Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria
científica
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No. 80 (2002: 6)
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© Foto: H. Hülskath, 2002 Archiv A.B.E.-I.S.M.P.S. |
BRASILIEN UND DER WESTDEUTSCHE RUNDFUNK
Brigitte Berger-Bäcker
Das Verhältnis zwischen Brasilien und Deutschland ist geprägt
von der deutschen Auswanderung, die im zweiten Jahrzehnt des 19.
Jahrhunderts verstärkt einsetzte. Die Beziehungen der Emigranten
zu ihrer alten Heimat ist dabei vielfältigen Bedingungen unterworfen,
von der politischen Lage in Deutschland bis hin zur Art der Kontakte
zu den Einheimischen in der neuen Heimat. Obwohl die enorme Integrationsfähigkeit
der Menschen Brasiliens eine extreme Isolation wie etwa in Chile
selbst in den frühen Phasen der Einwanderung nicht erlaubte, hielten
und halten sich deutsche Traditionen doch recht lange, vor allem
in den südlichen Staaten Rio Grande do Sul und Santa Catarina.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Rolle von Medien wie etwa
dem Rundfunk in doppelter Hinsicht von Bedeutung: Zum einen bieten
sie Kanäle der Kommunikation zwischen der alten und neuen Heimat,
zum anderen repräsentieren öffentlich-rechtliche Anstalten durch
ihre nicht primär kommerzielle, sondern dem Gemeinwohl verpflichtete
Orientierung Deutschland auch auf internationaler Ebene.
Unter den öffentlich-rechtlichen Rundkunkanstalten Deutschlands
ist der Westdeutsche Rundfunk, abgekürzt WDR, aufgrund seiner
Größe sicherlich als der bedeutendste anzusehen. Obwohl seine
historischen Wurzeln bis in das Jahr 1924 zurückreichen, erscheint
doch die Gründung des Nordwestdeutschen Rundfunks bereits kurz
nach Ende des Zweiten Weltkrieges in der britischen Zone als Geburtsstunde
des WDR in seiner heutigen Ausprägung. Zehn Jahre später werden
die beiden Funkhäuser in Hamburg und Köln getrennt und damit die
unabhängigen Sendeanstalten Norddeutscher Rundfunk NDR und WDR
gegründet. Diese bilden mit verschiedenen anderen regionalen Sendern
die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
Deutschlands, genannt ARD, in die nach der Wiedervereinigung auch
die Sender der ehemaligen DDR integriert wurden. Der Anspruch
der ARD auf Internationalität zeigt sich in engen Beziehungen
nach Österreich und Frankreich, die sich in den in Kooperation
verwalteten Kanälen 3sat und ARTE zeigen und durch ihre explizite
Ausrichtung auf Kultur und Bildung die Hauptziele des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks in Deutschland in besonderem Maße deutlich werden lassen.
Auf internationaler Ebene ist die ARD auch in Form zahlreicher
Auslandsstudios vertreten, so in Amman (Jordanien), Den Haag (Niederlande),
Kiew (Ukraine), London (Großbritannien), Moskau (Rußland), Nairobi
(Kenia), New York und Washington, D.C. (USA), Paris (Frankreich)
und Warschau (Polen). Der Bereich Lateinamerikas wird von Buenos
Aires und Ciudad de México aus erfaßt. Für Brasilien war zu der
Zeit, als Rio de Janeiro noch Hauptstadt war, ein dortiges Studio
zuständig; dieses wurde jedoch nach der Ermordung des Korrespondenten
geschlossen. Im Jahre 1999 wurde ein eigenes Hörfunkprogramm mit
Namen Funkhaus Europa eingerichtet, das sich explizit an die verschiedenen
in Deutschland lebenden Einwanderer wendet und verstärkt Nachrichten
aus den verschiedenen Herkunftsländern des Zielpublikums anbietet.
Daß insbesondere innerhalb des musikalischen Programms auch deutsche
Hörer mit Vorlieben für außereuropäische Musik angesprochen werden
sollen, schlägt sich in einer Musikauswahl nieder, in der Lateinamerika
und speziell Cuba und Brasilien überdurchschnittlich stark vertreten
sind.
Der Anteil brasilianischer Themen - sowohl musikalischer als auch
inhaltlicher Natur - im Programm des WDR ist über eine Recherche
im Archiv zu ermitteln. Entsprechend der inneren Struktur des
Archives sind Musikaufnahmen, Wort- und Videobeiträge getrennt
zu durchsuchen. Im Falle der letzteren beiden handelt es sich
meist um kurze Reportagen zwischen drei und sieben Minuten, in
denen die in Europa gängigen brasilianischen Themen verarbeitet
werden, so vor allem Sport - vergessen wir nicht, daß Brasilien
dieses Jahr den Fußball-Weltmeistertitel errungen hat! - Kaffee,
Karneval, Samba oder auch verschiedene Themen politischen Interesses.
Daneben existiert noch eine Reihe umfangreicherer, zum Teil mehrteiliger
Reportagen, an deren Produktion der WDR meist nicht beteiligt
ist, da sie großenteils von Spezialisten gedreht und dann zum
Verkauf angeboten werden. Als Beispiele dafür sind etwa großangelegte
Fernsehbeiträge über den Amazonas oder auch verschiedene Indianerstämme
zu nennen.
Die Tatsache, daß die Musik auch in Reportagen allgemeinerer Natur
- so etwa an Touristen gerichtete Reisesendungen oder auch in
Beiträgen zur Kultur der Indianer - immer Erwähnung findet, schlägt
sich auch im Musikarchiv nieder.
Den etwas über tausend Einträgen in den Bereichen Wort und Video
stehen über 1400 Aufnahmen mit brasilianischer Musik gegenüber,
wobei zu dieser Zahl noch eine nicht unbeträchtliche Dunkelziffer
an Musikstücken hinzuzuaddieren ist, die in den einzelnen Redaktionen,
etwa des Funkhauses Europa, vorliegt und gar nicht zentral archiviert
wurde. Jede der erfaßten Aufnahmen wird anhand verschiedener Kategorien
klassifiziert, unter anderem nach geographischer Herkunft, was
für die vorliegende Betrachtung natürlich von unschätzbarem Wert
war. Die Grobeinteilung der Musik in die Sparten Unterhaltungsmusik,
Ernste Musik, Jazz etc., die aus musikwissenschaftlicher Sicht
sicherlich hochproblematisch ist, erleichtert in der Praxis die
Auswahl des Materials für den Sendebetrieb doch erheblich; da
sie innerhalb des WDR und insbesondere in Archivierungsprozessen
grundlegend ist, soll auch in diesen Betrachtungen von ihr ausgegangen
werden.
Die Summe der Aufnahmen brasilianischer Musik im Archiv des WDR
setzt sich aus 893 Aufnahmen Unterhaltungsmusik, 411 in der Ernsten
Musik und 109 im Jazzbereich zusammen. Es fällt dabei auf, daß
der Bereich der traditionellen Musik keine Einträge im Bereich
Brasilien aufweisen kann. Dies hängt einerseits zusammen mit gewissen
Uneinigkeiten bei der Erfassung der entsprechenden Tonträger,
die dazu führen kann, daß Aufnahmen mit indianischer Musik, wie
z.B. der Kaiapó oder der Tupi Nagô, in der Kategorie Unterhaltungsmusik
landen. Ähnliches gilt großenteils auch für die Unterscheidung
zwischen Jazz und Unterhaltungsmusik, so daß sich etwa Aufnahmen
aus dem Bereich Bossa Nova sowohl auf der einen als auch auf der
anderen Seite wiederfinden können. Andererseits spiegelt das Fehlen
bestimmter Musikrichtungen auch die deutsche bzw. europäische
Rezeption brasilianischer Musik wieder, die anderen Stilen neben
Samba, Bossa Nova und Música Popular Brasileira nur wenig Platz
einräumt. Bezeichnend dafür ist, daß eine der kommerziell erfolgreichsten
Musikrichtungen Brasiliens, die Música Sertaneja, in den USA und
sogar in China seit langem geschätzt, in Europa nahezu unbekannt
ist.
Auch im Bereich der ernsten Musik spiegelt der WDR europäische
Präferenzen wieder: Von den 411 Aufnahmen entfallen 353 auf Heitor
Villa-Lobos, es folgen Antônio Carlos Gomes mit 19, Camargo Guarnieri
mit 12 und Ernesto Nazareth mit 10 Aufnahmen. Einen weiteren Teil
nehmen nicht-brasilianische Komponisten ein, die sich in ihrem
Werk thematisch mit Brasilien auseinandersetzten, so vor allem
Darius Milhaud mit den "Saudades do Brasil", aber auch Bernd Alois
Zimmermann mit den "Caprichos Brasileiros" oder Ottorino Respighi
mit den "Brasilianischen Impressionen".
Eine andere für die Arbeit des WDR bedeutsame Unterscheidung ist
jene zwischen Industrieproduktionen und Eigen- bzw. Koproduktionen.
Während erstere vom Sender lediglich eingekauft werden oder als
Werbematerial dorthin gelangten, ist der WDR bei den letzteren
an der Produktion beteiligt bzw. produziert sogar selbst. So zeigt
es sich, daß der WDR bei den 109 unter Jazz eingeordneten Aufnahmen
immerhin 35 selbst produziert hat. Eine besondere Rolle spielt
in diesem Zusammenhang die WDR BigBand, heute unter der Leitung
von Bill Dobbins, die sich seit den 80er Jahren auch verstärkt
brasilianischem Repertoire widmet, wie Statistiken zeigen. Von
den 411 Registrierungen ernster Musik war der WDR bei 137 an der
Produktion beteiligt. Daß im Bereich der Unterhaltungsmusik, der
mit 900 Aufnahmen die größte Menge an Musik mit brasilianischem
Bezug bietet, keine Eigen- oder Koproduktionen zu verzeichnen
sind, ist wahrscheinlich mit grundlegenden strukturellen Unterschieden
zu Jazz und ernster Musik zu erklären, wo eine stärkere Trennung
zwischen Komponist und Interpret vorliegt und der WDR mit zwei
Ensembles von Weltrang, nämlich der WDR BigBand und dem Rundkfunk-Sinfonieorchester,
naturgemäß stärker vertreten ist.
Das Gesamtbild, das die Beziehung zwischen WDR und Brasilien bietet,
ist, so läßt sich abschließend sagen, stark geprägt von den Präferenzen
des deutschen Publikums, wie sich vor allem auf dem Gebiet der
Unterhaltungsmusik zeigt. Trotzdem erlaubt die weniger kommerzielle
als kulturpolitische Ausrichtung des Senders nicht nur, in der
deutschen Öffentlichkeit ansonsten wenig repräsentierte Aspekte
wie die brasilianische ernste Musik nicht nur bekannter zu machen,
sondern auch aktiv durch Produktionen mit den WDR-eigenen Ensembles
zu fördern. Auf der Ebene von Reportagen tritt der WDR zwar nicht
oft selbst als Produzent in Erscheinung, jedoch kommt ihm und
anderen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten die Hauptverantwortung
in der Verbreitung nichtalltäglicher Themeninhalte, etwa über
die Indianer Brasiliens, zu. Es bleibt somit zu hoffen, daß der
WDR auch weiterhin anstrebt, seinem kulturellen Anspruch gerecht
zu werden und die verschiedenen Aspekte brasilianischer Thematik
an das Publikum zu vermitteln, und sich möglicherweise noch stärker
auf die engen Bande, die zwischen Deutschland und Brasilien bestehen,
besinnt.
Da publicação:/Aus der Veröffentlichung:
Musik, Projekte und Perspektiven. A.A. Bispo u. H. Hülskath (Hgg.).
In: Anais de Ciência Musical - Akademie Brasil-Europa für Kultur-
und Wissenschaftswissenschaft. Köln: I.S.M.P.S. e.V., 2003.
(376 páginas/Seiten, só em alemão/nur auf deutsch)
ISBN 3-934520-03-0
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