden.
1988 wurde ein Fach eingeführt, das "Funktionelles Tasteninstrument"
(Teclado funcional) genannt wurde. Musiktheorie wurde dabei in
Anlehnung an die Funktionsharmonik mit Hilfe eines Tasteninstruments
- in der Regel ein Klavier - gelehrt. Diese Verfahrensweise hob
sich bereits von der traditionellen Weise, Theorie zu reflektieren
und zu lehren, kontrastierend ab. Sie war praxisbezogener. Bis
dahin bestand die Theorie der Musik aus dem eigentlichen theoretischen
Kernbereich und aus der Gehörbildung, die traditionell Diktat
und Solfège umfaßte. Bei der neuen, multimodalen Auffassung wurde
ein neues Konzept des Musiklernens entwickelt und erprobt. Dies
besagt, daß Musik nicht nach einem gefächerten Modell erlernt
wird. Dabei wird berücksichtigt, daß es unterschiedliche Weisen
gibt, Theorie aufzufassen, denn Theorie kann auch in engem Zusammenhang
mit dem Akt des Musizierens selbst, des Musikmachens, stehen.
Es geht darum, die theoretische Reflexion dem Entwicklungsniveau
anzupassen, in dem sich der Student befindet. Dies geschieht mittels
verschiedener Techniken musikalischer Improvisation und der angemessenen,
angewandten Gehörbildung sowie durch Lektüre und Komposition.
Diese Konzeption war damals in der Region neu und rief naturgemäß
Reaktionen hervor. In ein und derselben Gruppe gab es Studenten
mit kaum musikalischen Kenntnissen und andere, die bereits ein
Konzertrepertoire beherrschten. In diesen unterschiedlich zusammengesetzten
Klassen mußte Theorie gelehrt werden. Der Ansatzpunkt war die
Partitur. Die Lektüre erfolgte zunächst nach den vorhandenen Kenntnissen
einzelner Studenten und wurde allmählich vertieft. Ausgehend von
einfachster Analyse von Rhythmus, Metrum und Melodie wurden zunehmend
Harmonie und Kontrapunkt behandelt, jedoch stets in demselben
Kontext. Diese Methode war umstritten, vielleicht weil sie nordamerikanisch
geprägt war. Sie wurde jedoch immer weiter entwickelt und für
die vorhandenen Bedürfnisse didaktisch aufgearbeitet.
1996 wurde diese Entwicklung der Praxis systematisiert und die
verschiedenen Ansätze dienten der Konfiguration eines musikpädagogischen
Projekts. Der Terminus Musikpädagogik wurde in Anlehnung an den
deutschen Sprachgebrauch dafür ausgewählt. Der theoretische Unterricht
stand seitdem unter der weiteren Perspektiv einer übergreifenden
musikpädagogischen Auffassung.
Seit 2000 wird das didaktische Material für diese neue Auffassung
der Theorie erarbeitet. Die multimodale Konzeptualisierung, die
hier angewandt wird, geht auf Kontakte zu der nordamerikanischen
Erziehungswissenschaftlerin M. Harlem zurück, die bis in das Jahr
1987 zurückreichen. Sie lehrte den Musikunterricht durch das Tasteninstrument,
eine Vorgehensweise, die Laura Schmidt in ihrer Magisterarbeit
behandelt. Der Grundgedanke liegt in der Auffassung, bei allen
Unterschieden der Musikmethoden soll Musik durch das Musikmachen
erlernt werden. Diese Idee scheint selbstverständlich zu sein,
sie ist es aber nicht. Vielfach wird beabsichtigt, den Menschen
Systematisierungsmodalitäten ohne Praxis zu vermitteln. Dieser
Ansatz verfolgt einen umgekehrten Weg. Es muß eine Praxis geben,
danach folgt die Theorie. Vor allem die Erwachsenen tendieren
dazu, zuerst eine Struktur, ein System zu erlernen, um es dann
in die Praxis umzusetzen. Für sie ist zunächst befremdlich, mit
dem neuen Ansatz praxisbezogener Theorieerarbeitung konfrontiert
zu werden. Die Individuen nehmen beim Hören das Ganze war, ohne
zu wissen, wie es strukturiert ist. Sie sind zunächst nicht in
der Lage, zu erkennen, wie es z.B. rhythmisch, melodisch und harmonisch
konstruiert ist.
Die Schwierigkeit lag zunächst darin, das Gehörte zu systematisieren.
Es kann sein, daß diese Schwierigkeit kulturell bedingte Gründe
hatte. Es hätte vielleicht eine Kontextualisierung dieser nordamerikanischen
Vorgehensweise an die lokalen Bedingungen stattfinden sollen.
Es wurde festgestellt, daß das Problem in der Dichotomie zwischen
dem Selbst und dem Anderen lag. Das Ich wurde hier von dem Wir
unterschieden. Die Studenten hatten die Tendenz, die Partitur
als Anderes aufzufassen, daß ihnen gegenüberstand. Ein Gruppenbewußtsein
war nicht vorhanden. Es wurde nicht verstanden, daß die Musiksprache
eine Kommunikationsweise mit der Welt ist, daß der Mensch mit
der Musik über eine zweite Sprache verfügt. Man ging nur davon
aus, daß die Musiksprache lediglich im Dienst einer musikalischen
Performance stand. Es wurde nicht erkannt, daß diese Performance
zur Konstruktion des Selbst führte. Diese Fixierung hing stets
mit der Idee des Wettbewerbs zusammen. Das Individuum erscheint
vielfach als Figur vor einem Hintergrund, d.h. die Figur wird
auf Kosten des Ganzen hervorgehoben.
Diese Ansschauung war es, die dazu führte, daß das ganze System
auf die Formung von Solisten ausgerichtet war. Auf diese Weise
wurde an der Konstruktion von Solisten oder Gruppen gearbeitet,
aber nicht an dem Einzelnen in seiner Bedeutung innerhalb der
Gruppe. Dieser Mangel ist beispielsweise in der Chorpraxis zu
beobachten. Die Chorteilnehmer fühlen sich nur dann aufgewertet,
wenn sie eine Solopartie haben. Sie fühlen sich nicht ganz beachtet,
wenn sie nur Teil der Gruppe sind. Man hört sogar oft die Aussage:
sing nicht in meiner Nähe, da Du mich störst. Es wird nicht wahrgenommen,
daß die eigene Stimme durch die Stimme des Anderen ergänzt wird.
Aus diesen Beobachtungen entwickelte sich zwischen 1996 und 2000
die Reflexion darüber, was unter Perzeption im Namen der Disziplin
aufzufassen ist. Der Begriff Perzeption selbst mußte diskutiert
und geklärt werden. Es wurde problematisiert, was unter Theorie
und Perzeption implizit verstanden wurde und was daraus in den
Vordergrund gebracht werden mußte. Immer mehr wurde dabei ersichtlich,
daß es nicht so sehr darum ging, Rhythmen, Melodien und Strukturen
wahrzunehmen. Derjenige, der Musik macht, ist das Individuum.
Die Musik ist ohne die formende Einwirkung des Individuums abstrakt
inexistent. Dieser Formungsprozeß wird in dem entwickelten musikpädagogischen
Projekt besonders beachtet. Das Individuum modelliert die ästhetischen
Erfahrungen durch das Musikmachen. Das "learning by doing" steht
im Mittelpunkt. Dabei ist nicht das individuelle Musikmachen gemeint,
sonder die Gruppenerfahrung. Erst dann beginnt die Bewußtwerdung
des Ich, die Wahrnehmung des Selbst durch die Musikstruktur. Die
Musikstruktur erscheint als Metapher für das Sich-Aussprechen
und das Sprechen vom Ich. Erst in diesem Gesamtrahmen wird erfaßt,
was es bedeutet, gestimmt zu sein, was es bedeutet, gemeinsam
zu musizieren, präzise zu singen, was z.B. Kontrapunkt bedeutet.
Diese Reflexionen führen zur Frage der Konstruktion der Identität.
Das, was man als Parameter der Struktur und der Sprache der Musik
wahrnimmt, ereignet sich gleichzeitig mit der Wahrnehmung des
Selbst. Man lernt, sich selbst zu verstehen, indem man sich in
einen musikalischen Kontext einfügt, in dem der Andere erscheint,
jemand der die Differenz verkörpert, einen ergänzt und zur Formung
des Wir führt. Daraus entsteht das Individuum, das mit dem Leben
gestimmt ist. Was ist denn ein Individuum, das mit dem Leben gestimmt
ist? Es ist der, der sein Ich in der musikalischen Sprache konstruiert
hat. Es ist das Individuum, das in der musikalischen Sprache eine
Relation aufstellt: dabei geht es nicht um das Individuum für
sich, sondern um das Individuum für etwas.
Dieses relationistische System ist zumindest im Rahmen tonaler
Musik - die noch vorherrschend ist - zu hinterfragen. Was versteht
man z.B. unter Relation von Medianten? Die Reflexionen führen
dahin, daß darunter eine Relation im Sinne von "für etwas" zu
verstehen ist. In der Funktionsharmonie tritt diese Relation deutlich
in Erscheinung, wenn man z.B. von Relativen und Anti-Relativen
spricht. Unter dieser Perspektive tritt die Person im Projekt
in den Vordergrund. Die Person ist es, die Musik macht für den
Anderen und mit dem Anderen. Diese Orientierung hin zur Aufwertung
des Individuums ist sehr ausgeprägt. Der Lehrer selbst sieht nicht
den Schüler vor sich, sondern eine Person, die die Legitimität
hat, ein Individuum mit einem Eigenrhythmus zu sein, die ihre
eigene Art und Weise hat, ihren Kontrapunkt zu setzen und mit
der Welt zu harmonisieren. Als Ergebnis hat man ein Individuum,
das sich im Prozeß befindet, sich auf das Leben einzustimmen,
indem es für den Anderen ist und die Einheit des Wir konstituiert.
Auf der Basis der Phänomenologie der Perzeption von Merleau-Ponty
wird reflektiert, ob alles, was man - auch durch die Wissenschaft
- über die Welt weiß, von der eigenen Sicht ausgeht, die eine
letzte Erfahrung der Welt ausmacht, ohne die die Symbole der Wissenschaft
nichts bedeuten würden. In der Disziplin Perzeption wird dementsprechend
die Person geachtet, die sich im Prozeß der Erfahrung befindet
und auf der Basis der erlebten Welt konstruiert ist. Das vom Studenten
Erlebte, das Erlebte als Erfahrung der Perzeption, wird aufgewertet.
Perzeption betrifft hier nicht die Musik, sondern erfolgt durch
die Musik. Es handelt sich letztlich um die Erfahrung der Welt,
die die Idee der Essenz konstituiert. So betrifft die Musik in
diesem Projekt nicht eine rein ästhetische Frage, sondern durch
sie wird das Individuum konstruiert. Beim Perzeptionsunterricht
geht es darum, eine musikalische Erfahrung herbeizuführen, die
das Individuum ergreift, so daß es sich zusammen mit der Musik
strukturiert. Hier liegt die große Verantwortung, eine Perzeptionsaktivität
vorzuschlagen. Es geht eben nicht darum, daß der Student etwa
rhythmische Präzision erlangt oder melodisch sauber singt, sondern
um viel mehr. Er soll sich seiner selbst bewußt werden.
Ziel ist also nicht die Partitur und die Performance, sondern
das, was daraus der Stundent für sich entnimmt, wie er seinem
Leben und dem der Anderen Qualität verleiht. In unserer individualistischen
Welt geht es darum, das Bewußtsein der Gruppe und der Gemeinschaft
zu erneuern. Die Musik dient dazu symbolisch und metaphorisch
als organisierte Töne und Rhythmen, die eine Kommunität bilden.
Ganz wichtig dabei ist der Begriff des Körpers, denn durch den
Körper wird gelernt, etwa durch die Gesten des Dirigierens, bei
der Nachahmung der Rhythmen, bei der Lokalisierung von konfigurierten
musikalisch-gestischen Akten. Die Gesten spielen bei der musikalischen
Perzeption eine viel größere Rolle als bisher anerkannt. Der Komplex
des Perzeptionsprozesses beinhaltet bisher Lücken, die wahrgenommen
werden müssen. Es geht auch darum, das Abwesende wahrzunehmen.
Partitur wird unter dieser Perspektive gleichsam nur zu einem
Atlas, einer musikalischen Karte, durch die die verborgenen, die
impliziten, die nicht ausgesprochenen Dingen geoffenbart werden
sollten, und zwar durch ein Individuum. Das Hauptziel der Perzeption
nach dieser Konzeption liegt also darin, die kontextualisierte
Kenntnis des Selbst zu initiieren.
Auf Grund dieser Reflexionen werden zur Zeit pädagogische Hefte
vorbereitet. Sie stützen sich auf mehrere Ansätze. Die musikalische
Erfahrung steht im Vordergrund und wird in Hinblick auf zwei Kategorien
erarbeitet: die Perzeption von Raum und Zeit. Bei der Perzeption
der Zeit geht es vor allem um Fragen des Rhythmus, was dem Individuum
auch die Auseinandersetzung mit dem Unvorhergesehenen und somit
mit dem Leben bringt.
Das Individuum wird im Musikinstitut der theologischen Hochschule
dazu erzogen zu erkennen, daß nur der Glaube es ihm erlaubt, in
der Unsicherheit des Lebens Pläne zu schmieden und so seine Zukunft
zu konstruieren. Das Individuum erlebt dies in der zeitlichen
Strukturierung der Musik. Die Perzeption des Raumes wird vor allem
auf Grund des musikalischen Plans selbst erfahren, in dem der
Student Musik als Strukturiertes erkennt und von dort aus in der
Lage ist, die eigenen Erfahrungen auf Grund ihrer Potenzialitäten
zu modellieren.
Die Aneignung der musikalischen Sprache erfolgt gemäß der Konzeption
eines theoretischen und eines physischen Körpers. Der theoretische
Körper betrifft die Vielfalt des Wissens, und der physische Körper
den materiellen Leib des Menschen. Aus theologischen Erwägungen
wird hier Musik als Suche nach Transzendenz aufgefaßt. Die ästhetische
Erfahrung als Erfahrung des Selbst in bezug auf den Anderen soll
zur Transzendenz durch die Musik führen.
Der Terminus Theorie sollte in dieser Konzeption des Faches ersetzt
werden. Die Bezeichnung "Musikalische Strukturierung" würde eher
den dargestellten Auffassungen entsprechen, wenn darunter die
Konstruktion der Identität des Individuums, der Identität des
Selbst verstanden wird.
Da publicação:/Aus der Veröffentlichung:
Musik, Projekte und Perspektiven. A.A. Bispo u. H. Hülskath (Hgg.).
In: Anais de Ciência Musical - Akademie Brasil-Europa für Kultur-
und Wissenschaftswissenschaft. Köln: I.S.M.P.S. e.V., 2003.
(376 páginas/Seiten, só em alemão/nur auf deutsch)
ISBN 3-934520-03-0
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