Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria
científica
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No. 79 (2002: 5)
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© Foto: H. Hülskath, 2002 Archiv A.B.E.-I.S.M.P.S. |
INTERNATIONALER KONGRESS
EURO-BRASILIANISCHER STUDIEN 2002
2. Phase. Gebiete der "Cultura Caipira" im Hinterland von São Paulo
Die zweite Phase des Internationalen Kongresses Euro-Brasilianischer
Studien 2002 widmete sich Problemkreisen des kulturidentifikatorischen
Wandels im Spannungsfeld von Interaktionen ruraler und stammesbezogener
Gesellschaften unter besonderer Berücksichtigung symbolischer
Organisationsprinzipien.
Participantes estrangeiros na sede do I.B.E.M.
Die Probleme der Erforschung der "Cultura Caipira" waren bereits
in mehreren vorausgehenden Kolloquien thematisiert und differenziert
behandelt worden. Fragen der komplexen Begriffsbestimmung und
der Unterscheidungen entsprechender Kulturformen und -identitäten
(Cultura Caipira, Cultura Sertaneja, Cultura Rural u.a.) waren
bereits behandelt worden. In dieser Phase des Kongresses ging
es vornehmlich darum, auf der Grundlage vorausgegangener Diskussionen
Interaktionen der in den ruralen Regionen noch heute besonders
sinnfälligen symbolischen Organisationsprinzipien in Darstellungsweisen
der Kultur, die der Identifikation von Gruppen dienen, mit solchen
tribaler Gesellschaften zu analysieren. Aus diesem Grund wurden
die Tage von zwei großen Fragenkomplexen beherrscht. Als Austragungsort
dieser zweiten Phase des Kongresses wurde eine Region ausgewählt,
in der seit Jahren Bemühungen zur Aufwertung einer als provinziell
deklassierten Kultur unternommen werden.
Die Tagung stand unter der Schirmherrschaft der Stadt und des
Rates von Joanópolis an der Grenze zwischen den Bundesstaaten
São Paulo und Minas Gerais. Andere Städte der Region wurden in
die Arbeiten integriert. Ein Tag des Kongresses wurde in der Stadt
Bragança Paulista verbracht; hier wurde eine Festsitzung von der
Stiftung für Hochschulstudien von Bragança Paulista veranstaltet.
Die Kongreßteilnehmer wurden in der Fazenda Santa Rita bei Joanópolis
untergebracht. Am 19. September erfolgte um 19:30 Uhr die Eröffnungssitzung
in der Arbeitsstätte des Brasilianischen Instituts für Musikwissenschaftliche
Studien. Der Bürgermeister der Stadt Joanópolis, Dr. Ari Cardoso,
begrüßte die Teilnehmer. Dr. Harald Hülskath dankte als Geschäftsführer
der Akademie Brasil-Europa der Stadt für die Unterstützung des
Kongresses und erinnerte an die in vorherigen Jahren dort veranstalteten
Tagungen. Der Vorsitzende der Akademie Brasil-Europa erläuterte
das Ziel der Tagung und die Beziehung der untersuchten Problemkreise
zum Thema der Aktion 2002 der Brasilianischen Bischofskonferenz:
"Auf der Suche nach einem Land ohne Bösem". In seinem Vortrag
hob er die Bedeutung von Fragen der Ethik in diesem Thema indianischen
Ursprungs hervor und wies auf die Analogie zwischen entsprechenden
Guarani-Vorstellungen von einer Sintflut und der biblischen Überlieferung
hin. Daraufhin verwies er auf die symbolische Rolle der Musik
bei transkulturellen Sintflutvorstellungen über die Zerstörung
von Menschen und der Erde. Die sozial-ethischen, kulturwissenschaftlichen
und ökologischen Dimensionen dieser Symbolsprache wurden besonders
hervorgehoben.
Congresso de Estudos Euro-Brasileiros 2002
I.B.E.M.
Nachdem die angekommenen indianischen Vertreter der Stämme Krahô
und Xerente begrüßt worden waren, wurde das Wort Herrn Rolf Bäcker
erteilt, der das beim Kolloquium 2001 in Köln gehaltene Referat
über die Cultura Sertaneja und Perspektiven der Moda de Viola
in portugiesischer Sprache vortrug. Es folgte ein Empfang in der
Bibliothek des Instituts mit anschließendem Konzert renommierter
Gitarren-Spieler der Region. Die Musikvorträge wurde mit Kommentaren
von Herrn Walter Cassalho, einem Experten regionaler Kulturforschung
mit Caipira-Identifikation, umrahmt. Die Sitzung wurde mit der
Vorführung von traditionellen Catira-Tänzen mehrerer Gruppen der
Region abgeschlossen. Dabei wurde die Frage nach der Wiederbelebung
dieser Darstellungsweisen der Caipira-Kultur besprochen.
Die Sitzungen des 20. Septembers wurden im Rathaus der Stadt Joanópolis
abgehalten. Die Themen bezogen sich auf Fragen sowohl der ruralen
als auch der indigenen Musikkultur. Deutsche Teilnehmer des Kongresses
gaben einen Überblick über die beim Kolloquium zum Thema "Europa
und das Klanguniversum der Indianer" behandelten Fragen. Es wurden
Probleme der fremden Wahrnehmung indigener Musikkulturen in Reiseberichten
am Beispiel der Makuxi und der Krahô aufgezeigt. Nach einem Grußwort
des Vertreters des Krahô-Stammes kommentierte dieser die über
seine Kultur dargestellten Arbeiten von E. Wusstmann sowie vorgeführten
Aufnahmen von H. Schultz.
Congresso de Estudos Euro-Brasileiros 2002
I.B.E.M.
Valber Dias, der seit Jahrzehnten bei den Krahô lebt und sich
eine indigene Kulturidentifikation erarbeitet hat, übersetzte
die auf Krahô vorgetragenen Kommentare und verwies auf begriffliche
Probleme hinsichtlich der sogenannten Timbiras in der kulturanthropologischen
Literatur. Nach der Ankunft von Kindern und Jugendlichen der Schulen
der Region wurden diese von Frau Prof. Dr. Dr. Julieta de Andrade
begrüßt und in den Dialog mit den Indianer-Vertretern einbezogen.
Zum Schluß der Sitzung sprach der Musikhistoriker Marcelo Hazzan
über die Probleme kirchenmusikalischer Konzeptionen im Sinne der
Festigung der Beziehungen zu Rom zur Zeit des Historismus. Der
Vorsitzende der Akademie hob die gravierenden kulturwissenschaftlichen
Probleme hervor, die diese traditionalistischen Bestrebungen des
Katholizismus Europas, die leider noch fortbestehen und sogar
eine Regenerierung in fundamentalistischen Positionen erfahren,
verursacht haben.
Die Nachmittagssitzung wurde vor allem Fragen volkskundlicher
Forschung gewidmet. Frau Prof. Dr. Martha Haug erläuterte Konzeptionen
und rituelle Handlungen der Kommunion von Menschen und Heiligen
in von der Globalisierung erfaßten Grenzregionen von Mato Grosso.
Frau Zuleika de Paula behandelte anschließend die traditionellen
Formen der Interaktionen von Lebenden und Toten bei Praktiken
der Commendatio animae in ruralen Regionen.
Die Verantwortlichen für die Kulturarbeit in der Stadt und in
der Region führten Video-Aufnahmen vor von Projekten des Kulturamtes
des Staates São Paulo zur Aufwertung von traditionellen Gruppen
und Darstellungsweisen der Kultur bei öffentlichen Massenpräsentationen
in der Hauptstadt sowie von in der Region selbst unternommenen
Bemühungen zur Wiederbelebung von traditionellen Tanz- und Theatergruppen.
Es folgte eine Diskussion über Sinn und Gefahren solcher Projekte,
die eine traditionalistische Konzeption erkennen lassen und zu
einer verflachenden Folklorisierung von Repräsentationsformen
führen können.
Congresso de Estudos Euro-Brasileiros 2002
Akademie Brasil-Europa/I.B.E.M.
Der Abend war einer offiziellen Festsitzung des Rates der Stadt
Joanópolis gewidmet. Der Bürgermeister der Stadt wies auf die
Bedeutung der ruralen Musik- und Kulturidentität in einem globalen
Gebäude des Wissens hin. Der Vorsitzende der Musikkommission der
Bischofskonferenz Brasiliens, Osmar Bezzutti, zeichnete ein Panorama
der inkulturativen Konzeptionen und Bemühungen in Theologie und
Liturgie um eine kulturell angemessene Vorgehensweise in der religiösen
Praxis. Der Vorsitzende der Akademie Brasil-Europa behandelte
die historischen Mechanismen des kulturidentifikatorischen Wandels
am Beispiel der Doppelkodierung der Maraca und der Viola als symbolische
Instrumente der indianischen und der ruralen Kulturen. Im Namen
der Akademie trug Herr Peter Rodekuhr ein Dokument über die Notwendigkeit
einer Revision von Theoriemodellen integrativer Politik stammesbezogener
Völker am Beispiel des Denkens von Couto de Magalhães vor.
Es folgen zwei Festvorträge, die grundsätzlichen Fragenkomplexen
der ruralen Volkskultur und der indigenen Welt gewidmet waren.
Frau Prof. Dr. Dr. Julieta de Andrade behandelte Fragen der Geschichte
und der Gegenwart der Trovadores sowie der Symbolik des Cururu-Tanzes
am Beispiel der Region des mittleren Tietê. Herr Valber Dias erläuterte
die duale Organisation des Raumes bei den Krahô-Gesellschaften
und ihre Konsequenzen für eine Weltsicht, die vom Bestreben nach
Harmonie der Gegensätze und des Friedens gekennzeichnet ist. Die
Sitzung wurde von Musikvorführungen der anwesenden Krahô- und
Xerente-Indianer unterbrochen. Schließlich traten renommierte
Gitarristen-Duos auf, die kulturgeschichtlich relevante Beispiele
der Viola-Tradition sowie neue Kompositionen vortrugen.
Die Sitzungen des 21. Septembers, die ebenfalls im Rathaus der
Stadt Joanópolis stattfanden, beinhalteten die Darstellung eines
vergleichenden Projekts über den Tanz der Carimbó im Staat Pará.
Thematisiert wurden die transregionalen Grundstrukturen dieses
Tanzes sowie seine Ausdifferenzierung in der Amazonas-Region,
die offenbar auf den Einfluß von Umweltfaktoren zurückzuführen
ist. Im Bereich der indigenen Kulturforschung wurde die während
des Kolloquiums in Europa behandelte Frage nach Dokumentarfilmen
als historische Quelle für Wissenschaft und Rekonstruktion indigener
Geschichte und Identität den brasilianischen Interessenten erläutert.
Dabei wurden historische ethnographische Filme aus verschiedenen
Epochen der Filmgeschichte gezeigt und kommentiert.
Am Nachmittag wurde ein Ausflug zum Wasserfall "dos Negros" zur
symbolischen Vorbereitung auf die Problematik afro-amerikanischer
Themen unternommen, die am nächsten Tag kurz diskutiert werden
sollten. Leider verhinderten die Wetterverhältnisse die Durchführung
des Kulturprogramms sowie der festlichen Kulthandlung für Reiter
im Freien.
Die Feier am Sonntag, den 22. September, fand in der Stadt Bragança
Paulista statt. Sie wurde mit einem Hochamt in der Kapelle des
Tagungszentrums St. Augustin eröffnet, das musikalisch vom Chor
Kyriale des Kulturhauses Demetrio Kipman umrahmt wurde. Bei der
Messe trug der anwesende Sänger der Krahô Instrumentalmusik des
Stammes vor. Anschließend fand die Sitzung mit Aufführungen verschiedener
Chöre und Tanzgruppen der Stadt im Saal des Tagungszentrums statt.
Sie wurde durch Reden von Prof. Amauri Sodré da Silva, dem Vize-Prefekten
der Stadt und Vorsitzenden des Kuratoriums der Stiftung für Hochschulstudien,
sowie von der Vorsitzenden dieser Stiftung, Frau Prof. Vera Lucia
Frangini, eröffnet. Der Vorsitzende der Akademie Brasil-Europa
hielt eine Rede über die regionale und lokale Musikgeschichte
im Rahmen historischer Analysen von Mobilitäts-, Vernetzungs-
und sozialer Differenzierungsvorgängen und hob dabei die musikgeschichtliche
Bedeutung von Bragança Paulista hervor. Es folgten Darstellungen
der Gruppe Afro-ARCAB, die sich der antidiskriminatorischen Kulturpolitik
hinsichtlich Gruppen mit afro-brasilianischer Kulturidentität
widmet. Die Verantwortliche für diese Initiativ hob die Bedeutung
dieser kulturinszenatorischen Arbeit für die politische Strategie
hervor. Anschließend stellte der Chor Vozes EnCanto von Bragança
eine Choreographie über Krahô-Lieder vor, die von den anwesenden
Krahô-Indianern beobachtet und kommentiert wurde. Es wurden auch
Kompositionen von Osvaldo Lacerda und der Hymnus an Bragança vorgetragen.
Die Sitzungen wurden von einem Festessen mit den Professoren der
Fakultäten von Bragança und Autoritäten von Stadt und Region abgeschlossen.
Am Nachmittag wurden die Kongreßteilnehmer und die Vertreter von
Kultureinrichtungen der Region zu einem Empfang am Brasilianischen
Institut für Musikwissenschaftliche Studien eingeladen. Zuvor
wurden die Archive mit historischen Dokumenten über das Musikleben
des Hinterlandes Brasiliens des 18. und 19. Jahrhunderts besichtigt.
Congresso de Estudos Euro-Brasileiros 2002
Akademie Brasil-Europa/I.B.E.M.
Da publicação:/Aus der Veröffentlichung:
Musik, Projekte und Perspektiven. A.A. Bispo u. H. Hülskath (Hgg.).
In: Anais de Ciência Musical - Akademie Brasil-Europa für Kultur-
und Wissenschaftswissenschaft. Köln: I.S.M.P.S. e.V., 2003.
(376 páginas/Seiten, só em alemão/nur auf deutsch)
ISBN 3-934520-03-0
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