Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria científica
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No. 85 (2003: 5)


 

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    Dr. Antonio A. Bispo
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Sitzung im Rathaus von Joanópolis
© Foto: H. Hülskath, 2002
Archiv A.B.E.-I.S.M.P.S.

 

COMMENDATIO ANIMAE IN SANTANA DO JANACRÉ

[Zusammenfassender Bericht]

Zuleika de Paula

 

Die Bezeichnung "Empfehlung der Seelen" (Commendatio animae) wird auf Gruppen von Menschen übertragen, die sich während der Karzeit versammeln und zu späten Stunden der Nacht auf die Straßen begeben, um für die Seelen, die sich in der Hölle oder im Fegefeuer befinden oder durch die Welten irren, zu beten und zu singen.

Die Seele jener Menschen, die nicht eines natürlichen Todes sterben, sollen nämlich die Lebenden plagen. Deshalb scheint es notwendig, für sie zu beten und stellvertretend zu büßen, damit sie in Frieden ruhen können.

Die "Empfehler" von Seelen aus Santana do Jacaré erscheinen in der Stadt mittwochs und freitags mit weißen Bettlaken umhüllt, als ob sie Totenhemden trügen. Sie singen und beten an Kreuzungen, vor Wegekreuzen und Kapellen. Sie vollziehen zwischen drei und neun Stationen - es muß eine ungerade Zahl sein - und gehen schweigend und mit gesenktem Haupt.

Zu Beginn und am Ende einer Station spielen sie Klapper und Stierhorn. Sie beten für die Seelen derjenige, die ertrunken, verbrannt, aufgehängt, gelyncht oder ermordet wurden, bei Unfällen starben oder Selbstmord begangen haben.

Sie glauben, beim Gehen nicht nach hintern schauen zu dürfen, denn sonst würden sie die Seelen sehen, die sie begleiten. Die Menschen in den Häusern, die die Klappern und die Gesänge hören, schließen die Türen und verharren in Stille oder im Gebet, bis sich die Gruppe entfernt hat. Sie gehen davon aus, daß sie den Zug der Seelen sehen würden, wenn sie der Gruppe bei ihrer Verrichtung zuschauen würden.

Es ist üblich, daß sie den Pönitenten Essen und Trinken anbieten, damit sie dann gestärkt ihre wandernden Empfehlungen fortsetzen können.

Das Kantatorium ("cantoria") obliegt einem Solisten - einer Art Führer -; die anderen, der ihm gehorchen, nehmen an dem Chor teil.

Die Empfehlung der Seelen kann auch andere Bezeichnungen erhalten, wie Predigten der Seelen, die Seelen legen, Aufträge der Seelen, "amenta" oder Lamentierung der Seelen. In der katholischen Kirche bedeutet "amenta" das Gebet für einen Verstorbenen oder ein Almosen, das den Geistlichen für das Gebet für die Seelen gegeben wird.

Dies ist die basale Struktur dieses Kulturphänomens. In seiner Dynamik können allerdings weitere Einzelheiten und Variationen erscheinen.

Zur Geschichte

Die Tradition wurde von den portugiesischen Kolonisten eingeführt und geht auf mittelalterlicher Praktiken zurück. Rossini Tavares de Lima verwies in seiner Monographie über das Thema auf die Erwähnung von Teófilo Braga, wonach der älteste Hinweis auf diese Praxis aus Coimbra des Jahres 1515 stammt. Ein Afonso Fernandes Barbus aus Penafiel pflegte 1579 Seelen zu empfehlen: von Beruf Schmied, soll er nach Viterbo die fromme Tradition erfunden haben, nachts zum Klang eines Handglöckchens für die Seelen zu beten.

Dieser Brauch wird für das 17. Jahrhundert von Francisco Manoel de Melo in seinem Werk "Fidalgo Aprendiz" bestätigt, in dem er den Anfang des Gebetsaufrufs erwähnt: "Erinnere an die Seele, die sich im Feuer befinden …"

Margot und Jorge Dias schließen aus ihren Studien in "A encomenda das almas" (Porto: Imprensa Portuguesa, 1953), daß der Ursprung dieser Sitte möglicherweise in einem öffentlichen Amt lag, das es in Spanien bis in das 18. Jahrhundert hinein gab und in Santiago de Compostela als "de nulidor" oder "coquin" bezeichnet wurde. Der damit Beauftragte ging bei Anbruch der Nacht aus, um die Seelen zu empfehlen, indem er ein Glöckchen spielte und um ein Vater Unser und ein Ave Maria für diejenigen bat, die sich im Fegefeuer befinden; dabei erinnerte er die Bürger auch daran, auf Brandherde zu achten.

Diese Praxis soll populär geworden sein und bei diesem Vorgang andere traditionelle Elemente inkorporiert haben; in ihrer Dynamik soll sie sich bis in die heutige Zeit neu formiert und reformuliert haben. Nach den Experten ist diese Praxis heute in Spanien und im übrigen Europa ausgelöscht. In Portugal wurde sie zwar von der Kirche abgeschafft, ist aber im Volk vom Norden bis zum Süden des Landes verblieben.

Für weitere Einzelheiten sei auf das Lexikon für Folklore von Luís da Câmara Cascudo verwiesen.

Portugal

Bereits vor Margo und Jorge Dias widmete sich Jaime Lopes Dias der Untersuchung dieser Praxis und hob dabei hervor, daß sie in Regionen der Beira Baixa, im Vale do Lobo, in Idanha und Nova Portugal gepflegt wird.

Es handelt sich dabei um Frauen, die die Glockentürme von Kirchen oder sonstige hohe Orte besteigen, um in den Nächten der Karzeit zu singen und zu beten. Nach diesem Autor ist dies im ganzen Land eine sehr verbreitete Tradition, die jedoch in Spanien und im übrigen Europa unbekannt ist. Er weist auf ihre Pflege auf den atlantischen Inseln und in Brasilien hin und erinnerte daran, daß es in den Balkan-Ländern die Lamentation für die Toten gibt, die allerdings aus Gesängen und Klagen bestehen, die einer besonderen Seele gewidmet sind, so daß sie mit diesem Brauch nicht verglichen werden können.

"Ich bitte darum, meine Brüder / Kinder des Hl. Josephs / beten wir ein Vater Unser / für die Seelen, die noch stehen. // Ich bitte darum, meine Brüder / hier in diesem Auditorium / laßt uns ein Vater Unser beten / für die Seele des Fegefeuers."

Diese beiden vom Autor aufgeschriebenen Strophen seien hier erwähnt, um mit den folgenden Daten verglichen zu werden.

1945 wies Luís Chaves in seinem Buch "Folclore religioso" auf den Brauch "amentar as almas" hin, ein Totenkult, der vor Wegekreuzen abgehalten wurde. Gruppen von Männern und Frauen gingen dabei durch die Straßen, hielten an Kreuzungen, beteten und beklagten weinend die Toten. Einer der Verse lautet: "Ich bitte darum, meine Brüder / hier in diesem Raum / laßt uns ein Vater Unser beten für die Seelen im Fegefeuer."

Es handelt demnach um einen analogen Text.

Die Studien in Portugal wurden von Augusto César Pires de Lima und Alexandre Lima Carneiro vorangetrieben (Douro Litoral III-IV, 4. Reihe, Porto 1951).

Brasilien

Saint'Hilaire erwähnt in seinem Reisebericht, daß er in Minas Gerais Aufzüge durch die Straßen erlebte, die er "Prozessionen der Seelen" nannte. Als er sich in Vila do Príncipe zur Karzeit befand, beobachtete er, daß dreimal in der Woche diese religiöse Praktiken abgehalten wurden. Sie hatten zum Ziel, für die Rettung der Seelen im Fegefeuer zu beten. Sie wurden in der Regel von dem Geräusch einer Klapper angekündigt und wurden von Männern mit guter Stimme gesungen. Saint'Hilaire beobachtete diese Prozessionen auch in Itabira.

Eine der ältesten Beschreibungen ist die von Mello Morais Filho, die ausdifferenzierte Elemente erwähnt. Er beschreibt Pönitenten mit Röcken und Dornenkronen, die sich vor Kreuzen und Oratorien geißelten. Der Aufzug wurde von Musikinstrumenten, vor allem Kontrabässen, Geigen, Klappern und Glöckchen, begleitet. Es wurde als Sünde angesehen, Fenster und Türen zu öffnen; man hatte aber sowieso Angst davor, die Seelen zu sehen.

Pereira da Costa bestätigte zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Vorkommen dieses Brauchs auch in Pernambuco. Alceu Maynard de Araújo beobachtete ihn in den fünfziger Jahren in Tatui sowie in Rendeção da Serra im Staate São Paulo.

Rossini Tavares de Lima untersuchte diese Praxis mit einer Forschergruppe in verschiedenen Orten der Staaten São Paulo und Minas Gerais: Pirangi, Itaberá, Rio Branco, Lima, Novo Horizonte, São Manoel, São Joaquim da Barra, Vargem Grande do Sul, Laranjal, Franca, Pereiras, Santa Rosa do Viterbo und Ponte Nova.

Aus dem Jahre 1947 stammt die Monographie von José Nascimento de Almeida Prado, in der diese Tradition der Karzeit ebenfalls beschrieben wird. Die Daten decken sich mit denen, die bei der Forschung in Santana do Jacaré erhoben wurden.

1966 erforschte Kilza Setti diese Tradition in Lindóia und Socorro. Der veröffentlichte Text des Hauptthemas entspricht dem in Santana do Jacaré.

Elias Xidieh publizierte 1972 eine Forschung, die in der Region von Jardinópolis durchgeführt wurde. Hier erscheint der Brauch unter der Bezeichnung "Devotion der Seelen" oder "Gesang der leidenden Seelen". Einige Angaben aus dieser Forschung sind ganz unterschiedlich zu denen, die aus dem jetzigen Forschungsprojekt stammen. So treten in der Gruppe ein Viola-Spieler und eine Figur - der Schläger - auf, der die Funktion hat, neben dem Singen auch mit einem Stock die Hunde zu verscheuchen.

Unter der Bezeichnung "Pönitenten" oder "Speisung der Seelen" wird dieser Brauch von Francisco Pereira da Silva als Akt persönlicher Buße gedeutet. Der "Empfehler" ging nachts zum Friedhof und geißelte sich während des Gebets. Als dieser Brauch kollektiv wurde, wurde er nicht mehr auf den Friedhöfen abgehalten und erhielt musikalische Begleitung von Klappern und Gesang. Dieser Autor erwähnt den Roman Paracoera von Lauro Palhano, in dem beschrieben wird, wie in Salitre (Bahia) am Aschermittwoch die Gläubigen zum Friedhof gingen und dabei makabre Gesänge und den Benedictus anstimmten.

Im Norden und Nordosten weisen diese Praktiken Charakterisken einer individuellen Übung mit Flagellationen auf, sie können aber auch in der hier beschriebenen Art und Weise vorkommen. Dies ist der Fall bei der von Carvalho Dada beschriebenen Tradition von Sergipe, wo die Empfehlung der Seelen am Karfreitag abgehalten wird.

Lilian Argentina übermittelte Daten aus Rio Grande do Sul, die in einer Monographie von Paulo Roberto Pedroso der Musikfakultät von Palestria, Porto Alegre, 1982 erschienen sind. Die Gruppe nennt sich hier "terno" und wird von einem "Kaplan" angeführt. Das einzige Instrument ist die Klapper. Das Ritual beginnt am Friedhof oder vor einem Wegekreuz. Auch hier wird für die Seelen im Fegefeuer und in der Wüste sowie für die verlorenen Seelen, die mit der Klapper herbeigerufen werden, gebetet.

In Soledade konnte eine Erscheinungsweise dieser Tradition eingehend beobachtet werden. Die Tür des Hauses, vor dem gebetet wird, bleibt verschlossen, damit die Seelen keinen Einwohner mitnehmen. Nach der Empfehlung lassen die Teilnehmer Kopfbedeckungen und Klappern draußen und betreten das Haus.

Wie in Santana do Jacaré endet der Umzug auf einem Friedhof. Dieser Tag heißt auch hier "entrega". Wenn sich verschiedene Gruppen begegnen, dann kommt es zu einem Wettstreit zwischen den Anführern, um festzustellen, wer effizienter beten kann. Der Verlierer wird sich dann dem Sieger als Begleiter unterordnen.

Nach einem Informanten aus der Gemeinde Anhembi, der auch der Folia des Heiligen Geistes angehört, wird diese Praxis vor allem in ruralen Regionen gepflegt, und es werden dabei in der Regel sieben Häuser besucht. Auf jeden Fall handelt es sich immer um eine ungerade Zahl von Stationen. In der Karwoche wird von Aschenmittwoch an jede Nacht gebetet. Der Beginn an einem Mittwoch von symbolischer Bedeutung. Wenn man mit dieser Gebetsreihe begonnen hat, darf sie nicht mehr unterbrochen werden. Früher wurden die Gruppen nicht in den Häusern empfangen, heute dagegen werden sie nach dem Gesang zu Speise und Trank eingeladen. Auch hier dürfen sie nicht nach hinten schauen, und beim Vorbeiziehen der Gruppe werden alle Türen und Fenster geschlossen. Der Anführer heißt hier Kaplan oder Meister der Empfehlung. Früher soll keine Viola bei diesen Praktiken verwendet worden sein, da jedoch der Informant als Mitglied der Folia des Heiligen Geistes dieses Instrument beherrscht, hat er sie hier eingeführt. Es handelt sich jedoch um eine Neuerung, denn die Instrumente dieser Praxis sind auch hier traditionell die Klapper und das Schwirrholz. Die Weitergabe der Gebete und der Prkatiken erfolgt in mündlicher Überlieferung. Junge Leute tendieren dazu, die Tradition abzulehnen. Selbst die Teilnehmer tragen heute kein Leichentuch mehr. Die überlieferten Verse für den Beginn und den Abschluß dieser regionalen Tradition sind den Texten anderer untersuchter Erscheinungsweisen des Brauchs ähnlich.

Diese Daten vervollständigen die Angaben anderer Volkskundler. Zu erwähnen sind z.B. die Ergebnisse der Forschungen von M. da Glória Carvalho Tereza für die Gemeinden Cabo Verde, Alterosa und Nova Rezende in Minas Gerais sowie Caconde in São Paulo. Auch José Vieira da Silva übermittelte Daten aus Forschungen in einem Sítio Piranguinha in Conselheiro Lafaiete, einer Stadt in Minas Gerais.

Donald Pierson berichtete über das Ritual der sieben Stationen, bei dem eine Gruppe in einer Prozession von einem Friedhof oder einer Kapelle aus sieben Kreuze am Wegesrand besucht. Sie schreitet schweigend und betet vor diesen Wegekreuzen. Diese Devotion ist von der Empfehlung der Seelen zu unterscheiden, auch wenn sie während der Karzeit stattfindet. Die Empfehlung wurde nach diesem Autor nur von Männern durchgeführt, die zum Klang der Klapper für die Seelen der Ertrunkenen beteten und dabei nicht nach hinten schauen durften.

Maria Salete P. de Castro sammelte in Lençóis, Bahia, Informationen über eine Bruderschaft von Frauen, deren Aufgabe das Beten eines Vater Unsers für die Seelen war. Die Devotion heißt hier "Speisung der Seelen", da sich die Seelen von Gebeten ernähren wie die Lebenden von Speisen. Umhüllt von weißen Leichentüchern besuchen sie drei oder fünf Kreuzungen am Montag, Mittwoch und Freitag und beten dabei für die Ertrunkenen und die ohne Beichte Gestorbenen. Die siebte Station ist dort in der Kirche in Anwesenheit des Priesters und der Gemeinde. Dies ist die einzige Information über eine aktive Teilnahme von Geistlichen an diesem traditionellen Brauch. Obwohl nämlich die Commendatio animae eine Praxis von Katholiken ist, wird sie vom Klerus nicht gern gesehen. Einige nehmen gegenüber diesen Traditionen eine paternalistische Haltung der Duldung an, andere versuchen, sie zu verbieten. Sie stellen ihre Haltung nicht in Frage und erwägen nicht, ob sie nicht Ausdruck eines ethnozentrisch bedingten Vorurteils ist. Sie vergessen, daß die katholisch geprägte Kultur Brasiliens eher Volkskatholizismus als Ausdruck einer angeblichen Hochkultur der Amtskirche ist (Lima & Andrade, 1983).

Diese intime und familiäre Umgangsform mit der Religion wurde vor allem von Sérgio Buarque de Holanda behandelt, der auf die auf das Mittelalter zurückgehenden Differenzen der Religionsausübung hinweist. Für Carrato jedoch handelt es sich dabei schlicht um den einfachen und natürlichen Glauben portugiesischer Art. Entgegen einer komplexen und rigiden Struktur des Glaubens der Amtskirche hätte das portugiesische Volk eine Religiosität entwickelt, die eher veräußerlicht und gefühlsbetont ist. Dieses lusitanische Erbe wurde von den Kolonien übernommen und durch den Einfluß anderer Kulturströmungen gewandelt. Heute werden Untersuchungen über die Ursachen dieser intimen, familiären Positionen gegenüber der Religion vor allem von Julieta de Andrade durchgeführt.

Zum Ort der Beobachtungen

Die Gemeinde Santana do Jacaré befindet sich im Westen des Bundesstaates Minas Gerais in der Quellregion mehrerer Flüsse. Sie grenzt an die Gemeinden Campo Belo, Perdões, Cana Verde, Santo Antonio do Amparo, Candeias und São Francisco de Paula. Die Stadt befindet sich auf der linken Seite des Jacaré-Flusses. Verwaltungsmäßig gehört sie dem Distrikt von Campo Belo an. Ihre Bevölkerung zählt etwa 6000 Einwohner, von denen zirka 1200 in ländlichen Gebieten leben. Die Gemeinde lebt von der Landwirtschaft und Viehzucht. Sie baut Kaffee, Getreide und Tabak an. Die Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse erfolgt in handwerklicher Art. Das Kulturleben der Stadt beschränkt sich weitgehend auf eine Blasmusikkapelle, die Lira São Geraldo. Alle Fernsehekanäle sind zu empfangen.

Die Gemeinde entstand aus einer kleinen Siedlung an der alten Straße, die Ouro Preto, São João del Rei und Oliveira mit dem Hinterland von Goiás verband. An dieser Stelle gab es eine Möglichkeit, den Fluß zu überqueren, und wohl auch eine Raststelle. Der Ort hieß damals Mato do Jacaré de Tamanduá, da die Region von Wald bedeckt war, der damals der Gemeinde von Tamandaré gehörte. Die ersten historischen Informationen gehen auf die Jahre 1750-59 zurück. Im ältesten Pfarrbuch ist verzeichnet, daß am 19. September 1787 der Kapitän Manoel Ferreira de Almeida und seine Frau Feliciana Cardoso de Andrade der Kapelle ein Grundstück für die Gründung der Siedlung gestiftet hatten. Zu dieser Zeit gab es bereits eine Kapelle, die deren Bau 1750 begonnen und 1752 beendet wurde. Man weiß wenig über die historischen Grundlagen. Vielleicht war ein "Jangada" genannter Manoel Ferreira Carneiro - der Vater des Stifters - derjenige, der die Siedlung initiierte.

Die Bezeichnung Santana do Jacaré geht auf das Jahr 1887 zurück, als der Distrikt gegründet wurde und die hl. Anna als Schutzpatronin erhielt. 1923 wurde der Name offiziell in Corredeiras umgewandelt, was allerdings von der Bevölkerung nicht angenommen wurde. Am 9. September 1924 wurde der Ort per Gesetz erneut umbenannt. Als Verwaltungsbezirk wurde er erst am 12. Dezember 1953 errichtet und von der Gemeinde Campo Belo abgetrennt.

Es handelt sich um eine sehr kleine Stadt, deren einzige Attraktionen zwei Plätze mit ihren Gärten sind. Die Kirchen sind der hl. Anna und Unserer Frau des Rosenkranzes gewidmet. Beide sind Kolonialbauten, die allerdings starke Veränderungen erfahren haben. Die Bebauungen besteht aus Häusers der Kolonialzeit, einfachen Lehmhütten in der "pau-a-pique"-Technik und wenigen aus Mörtel. Da sie in verschiedenen Farben angestrichen sind, besitzt der Ort eine bunte und pittoreske Erscheinung.

Der Friedhof befindet sich auf der Höhe eines Berges. In der Nähe gibt es zwar die Kirche einer protestantischen Gruppe ("Assembleia de Deus"), die Kulte während der Woche abhalten, wenn ein Pastor in der Stadt ist. Die vorherrschende Konfession ist jedoch die katholische. Es wurden keine Anzeichen von Rivalität festgestellt, auch nicht bei der Realisierung der Praktiken der Empfehlung der Seelen.

Die Angehörigen der höheren sozialen und okönomischen Schichten leben in den tiefer gelegenen Teilen der Stadt in der Nähe der beiden Plätze und ihrer Gärten. Je höher die Straßen steigen, desto ärmlicher werden die Behausungen. So befindet sich der Friedhof in einer sozialen und urbanen Grenze zur Welt der Ruralität.

Die Bevölkerung besteht vorwiegend aus Menschen aus einfachen Verhältnissen, die im Kaffeeanbau der mächtigen Farmer arbeiten. Sie stehen meist unter der Obhut eines Verwalters. Die Tabakproduktion erfolgt nach traditionellen handwerklichen Methoden in Familiengruppen. Diese Gemeinsamkeit führt zur Entstehung besonderer Charakteristika in der Ausdrucks- und Sprechweise. Personen werden im allgemeinen ohne Nennung von Familiennamen mit Anfügung des Berufes oder des Vornamens der Eltern bezeichnet. Auch Straßen und Plätze werden nach vorherrschenden Geschäften oder Gebäuden benannt. Vom Kirchturm werden über Lautsprecher Ankündigungen und Musik ausgestrahlt. Durch Glockengeläut wird mitgeteilt, ob jemand gestorben oder ob ein Fest angesagt ist. Im Krankheitsfall wird der Apotheker oder ein Beter gerufen, natürliche Heilmittel werden am meisten verwendet.

Für die Kulturforschung sind die Reiterspiele der Cavalhadas zur Karnevalszeit von besonderem Interesse. Sie werden auf einem weiten Feld am Stadtrand durchgeführt. Im Januar werden die Folias de Reis, im Mai das Fest der "alten Schwarzen", im August der "Reinado" gefeiert. Beim volkstümlichen Fest von Unserer Frau von Aparecida am 12. Oktober erfolgt das Ritual des "Fischens der Santa" am Fluß.

Bei den Prozessionen der Karzeit erscheinen nur die "Figurados" mit Darstellungen des Leidenswegs Christi an der Tür der Hauptkirche.

Zu dieser Zeit des Jahres werden die Empfehlungen der Seelen praktiziert, wenn auch das ganze Jahr hindurch der Seelen gedacht wird. Montags werden deshalb die Kirchen oft besucht, in denen Kerzen für die Verstorbenen und für die Seelen angezündet, Almosen gestiftet und Gedächtnismessen gefeiert werden. Die Volksreligiosität des Ortes erhält ihre besondere Eigenart durch die Verehrung des Grabes eines als wundertätig geltenden Vicente da Batista oder Vicentinho, der zu Lebzeit nicht gewachsen war und nicht gehen konnte und so in dem Ruf stand, stets als unschuldiges Kind gelebt zu haben. Er starb im Alter von neununddreißig Jahren im Jahre 1972. Wegen seines Leidens gilt er als im Leben geheiligt. Schwangere Frauen widmen ihm die ersten Speise, die eine Diät einleiten soll, um eine erfolgreiche Entbindung zu gewährleisten. Bei seinem Tod soll er - der bis dahin stumm gewesen sein soll - den Namen seiner Mutter ausgesprochen haben.

Drei Arten von Seelen-Devotionen sind in dieser Gemeinde zu unterscheiden. Die erste bezieht sich auf den Verstorbenen im allgemeinen und wird von der Kirche unterstützt. Die zweite betrifft den Volksglauben über Vicentinho. Die dritte stellt die traditionelle Praxis der Empfehlung der Seelen dar.

Der letzte Tag der Empfehlung der Seelen fällt auf einen Mittwoch, der auch als Tag der Abgabe bezeichnet wird. Die Praktiken finden am Friedhofstor ihren Abschluß. Der Begriff Abgabe bezieht sich in diesem Fall auf die Vorstellung von einem erfüllten Dienst. Er wird nicht nur bei der Empfehlung, sondern auch bei der Erfüllung anderer Gelübde verwendet. Die Teilnehmer versammeln sich im Hause des Verantworlichen. Sie sind in weiße Tücher gehüllt und tragen Blumen und Kerzen. Zunächst ist das Zusammensein entspannt. Gegen 23 Uhr verlassen sie schweigend das Haus. Die Straßen sind in der Regel verlassen und die Häuser verdunkelt. Wenn ein Anwohner zufällig die Gruppe sieht, senkt er sofort den Kopf und entfernt sich. Beim Gehen sind nur die Geräusche des Waldes und der Schritte auf den nicht gepflasterten Wegen zu hören. Da Vollmond ist, ist die ganze Stadt vom Licht des Mondes hell erleuchtet. An der ersten Kreuzung halten die Teilnehmer inne und bilden einen Kreis. Der Anführer weist die Übrigen darauf hin, daß sie von den guten Seelen begleitet werden, und so bitten sie zu Beginn im Namen der Dreifaltigkeit um Gesundheit, Liebe und Frieden. Nach einem Vater Unser wird eine Rede gehalten, in der warnend darauf hingewiesen wird, daß die Empfehlung kein Spiel sei und Respekt erfordere. Es wird darum gebeten, daß sich alle, die sich vergnügen wollten, entfernen sollten. Da es sich um den letzten Tag der Empfehlung handelt, wird betont, daß man sie sehnsuchtsvoll in Erinnerung behalten werde. Der Wunsch wird ausgesprochen, man möge sich im nächsten Jahr wieder lebend treffen.

Nach dem Gebet des Ave Maria und einer Schweige-Minute ertönt die Matraca und alle beginnen, sehr langsam den Ruf-Gesang der Seelen zu singen: "Achte, achte Sünder …". Während des Gesanges wird ein Vater Unser für jede der drei Arten von Seelen gebetet. Anschließend betet man drei Vater Unser für die erwähnten Seelen. Nach dem abschließenden Ave Maria benennt der Anführer denjenigen, der den Gesang intoniert, der von den anderen im Chor beantwortet wird. Schließlich ertönt erneut die Matraca. Der Anführer bittet die Seelen darum, sie zu begleiten. Sie lösen den Kreis auf und gehen weiter, ohne zurückzublicken. Die Häuser mit noch brennenden Lichtern werden verdunkelt. Sobald Hundegebell zu hören ist, beschleunigen sie die Schritte und beten dabei mehrfach das Credo. Diese Worte sollen auch die Macht haben, den Werwolf zu vertreiben. Alle ziehen sich aus Angst enger zusammen. Auch wenn dies niemand zugibt, ist die Furcht eindeutig zu spüren. Das gleiche Ritual wird an denselben Kreuzungen oder Wegkreuzen jährlich wiederholt. Dabei wird stets an acht Stationen gehalten, der neunte Stopp erfolgt am Friedhofstor. Hier wird ausdrücklich auch für kranke Kinder, für Teilnehmer an den Congadas und für eine lange Liste von bereits Verstorbenen gebetet. Man weist die Seelen darauf hin, daß sie an dem Ort abgegeben werden, zu dem sie gehören. Die Seelen werden darum gebeten, die Teilnehmer nicht weiter zu begleiten, aber zu kommen, um den Menschen in Notfällen zu helfen. Zuletzt kann jeder Teilnehmer eine persönliche Bitte schweigend formulieren. Nach einem stillen Gebet werden Kerzen angezündet und auf den Boden vor dem Tor des Friedhofs gestellt. Die Blumen werden über die Mauer geworfen und der Abschiedsgesang angestimmt. Der Anführer verspricht, im nächsten Jahr zurückzukommen, da er unter dem Schutz der Seelen steht. Man singt den Benedictus mit Matraca-Begleitung. Erst dann ziehen die Teilnehmer die Totenhemden aus und zerstreuen sich.

Reflexionen über Forschungsergebnisse

Im Verlaufe der Untersuchungen mußten bisherige historische und hermeneutische Erklärungsversuche revidiert und Analysen des Rituals der Empfehlung der Seelen vorgenommen werden. Das geschichtliche Faktum, daß diese Traditionen von den portugiesischen Kolonisten eingeführt worden sind, ist nicht in Frage zu stellen. Diese geschichtliche Kontinuität wird nicht nur durch die in der Fachliteratur erwähnten und besprochenen Daten, sondern auf Grund der Permanenz von Texten, Gesängen und rituellen Elementen in Europa und in den untersuchten Regionen Brasiliens bestätigt.

Die Sichtweise eines Gilberto Freire, der auf der Grundlage von kulturgeschichtlichen Arbeiten portugiesischer Forscher wie C. Michaelis und J. Leite von einer tiefgreifenden Romanisierung der Iberischen Halbinsel in der Spätantike ausgeht, zwingt die kulturhistorische Forschung zu eine näheren Auseinandersetzung mit der antiken Mythologie, um mögliche Ursprünge dieser rituellen Formen der Interaktion zwischen Lebenden und Toten aufzudecken.

Aus den gesichteten Quellen wurden einige Elemente antiker Kultur ausgewählt, um in deren Licht die bestehenden Vorstellungen und Praktiken in der Gegenwart zu interpretieren. So konnten Erwähnungen aus historischen Quellen und Beobachtungen der aktuellen rituellen Handlungen miteineinander in Beziehung gesetzt werden, was z.B. den Seelenkult im allgemeinen, die Symbolik des Kreises und der Kreuzung, die Abhaltung von Gelübden, spezifische Gebetsarten, Friedhöfe, Rechtsvorstellungen in bezug auf den Himmel, den Brauch, nicht zurückzublicken, das Tragen eines Totenhemdes, die Kerze, den Werwolf, den Hahnengesang und auch die Musikinstrumente betrifft.

In bezug auf den Seelen-Kult konnten in Santana do Jacaré drei Arten von Devotion der Seelen beobachtet werden. Die erste Art ist gleichsam universell, da sie von der Kirche gestützt wird, die seit wohl dem 2. Jahrhundert Totenmessen feiert und Gebete für die Toten kennt. Diese Riten fanden im Volk ihre Auswirkungen. Auf diesen theologisch begründeten Grundvorstellungen basiert auch die Verpflichtung, Gelübde als Danksagung für empfangene Wohltaten zu erfüllen.

Der Seelen-Kult in der untersuchten Region besitzt einen Repräsentanten, nämlich den bereits erwähnten Vicente da Batista oder Vicentinho. Der Beter tritt mit ihm in einen familiär geprägten Kontakt und bespricht die Art und Weise der Danksagung in Form eines Rituals.

Es stellte sich die Frage, wie die an dem Brauch der Empfehlung der Seelen nicht Teilnehmenden diesen wahrnehmen und akzeptieren. Unter den jungen Leuten gibt es unterschiedliche Meinungen. Es ist jedoch zu spüren, daß der Glaube daran selbst bei den Einwohnern der kleinen Gemeinde nachläßt. Die Assimilierung neuer Weltsichten und Lebensformen schreitet unaufhaltsam fort. Die älteren Menschen betrachten allerdings diese Praktiken als selbstverständlichen Bestandteil ihrer religiösen und kulturellen Welt. Sie sind absolut davon überzeugt, daß alle Menschen, die etwa durch Ertrinken, bei Unfällen oder durch Mord sterben, keine Zeit hatten, ihre Sünden zu bereuen, so daß die Seelen vieler von ihnen umherziehen und die Lebenden plagen, damit ihre Schulden beglichen werden. Mit der Teilnahme an dem Ritual der Empfehlung der Seelen versucht man also gleichsam solidarisch und zum eigenen Schutz Frieden für diese verzweifelte Seelen zu schaffen, die letztlich nur die ewige Ruhe suchen. Aus diesem Grund ist die Durchführung des Rituals auch ein Akt der Nächstenliebe. Diese gründet in der Auffassung, daß der Mensch aus Körper und Seele besteht und und beim Tod nur der Körper stribt. Die Seele verfolgt weiter ihren Weg. Wenn sie gut war, geht sie direkt in den Himmel, im anderen Fall in die Hölle. Diejenigen aber, die im Fegefeuer ausharren, haben noch eine Chance, errettet zu werden.

Diese Auffassung vom Menschen hängt nach den Ergebnissen der Befragung mit der Vorstellung zusammen, daß die Seele mit der Luft zu vergleichen ist. Sie ist eine Art Atem, der den Körper als Materie durchzieht und belebt. Aus diesem Grund gehören auch die Danksagungen für die Luft und für den Atem zu den üblichsten gebetsähnlichen Kurzformeln, die alltäglich gesprochen werden.

Die Überzeugung, daß die Seele den Körper nach dem Tod verläßt, hing stets mit den Geheimnissen zusammen, die den Menschen seit altersher mit Sorgen erfüllten. Die Geschichte der damit zusammenhängen Ansichten ist je nach Zeit und Kultur unterschiedlich. Einige Autoren - wie Marcineau - gehen davon aus, daß die Begräbnisriten grundsätzlich Praktiken waren, um den Schatten des Toten endgültig zu beseitigen und den Vampir auszulöschen. Kommemorationen, Feste und Riten, die man kaum noch wahrnimmt, gehen auf den Ursprung des Menschen zurück. Durch Imitation gab der Mensch seine Glaubensinhalte und seine Rituale den folgenden Generationen weiter. Im Verlaufe der Jahre veränderten sie sich durch Aneignung neuer Bilder und Vorstellungen. So können die heutigen Erscheinungsweisen dieser Rituale äußerlich von den alten differieren, in ihren Grundlagen sind sie jedoch dieselben.

[...]

Die Kulturforscher verweisen darauf, daß das Umhergehen im Kreis wahrscheinlich auf frühgeschichtliche Zeit zurückgeht. Der Kreis erscheint in den ältesten bekannten Ritualen verschiedenster Kulturen. Prozessionen, Tänze und Exorzismen erfolgen kreisförmig um etwas herum. Arthur Ramus verwies besonders auf das Umbulatio und das kreisförmige Umhergehen im Mittelalter. Nach der volkskundlichen Tradition in der Nachfolge Saintyves gilt das Kreisen als Schaffung eines religiös-magischen Geistes. Dementsprechend hat die Mehrheit der Kreistänze ihren Ursprung in Ritualen und Gesängen, die mit Magie zusammenhängen. In den verschiedensten Religionen und Völkern finden wir das Symbol des Kreisens - um das Heiligen Grab in Jerusalem, um Buddha in Japan, um die Hindu-Heiligen in Indien, um die Kaaba in Mekka, bei der Pradaxima Indiens und um sakrale Gegenstände bei den Schotten. Die kreisenden Winde sollen nach dem Volksglauben - so in Portugal - von leidenden Seelen verursacht werden, die sich nicht zum Jenseits begeben können und in dieser Weise an den Kreuzungen verweilen.

Was der symbolischen Gehalt von Kreuzungen anbelangt, so werden an ihnen Gesänge und Gebete bei den Empfehlungen vollzogen. Nach den Informanten liegt die Bedeutung der Kreuzungen darin, daß sie kreuzförmig sind und in alle Richtungen zeigen. Die Vorstellung, Kreuzungen seien magisch beladene Orte, wurde von den iberischen Siedlern eingeführt. Câmara Cascudo verwies darauf, daß es diese Idee bei den Indianern nicht gegeben hat und die Afrikaner sie bereits antrafen, als sie nach Brasilien kamen. Als Quelle zitierte er Gil Vicente (Auto das fadas, 1511), wonach eine Hexe (Genebra) aussagte, daß sie zu Nachtstunden auf Kreuzungen umherging, wenn die guten Seelen bereits schliefen. Carolina Michaelis hob die "balborinhos" genannten Windformationen hervor, in denen phantasmagorische Erscheinungen gesehen werden. Kreuzungen sind Orte, die seit der Antike für die Versammlung von Geistern in der Nacht sowie für die Darbringung bösartiger Werke als geeignet angesehen wurden. Sie standen unter der Obhut von Göttern, die dem Quadrivium subsumiert waren und von denen Hekate die bekannteste war, die mit den leidenden Seelen erschien. An Orten, in denen sich Wege kreuzten, hatten auch die Laren ihre Repräsentanten, nämlich die Compitalen. Auch die Römer feierten für sie ein Fest, das unter gleicher Bezeichnung bekannt war und begrifflich auf Kreuzungen hindeutete.

Die Teilnahme an einer Empfehlung der Seelen ist ein devotionaler Akt. Sie kann aber auch eine Art sein, um ein Gelübde zu erfüllen. In diesem Fall setzt man eine gewisse Zahl von Jahren fest (zB. sieben), während der man das Ritual begleitet. Hier erscheint wiederum ein ungerade Zahl mit symbolischen Konnotationen. Die Art und Weise, wie der Pönitent eine erhaltene Gnade "zurückbezahlt", ist unterschiedlich. Sie kann z.B. darin bestehen, daß er ein Objekt einer Kirche schenkt (Ex-voto). Im Fall der Empfehlung der Seelen handelt es sich um Blumen und Kerzen, die vor dem Tor des Friedhofs am letzten Tag hinterlegt werden. Sie dienen der Erfüllung der Versprechungen und auch dazu, die Seelen zu besänftigen. Es ist daran zu erinnern, daß die Darbringung von Ex-votos zu den ältesten Praktiken der Religionen gehört. Die Bibel erwähnt den Todá, die Offerte, der nach langen Seefahrten oder Reisen durch die Wüste, nach einer Erkrankung oder nach Erlangung der Freiheit dargebracht wurde. Bei den Römern gab es die Donaria, Geschenke, die den Göttern als Dank für erhaltene Gunsterweisungen offeriert wurden. Die Objekte hatten die Bezeichnung "ex voto" eingraviert, was bis heute noch in der Volkskultur gebräuchlich ist. Die Gegenstände, die heute noch in den Kirchen, an Kreuzen und auf Friedhöfen hinterlassen werden, können aus dieser Tradition heraus auch dieser Bezeichnung subsumiert werden.

Unter den Gebete gibt es zwei, die bei allen Empfehlungen gesprochen oder gesungen werden: Vater Unser und Ave Maria. Beide gehören zu den ersten Gebeten, die die Menschen in christlichen Regionen lernen. In der Kolonialzeit soll sich die Erziehung zuweilen auf die Erlernung dieser Gebete beschränkt haben. Die Instruktion des Erzbistums Bahia von 1707, die unter dem Erzbischof Sebastião Monteiro Vide vor allem für den Unterricht der Sklaven herausgegeben wurde, sah das Erlernen des Glaubensinhaltes durch Fragen und Antworten vor und erläuterte das Vater Unser und das Ave Maria besonders als Formen des Bittens. In dieser Instruktion werden auch die Seelen behandelt. Auf die Frage, wohin Jesus nach seinem Tod ging, wird geantwortet, er sei in die Unterwelt gegangen, um die guten Seelen zu holen. Auf die Frage, was mit den Seelen schlechten Herzens passiert, wird geantwortet, sie gingen in die Hölle und blieben dort im ewigen Feuer.

Hinsichtlich des symbolischen Charakters des Friehofs beim letzten Akt der Empfehlungen der Seelen ist hervorzuheben, daß das Totenfeld von altersher als der geeignete Ort für den Seelenkult angesehen wurde. Kultur- und Religionsforscher haben auf die Bedeutung von Gräbern in verschiedenen religiösen und kulturellen Kontexten hingewiesen.

(...)


Die Christen bewahrten über die Jahrhunderte die Tradition, für ihre Toten zu sorgen. Die Friedhöfe gelten als geheiligte Orte. Auf ihnen durften keine Körper begraben werden, denen das Recht einer kirchlicher Bestattung nicht zukam, wie z.B. Selbstmördern. Im Mittelalter war es ein Privileg, in den Kirchen begraben zu werden, ein Brauch, der in der Kolonialzeit Brasiliens verbreitet war. Die Bestattung auf Friedhöfen wurde durch königlichem Erlaß von 1801 angeordnet.

Als Folge dieser alten Tradition ist die Praxis anzusehen, bei heutigen Empfehlungen der Seelen am Tor der Friedhöfe Blumen und grüne Zweige zu hinterlassen.

Das Recht, in den Himmel einzutreten, wird u.a. den Seelen der Selbstmörder verwehrt. So erhalten sie während der Empfehlung die meisten Gebete. Durch den unreflektierten Akt verlieren die Selbstmörder das Recht auf Genugtuung und ihre Seelen bleiben in der Schattenwelt. Daraus läßt sich schließen, daß Seelen, die zurückkehren, entweder von Menschen stammen, die Opfer eines Verbrechens waren oder Selbsmord begangen hatten. Die Seele eines Ermordeten verlangt nach Rache. Die Seele eines Ertrunkenen oder eine, die ohne Grab geblieb ist, ist bedürftig und plagt die Menschen nur, weil sie Hilfe benötigt, um in den Himmel zu kommen. Seit den alten Römern waren sie besonders gefürchtet, wenn sie hilflos gelassen wurden. Auch in Indien werden an Orten, an denen Morde begangen wurden, kleine Heiligtümer errichtet (Pudans). Sie entsprechen offenbar unseren Kreuzen am Wegesrand, an denen auch die Gruppen der Empfehlungen singen und beten. In unterschiedlichen Kulturen gibt es besondere Gebete für die Ertrunkenen oder die vom Blitz Getroffenen, da sie keine Zeit hatten, sich innerlich vorzubereiten.

Was den Brauch angeht, nicht zurück zu blicken, so ist er bei allen bekannten Erscheinungsweisen der Empfehlung der Seelen anzutreffen. Er wurde ebenfalls von den ersten Siedlern eingeführt, besteht aber nicht nur bei diesem Ritual. Bei magischen Praktiken, bei Segnungen und sympatethischen Handlungen soll man nicht den ins Wasser oder auf Kreuzugen über die Schulter geworfenen Objekten nachschauen. Câmara Cascudo verwies auf die biblische Stelle (Gn 19,28), in der nach der Zerstörung von Sodoma und Gomorra den Geretteten befohlen wurde, nicht nach hinten zu schauen. Die Frau von Lot wurde wegen der Mißachtung eines solchen Gebotes in eine Salzsäule verwandelt.

Auch in Rom sollte bei einer Opferung an einer Kreuzung nicht zurückgeschaut werden. Auf den Brauch bei den Lemurien wurde bereits hingewiesen.

Die Überzeugung, daß derjenige, der bei der Empfehlung nach hinten schaut, die Seelen sieht, ist bereits aus dem Mittelalter bekannt. Diese phantasmagorische Prozession von Schatten war in Spanien, Portugal und anderen Ländern Europas bekannt. Teófilo Braga verwies auf die Totenprozessionen, die für das Landvolk furchteinflößend waren. Man sah sie an verlassenen Orten, auf Kreuzungen und Friedhöfen. An ihnen nahmen Gestalten mit Kerzen teil, die bei näherer Betrachtung wie menschliche Skelette aussahen. Die Narrativen erzählen von unzähligen solchen furchterregenden Prozessionen und Seelenversammlungen an Glockentürmen der Kirchen. Es bestand der Glaube, daß immer, wenn zu fortgeschrittener Stunden der Nacht Türme und Kirchen in sonderbarem Licht erleuchteten, dieses von einer Messe ausstrahlte, die von einem Priester mir einem Totenkopf zelebriert wird und an der als Gläubige Geister und Phantasmen teilnehmen. Solche Feiern werden in Brasilien und in Portugal als Seelenmesse bezeichnet. In Spanien heißt sie entsprechend "misa de las animas". Hierzu gibt es unter dem Begriff "estatinga" oder "estantinga" eine aufschlußreiche Arbeit von Carolina Michaelis de Vasconcelos, die 1899 in Lissabon erschienen ist. Im Lexikon der Spanischen Akademie erscheint der Begriff als "estantigua" und wird als nächtliche Vision oder Phantasma erläutert. In Galizien erscheint dieser Begriff als "campanha" oder "hueste". Er deutet auf Prozessionen von Hexen hin, die den Weg mit Knochen von Toten beleuchten. Diese phantastischen Aufzüge erscheinen auf Friedhöfen, in Kirchen, Olivenhainen und Pinienwäldern vor allem zur Vigil des Totensonntags, wenn die Manes zurück auf die Erde kommen. Diese werden als hochgewachsene, magere, weiß gekleidete Gestalten beschrieben. Unter ihnen befindet sich auch ein Lebender, der deren Schicksal sieben Jahre lang erleiden muß. Derjenige, der diese Gestalten vor seinem Fenster sieht, ist verloren. Aus dieser Tradition könnte die Observanz stammen, bei den Empfehlungen der Seelen kein Fenster zu öffnen.

Es gibt auch Erscheinungen von Seelen während des Tages, nämlich beim Wirbeln von Wind an Kreuzungen. Dabei soll man sich bekreuzigen und den Namen Jesu aussprechen. Diese Wirbelwinde werden in Portugal nicht nur "balborinhos", sondern auch "avejão" oder "fogachos" genannt. Nach Michaelis handelt es sich dabei ebenfalls um die Seelen der Sünder, die weder in den Himmel eintreten dürfen und noch im Fegefeuer sind und demnach zwischen allen Welten umherirren müssen, bis sie eine Messe erhalten. Hier ist demnach wiederum das Fortbestehen von Vorstellungen festzustellen, die auf die Larven und Lemuren der Antike zurückweisen.

Zu erwähnen ist auch das Tragen von Totenhemden als eine konstante Erscheinung der Empfehlungen der Seelen. Nach den Informanten dient es als Zeichen. Wer den so gekleideten Menschen begegnet, weiß sofort, daß es sich um einen Büßer handelt. Darüberhinaus ist dies bereits ein traditioneller Brauch, der nicht mehr hinterfragt wird. Die Totenhemden dieser Praktiken wurden bereits mit der Kleidung der sogenannten Farricocos verglichen, jener Kapuzen tragenden, umhüllten Gestalten der Prozessionen der Karwoche, die in einigen Orten den Tod versinnbildlichen.

Bei der Erfüllung ihrer Plichten tragen übrigens auch die muslimischen Pilger ein besonderes Kleid, das "ihram" genannt wird und aus zwei Teilen von weißem Wollstoff besteht. Auch hier scheint diese Art der Kleidung zeichenhaft zu zeigen, daß der Betreffende sich in einem Zustand der Weltabgewandheit befindet bzw. sich von der Welt entfernt hat.

Das Totenhemd in christlichen Bräuchen geht zunächst auf jüdische Kulturüberlieferung zurück - man denke lediglich an das Tuch, in dem Jesu begraben wurde. In den Praktiken der Empfehlung der Seelen erscheint das Totenhemd als Zeichen der Pönitenz und identifiziert den Gläubigen als jemanden, der für die guten Sitten betet. Es findet sich auch in anderen Kontexten. So versprechen Gläubige von Anhembi (São Paulo), die ein Gelübde an den Heiligen Geist abgelegt haben, ein Totenhemd selbst zu besticken. Dieses Tuch wird dann bei der eigenen Bestattung getragen.

Ein bedeutendes Element des Rituals ist die Kerze, die bei der untersuchten Erscheinungsweise der Tradition am letzten Tage erscheint, wenn die Zeremonie der "Abgabe und Weitergabe" am Tor des Friedhofs durchgeführt wird. Ihre Bedeutung liegt zunächst in die Symbolik des Lichts, die in alten jüdischen Vorstellungen begründet ist. Die Flamme erhebt sich und erinnert darüber hinaus an die Seele, an die Thora und an das ewige Leben der bereits Verstorbenen. Nach kirchengeschichtlichen Untersuchungen soll die Kerze von den Christen zunächst bei Gräbern der Märtyrer verwendet worden sein. Einige datieren ihre Einführung im christlichen Kult auf das Jahr 370. Im Mittelalter wurde eine Exkommukation mit dem Löschen von Kerzen besiegelt, wodurch versinnbildlicht wurde, daß die Seele der Finsternis überlassen war. Bis heute spielt die Kerze eine wichtige Rolle bei allen mit dem Tod zusammenhängenden Handlungen. So gibt man einem Sterbenden eine Kerze, damit ihm im Jenseits kein Licht fehlt und damit seine Seele aufsteigen kann.

Bei einer kulturwissenschaftlichen Studie muß besonders der Vorstellung des Werwolfes Aufmerksamket geschenkt werden. Im untersuchten Ort glaubt man, diese Gestalt erscheine zur Karzeit und in Vollmond-Nächten. Dieser Mythos, über den es eine breite und differenzierte Literatur gibt, ist weltweit verbreitet. In ihren vielfältigen Erscheinungsweisen ist diese Gestalt stets mit Vorstellungen von leidenden Seelen verbunden und gibt Anlaß zu größten Befürchtungen. Bei der Empfehlung der Seelen kann die Permanenz dieser Vorstellungen noch heute festgestellt werden. Wenn die Gläubigen spät in der Nacht ihre Devotion verrichten, beschleunigen sie ihren Gang, wenn sie das Bellen eines Hundes hören. Dabei beten sie unaufhörlich die Formel "Ich glaube an Gottvater". Damit kürzen sie das Glaubensbekenntnis ab, das nach überlieferter Meinung vieler viel effizienter wäre, wenn er rückwärts - d.h. von den letzten zu den ersten Glaubenssätzen - gebetet werden würde.

Die Bezüge des Mythos zur Karzeit, zum Vollmond und zu den leidenden Seelen ist auch in anderen Regionen festzustellen. In Amazonien gibt es die sogenannten "matintapereras", die auch Seelen darstellen, die ihr Schicksal wegen gravierender Sünden erleiden. Auch der Werwolf bezahlte mit seinem Schicksal seine Schulden.

Der Mittwoch und der Freitag der Karwoche sind die am meisten gefürchteten Tage, da sie auch Vollmondtage sind. Da sich die beweglichen Feste des Christentums nach dem Osterfest richten, und da Jesus Christus am ersten Vollmond-Sonntag nach dem Frühlingsbeginn der nördlichen Hemisphäre auferstanden ist, ergeben sich diese Beziehungen zum Mondjahr. Auf Grund der Mondtabelle von Meton (500 v.Chr.) wurde der Beginn des christlichen Frühlings beim Konzil von Nicea auf den 21. März gelegt.

Der Mythos bezieht sich aber nicht nur auf die Vorstellung von der leidenden Seele, sondern auch auf Menschen, die ein solches Schicksal in diesem Leben vollziehen müssen. Nach Leite Vasconcelos gibt es eine Beziehung zwischen Fatum und dem Glauben an Seelenwanderung bzw. Metempsychose, was nach Herodot in Ägypten, Indien und Griechenland verbreitet war. Die Grundannahme ist es, daß die Seele aus dem Körper in den Leib eines Tieres wandelt, von wo sie nach einer bestimmten Zeit (3000-Zyklen) in die menschliche Form zurückkehrt.

Der Hahnengesang spielt bei den Empfehlungen des Seelen eine bedeutende Rolle. Nach den Informanten soll er signalisieren, daß das Ritual abgeschlossen werden soll, da der Tag bereits anbricht. Allerdings weist diese Deutung nur auf eines der vielen Elemente des mit dem Hahnengesang verbundenen symbolischen Komplexes hin. Auch diese Vorstellungen kamen durch die iberischen Siedler nach Amerika. Wie Leite de Vasconcelos erläuterte, soll in Portugal die Vorstellung herrschen, daß der Teufel flieht, wenn er den Hahnengesang zu Mitternacht vernimmt, durch den die bösen Geister vertrieben werden. Phantasmen und auch Werwölfe irren nur in der Zeit vor dem ersten Hahnengesang umher.

Die Musik spielt als Organisationsprinzip bei den Ritualen der Empfehlung der Seelen eine zentrale Rolle. Der Gesang dient der Verbrüderung der Teilnehmer, der Herstellung des Gemeinschaftsgefühls, der seelischen Vereinigung und trägt sogar ökumenische Züge. Nach dem Volkskundler Rossini Tavares de Lima weisen die bei diesen Praktiken gesungenen Gesängen Tendenz zu mehrstimmigen Bildungen auf. Sie verweisen auf einen alten Fundus von europäischem bzw. euro-asiatischem Musikstil. Diesem archaischen Stil seien manche Erscheinungen volkstümlichen Singens zuzuschreiben, wie z.B. das Falsett, das Tremolieren und Pulsieren mit der Stimme, bestimmte Arten der Gesichtsverzerrung und die individuelle Narrativität beim Singen.

Die Gesänge, die heute bei den Empfehlungen der Seelen intoniert werden, werden - mit Ausnahme des gesungenen Rufes "Achte, achte…" - erst nach dem Gebet von drei Vater Unser für die bedürftigen Seelen vorgetragen. Einige von diesen Gesängen sind katholischen Kirchenliedern entnommen, andere stammen sogar aus dem Volksliedrepertoire einschließlich dem der Kreislieder für Kinder. Auch evangelische Kirchenlieder werden neuerdings assimiliert und angepaßt. Diese Aneignung von Elementen sich immer mehr ausbreitender neuer Religionsformen in den traditionellen Praktiken katholischer Herkunft erscheint als besonders bedeutsam. Nicht das Ritual selbst wird damit in Frage gestellt, sondern es werden lediglich geeignet erscheinende Gesänge übernommen.

Allerdings gehört das Ritual der Empfehlung zu den Kulturphänomenen, für die die Teilnehmer keinen neuen Gesang schaffen. Es ist grundsätzlich der Tradition verpflichtet. Diese Tradition hat Eigenarten des Sakralen, wozu auch die Anonymität und die kollektive, nicht hinterfragte Akzeptanz beitragen, und wird jährlich zur Karzeit verlebendigt. Aus dem alten Repertoire ist vor allem auf die Pflege der "excelenças" bzw. "incelenças" hinzuweisen. Es handelt sich um eine Reihe von zwölf Gesängen, von denen allerdings nur noch drei in Gebrauch sind. Die Strophen werden jeweils dreimal wiederholt: "Eine incelença meines Herrn Jesu greift wieder und wieder in meine Brust; diese Seele tritt in den Himmel, ich kann sie nicht begleiten."

Vorherrschend ist die Vortragspraxis von Solo und Chor. Der Ruf "Achte, achte …" wird stets von dem Leiter bzw. von den sogenannten Zieher ("tirador") angestimmt. Er bestimmt, wer bei den anderen Gesängen die Solo-Partien singen soll.

Die Musik dient in erster Linie der Vermittlung zwischen Lebenden, Heiligen und leidenden Seelen.

Die einzigen heute gebrauchten Instrumente sind die Klappern (Matraca) und der Berra-Boi. Nach historischen volkskundlichen Studien - wie der von Mello Moraes- wurden in der Vergangenheit andere Instrumente verwendet, etwa sogar ein Cello. Diese Praxis bezog sich wohl aber nicht auf rurale Gegenden. Alle Feldforschungen sprechen lediglich von Klappern und - nach Belieben - auch vom Berra-Boi. In Anhembi bestätigte man allerdings den Gebrauch der Viola, was nicht nachgeprüft werden konnte.

Fest steht, daß die Matraca bei den Empfehlungen von altersher in Gebrauch war. Dieses Instrument wurde im Rahmen des akkulturativen Prozesses von den Europäern übernommen. Es handelt sich um einen Holzbrett von ungefähr 35 Zentimetern Länge und 25 Zentimetern Breite, an dem ein Metallgriff befestigt ist, der beim Drehen des Instruments gegen das Brett schlägt und Geräusche produziert. Es wurde in der Kirchen zur Karzeit anstelle der Glocken verwendet. Es gibt mehrere Deutungen über Funktion und den Gebrauch dieses Instrumentes. Nach volkskundlichen Forschungen - so z.B. in Soledade - sollen damit verlorene Seelen gerufen und versammelt werden. Nach anderen Informanten sollen damit die plagenden Geister vertrieben und während der Praktiken ferngehalten werden. In der untersuchten Region dient es dazu, den Anwohnern anzukündigen, daß sich die Seelen-Brüder nähern.

Was den Berra-Boi anbelangt, so ist sein Gebrauch nicht verpflichtend. Bei einigen Empfehlungs-Gruppen ist das Instrument unbekannt. In Portugal ist es nicht nachzuweisen. Nach Rossini Tavares de Lima handelt es sich dabei um ein Kulturelement, das im Rahmen des Akkulturationsprozesses von den Indianern übernommen wurde. Es besteht aus einem Stück Holz oder Bambus mit einer Kordel, die an ein Ende gebunden ist. Der Spieler dreht es mit Kraft in der Luft in einer Weise, daß sich das Holz auch um ihn dreht. Beim Drehen soll die Spitze des Holzes nur leicht den Boden berühren. Es wird organologisch als freies Aerophon klassifiziert. Curt Sachs wies darauf hin, daß der hervorgebrachte Ton umso höher ist, je schneller das Instrument gedreht wird.

Dieses Instrument wird bei verschiedenen stammesgebundenen Völkern als wichtiges Element magischer und ritueller Handlungen verwendet, so heute noch in Australien und Neuguinea. Der hervorgebrachte Ton ist eine "Stimme", die weder mit der eigenen noch mit der der anderen Teilnehmer identifiziert wird, sondern mit der eines Geistes, Dämons oder Ahnen. Das Instrument eignet sich, da aus ihm ein hörbares, aber nicht greifbares Phänomen durch die Aktion des Menschen entsteht, in besonderer Weise für magische Praktiken. Das Summen erinnert an den Wind und verbindet das Instrument mit Regenriten. Selbst seine Form weist auf Vorstellungen von Kraft und Fruchtbarkeit hin. Aus diesem Grund ist auch nachvollziehbar, daß der Anblick des Instruments häufig den Frauen verwehrt ist. Bei den Bororo sollen Herbert Baldus, der sich hierbei auf Karl von den Steinen stützt, die Frauen die Trauerriten verlassen, denn allein der Anblick dieses Instruments genüge, ihren Tod herbeizuführen.

Der Berra-Boi erscheint in der Literatur unter verschiedenen Namen wie Tavoleta (Italien), Zuna (Portugal), Bull-Roarer (Großbritannien), Schwirrholz (Deutschland), Aidje (Bororo), Bramadeira (Spanien) und Zumbidor (Brasilien)

In den untersuchten Regionen von Santana do Jacaré und Anhembí wird er auch als Berrante bezeichnet. Es wird z.B. auch als Spielzeug verwendet und aus diesem Grund von einigen Anführern von Empfehlungen der Seelen nicht akzeptiert. Im Ort Conceição wird er abgelehnt, da er mit dem Teufel verbunden sein soll.

In diesem Zusammenhang sind die Aussagen von Mário de Andrade zu bedenken. Das Praktizieren eines Kultaktes stellt nach ihm eine feierliche Form dar, um die vitalen Kräfte zu rufen und die zerstörerischen fernzuhalten. Der Klang ist der lebendigste, persönlichste und vergeistigste Ausdruck des Menschen. Daher ist das Musikinstrument das machtvollste Kulturobjekt. Es wirkt unmittelber, es gibt der Bewegung eine Zielrichtung, und deren Wirkung ist ein mächtiges Zaubermittel. Das Instrument als Kulturobjekt ist nicht ästhetischen Kriterien unterworfen. Es wirkt nicht im Sinne der Erweckung ästhetischen Genusses, sonder als Agent vitaler oder Vertreiber zerstörerischer Kräfte. Die Gefühle von Angst und Terror, die der Mensch beim Hören dieser Instrumente empfindet, dienen dazu, böse Mächte zu vertreiben.

Diese Erwägungen konnten durch die Forschung bestätigt werden. So sagte ein junger Informant, der seine Mutter bei diesen Praktiken begleitete, er würde zwar das Schwirrholz verwenden, empfinde dabei aber Angst und tue es deshalb nur ungern.

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Alguns textos dos anais do Congresso foram publicados em:/Einige Texte der Annalen des Kongresses wurden veröffentlicht in:
Musik, Projekte und Perspektiven. A.A. Bispo u. H. Hülskath (Hgg.).
In: Anais de Ciência Musical - Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft. Köln: I.S.M.P.S. e.V., 2003.
(376 páginas/Seiten, só em alemão/nur auf deutsch)
ISBN 3-934520-03-0

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