Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria científica
© 1989 by ISMPS e.V. © Internet-edição 1999 by ISMPS e.V. © 2006 nova edição by ISMPS e.V.
Todos os direitos reservados


»»» impressum -------------- »»» índice geral -------------- »»» www.brasil-europa.eu

No. 87 (2004: 1)


 

    Entidades promotoras
    Akademie Brasil-Europa
    I.S.M.P.S. e.V./I.B.E.M.: Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes/Instituto Brasileiro de Estudos Musicológicos
    ACDG: Associação Cultural Cante e Dance com a Gente (Novo Hamburgo RS)
    Institut für hymnologische und musikethnologische Studien e.V. (Maria Laach)

    Direção geral
    Dr. Antonio A. Bispo
    Direção Forum RS
    Dra. Helena de Souza Nunes, Rodrigo Schramm

© Foto: H. Hülskath, 2002
Archiv A.B.E.-I.S.M.P.S.

 

ERNEUERUNGSDYNAMIK VON MUSIK- UND KULTURWISSENSCHAFT AUS INTERNATIONALEN VERNETZUNGEN UND SOLIDARITÄTEN:
ZUR NOVA MUSICOLOGIA/NEW MUSICOLOGY/MUSICOLOGIE NOUVELLE

Aus dem Vortrag im Rat der Stadt Guarujá

Antonio Alexandre Bispo

 

Bislang fehlen den Studierenden der Musikwissenschaft im deutschsprachigen Raum ausreichende Informations- und Diskussionsmaterialien über aktuelle, grenzüberschreitende Projekte und Konzepte, die anhand konkreter Beispiele Ansätze und Orientierungshilfen für fundierte Auseinandersetzungen mit einer Geschichtswissenschaft der Musik bieten, wie sie sich in den letzten dreißig Jahren immer mehr wissenschaftstheoretisch und methodologisch erneuert. Diese Regenerierung des Faches, die sich stürmisch vollzieht, verlangt die Berücksichtigung aus musikwissenschaftlicher Sicht von Themenkomplexen, die fachübergreifend sind und deren Erforschung und Analyse selbstverständlich voraussetzt, daß eurozentrische Einschränkungen der Perspektiven aufgegeben werden.

Reflexionen und Debatten in musikwissenschaftlichen Seminaren deutscher Universitäten, die sich Fragen einer Musikgeschichte in globalen Zusammenhängen unter Beachtung rezenter wissenschaftstheoretischer Entwicklungen der Kulturwissenschaft widmen, müssen sich fast ausschließlich auf die Rezeption nordamerikanischer Publikationen stützen. Ausgangspunkt der in diesen Vorlesungen und Kolloquien reflektierten Entwicklung des musikgeschichtlichen Denkens, die im allgemeinen dem Stichwort "New Musicology/Nova Musicologia/Musicologie Nouvelle" subsumiert wird, war allerdings eine Bewegung, die in den sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts in Brasilien zur Gründung eines Zentrums für Musikforschung im Rahmen einer kulturwissenschaftlichen Organisation für die Analyse soziokultureller Diffusionsprozesse führte, die auch die theoretisch reflektierte, partizipative Aktion in der Dynamik des Kulturwandels förderte.

Diese Bewegung, die sich keinesfalls allein auf lokale, regionale oder nationale Problemstellungen beschränkte, entsprach Erneuerungsbestrebungen der Kulturwissenschaften, vor allem der Volkskunde und der Kunst- und Architekturgeschichte, der Soziologie und der Kommunikationswissenschaft. Geisteswissenschaftiche Orientierungen, wie sie vor allem in Kreisen deutscher Immigranten seit Jahrzehnten wirksam waren, wurden in ihren Prämissen neu diskutiert und als historische Erscheinungen der Geschichte des Denkens relativiert. Ein erstes Programm für die Erneuerung der Denkmodelle in der Immigrations- und Kolonialismusforschung wurde auf den Weg gebracht. Im akademischen Bereich führte diese Bewegung 1972 zur theoretischen und methodologischen Erneuerung des Faches Musikgeschichte in der Hochschule für Musik und Kunsterziehung São Paulos, indem in interdisziplinärem Zusammenschluß mit Musikethnologie und Musikästhetik traditionelle Ansichten der Historiographie des Modernismus über nationale Musikkulturen und Unterscheidungskategorien zwischen Kunst-, Volks- und Popularkultur zugunsten eine Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf die Dynamik der Kulturformung kritisch reflektiert wurden.

Dadurch wurden zahlreiche neue Denkansätze und Forschungsrichtungen in Musik- und Kulturgeschichte initiiert, die später in Auseinandersetzung mit Theoriemodellen, Begriffen und Denkströmungen anderer Netzwerke der internationalen wissenschaftlichen Arbeit eine Eigendynamik entwickelten. Die Diskussion der unterschiedlichen theoretischen Ansätze der musikgeschichtlichen Forschung und Analyse, die Klärung differenzierender Begrifflichkeit, die plurale Methodenbildung und die Auswahl von Themenkomplexen wurden seitdem in zahlreichen Kongressen, Tagungen, Kolloquien und Konferenzen vorangetrieben.

Dem widmet sich die Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft, die auch die Erforschung und Analyse der wissenschaftssoziologischen Prämissen der Entwicklung und der Dynamik des wissenschaftlichen Arbeitens mit ihren Konsequenzen für die Akzeptanz von Ansätzen und Denkmodellen innerhalb internationaler und interdisziplinärer Vernetzungen fördert.

Bei allen Differenzierungen von Ansätzen, Theorien, Methoden und bei aller Pluralität der untersuchten Problemfelder, die kulturwissenschaftliche Aufgabestellung implizieren, bleibt als Konstante in der Arbeit der Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft die Grundannahme, die sie aus ihrer alten Geschichte herleitet, sie prägt und von anderen Institutionen unterscheidet, daß die Musik nicht nur als ein Element der Kulturgeschichte dieser zu subsumieren ist, sondern daß sie als eine fundamentale Kategorie der Wissenschaft und der Kulturanalyse selbst anzusehen ist.

Diese axiomatische Annahme basiert auf der Einsicht von einer notwendig - allerdings reflektiert - anzustrebenden Kohärenz des Denkmodells mit ältesten Auffassungen von Musik im System des Wissens, wie es im quadrivialen Rahmen repräsentiert wurde, um geeignete Kriterien des wissenschaftlichen Vorgehens zu entwickeln, die eine angemessene Betrachtung von Musik- und Kulturphänomenen gewährleistet, welche in antiken und abendländischen Traditionszusammenhängen stehen oder zumindest in diese partiell einzuordnen sind.

Diese axiomatische Annahme erforderte konstante philosophische Reflexionen über das Quadrivium-Modell und führte die Diskussionen zunehmend in Richtung einer philosophischen und symbolischen Anthropologie, in der die Musik in engem Zusammenhang mit dem Mens-Begriff reflektiert wurde. Die Musikgeschichte tritt damit immer mehr in die Nähe einer Mentalitätsgeschichte bzw. einer geschichtlichen Analyse von Differenzen der Mentalitätszustände von Individuen und Gruppen in bestimmten Situationen kollektiver Repräsentationen. Die Mens erscheint grundsätzlich in einem Zustand der Instabilität, deren Variierungen bzw. Niveaudynamik im individuellen und sozialen Leben innerhalb eines definierten zeitlichen und räumlichen Kontextes analysiert werden soll. Zu untersuchen ist beispielsweise, inwieweit durch die Analyse des Verhältnisses zwischen 1. einer Kultur des Arbeitslebens, 2. einer solchen der kultischen und außerkultischen rituellen Handlungen sowie 3. logos- oder 4. willensbetonten Repräsentationen in den symbolischen Darstellungen Chiffren erkennbar werden, die Aussagen über den Zustand der Mens in bestimmten geschichtlichen Situationen ermöglichen. Bei einem solchen Verständnis von Musik- und Kulturgeschichte, deren Aufmerksamkeit auf die Interaktivität zwischen dem Arbeits- und Geisteslebens und den damit in einem dynamischen Komplex zusammenhängenden vernunfts- und willensbestimmten Kräften ist die interdisziplinäre Arbeit eine selbstverständliche Notwendigkeit. Unter anderem muß der geschichtlichen Gender-Forschung eine besondere Bedeutung zugewiesen werden, da die Identifizierung der Zeichen symbolischer Ordnungen meist über Gender-Kategorien erfolgt.

Die aktuelle Situation der internationalen Studien ist durch die fach- und wissenschaftssoziologisch bedingten Unterschiede bei den Ansätzen, bei der Begrifflichkeit und bei der Theoriebildungen sowie durch die Vielfalt der Themenauswahl gekennzeichnet. Im Zentrum der Diskussionen steht die Frage, wie sich alte und neue Positionierungen, deren Aufmerksamkeit sich auf das Wesen der Musik richten, d.h. die "essentialistisch" orientiert sind, gegenüber denjenigen, die die Musik als Produkt kultureller Konstruktion betrachten, legitimieren und verhalten. Die Möglichkeit - ja die Notwendigkeit - einer Interdependenz beider Sichtweisen wird zunehmend akzeptiert, es fragt sich jedoch, wie sie in ein kohärentes Theoriemodell integriert werden können.

 

Alguns textos dos anais do Congresso foram publicados em:/Einige Texte der Annalen des Kongresses wurden veröffentlicht in:
Musik, Projekte und Perspektiven. A.A. Bispo u. H. Hülskath (Hgg.).
In: Anais de Ciência Musical - Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft. Köln: I.S.M.P.S. e.V., 2003.
(376 páginas/Seiten, só em alemão/nur auf deutsch)
ISBN 3-934520-03-0

Pedidos com reembolso antecipado dos custos de produção e envio (32,00 Euro)
Bestellungen bei Vorauszahlung der Herstellungs- und Versandkosten (32,00 Euro):
ismps@ismps.de
Deutsche Bank Köln (BLZ 37070024). Kto-Nr. 2037661

Todos os direitos reservados. Reimpressão ou utilização total ou parcial apenas com a permissão dos autores dos respectivos textos.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Wiedergabe in jeder Form oder Benutzung für Vorträge, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Autoren der jeweiligen Texte.

 

zum Index dieser Ausgabe (Nr. 87)/ao indice deste volume (n° 87)
zur Startseite / à página inicial
Editor