Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria científica
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No. 84 (2003: 4)


 

    Entidades promotoras
    Akademie Brasil-Europa
    I.S.M.P.S. e.V./I.B.E.M.: Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes/Instituto Brasileiro de Estudos Musicológicos
    ACDG: Associação Cultural Cante e Dance com a Gente (Novo Hamburgo RS)
    Institut für hymnologische und musikethnologische Studien e.V. (Maria Laach)

    Direção geral
    Dr. Antonio A. Bispo
    Direção Forum RS
    Dra. Helena de Souza Nunes, Rodrigo Schramm

A.A. Bispo e índios Xerente, Joanópolis
© Foto: H. Hülskath, 2002
Archiv A.B.E.-I.S.M.P.S.

 

MUSIKGESCHICHTE SYMBOLISCHER ORGANISATIONSPRINZIPIEN DES KULTURIDENTIFIKATORISCHEN WANDELS IN INTERAKTIVEN SPANNUNSFELDERN RURALER UND STAMMESBEZOGENER GESELLSCHAFTEN

[Auszug]

Antonio Alexandre Bispo

 

Die musik- und kulturwissenschaftliche Erforschung interkultureller und transnationaler Phänomene und Prozesse in Geschichte und Gegenwart ist stets interdisziplinär orientiert. Eine theoriegestützte Analyse von Kulturkontexten unter Beachtung musikwissenschaftlich relevanter Fragen erfordert die Auseinandersetzung mit Begriffen, Kategorien, Denkmodellen, Verfahrensweisen, Hypothesen und Forschungsergebnissen, die im Rahmen einzelner Disziplinen und ihrer jeweiligen Wissenschaftskulturen entwickelt wurden. Diese Reflexionsarbeit bleibt stets unabdingbar und ist als Antwort auf neue Fragestellungen situationsgerecht zu aktualisieren.

Eines der Probleme, das sich einer für grenzüberschreitende Faktizitäten sensiblen Musik- und Kulturforschung gegenwärtig mit besonderer Brisanz aufdrängt, ergibt sich aus der Akzeleration rücksichtsloser Durchdringung der letzten ökoreserven des Planeten und damit des kulturtransformatorischen Prozesses von Gesellschaften in Rückzugsgebieten und Reservaten. Noch mehr als durch die physischen Kontaktierungen im Zuge dieser wohl nicht aufzuhaltenden Expansion historisch europäisch konstituierter Kultur beschleunigen sich die Veränderungen dieser Gesellschaften durch deren Einschließung in der globalen Realität des virtuellen Netzes. Hier stellt sich für die Musik- und Kulturforschung die Aufgabe, ihr konzeptuelles Repertoire noch gründlicher zu überdenken, um die neu auftretenden Probleme geeignet zu perspektivieren und um angemessene Instrumente zu ihrer Lösungen zu entwickeln.


a) Ruralität

Violeiros
beim Kongreß Euro-Brasilianischer Studien 2002 in Joanópolis
© Foto: H. Hülskath, 2002 - Archiv A.B.E.-I.S.M.P.S.
Die Kontakte indigener Völker zu der expandierenden, hegemonialen Gesellschaft erfolgen primär mit Vertretern derer unterprivilegierten Schichten. Es sind Sammler, Wald- und Landarbeiter, Fischer und Viehzüchter, die sich in den Randzonen der aus ihrer Sicht zivilisierten Welt ansiedeln. Der Prozeß soziokultureller Assimilation erfolgt vor allem in der Auseinandersetzung mit peripheren Welten der Kultur des Westens. Die Integrierten werden ebenfalls zu Randgestalten, im besten Fall zu Kleinbauern.

Die Kultursphäre, in die sie eingehen, wird in der Forschung im allgemeinen mit einer Begrifflichkeit erfaßt, die auf die Dichotomie Stadt/Land zurückverweist. Diese Gegenüberstellung wird natürlich als eine Überspitzung erkannt, da Grenzen zwischen städtischer und ländlicher Kulturwelt nicht zu ziehen sind.1 Auch wenn gar die Prozeßhaftigkeit der Urbanisierung akzeptiert wird, so bleiben die Kategorien der Kulturanalyse von qualitativen Wertungen geprägt, die mit kultivierter Urbanität einer Stadtwelt, die die Umwelt weitestgehend bezwang, und der Rustizität des nicht-urbanen, von der Natur noch beherrschten Lebens assoziiert sind. Je mehr sich die Menschen von den urbanen Zentren entfernen, desto weiter erscheint ihre Kultur von den normativen Standards der Zivilisierung entfernt zu sein: so wird nicht nur von einer ruralen Kultur gesprochen, sondern gar von einer "cultura sertaneja", d.h. von einer Kultur der Wildnis, des Hinterlandes, eben diejenige, mit der die indigenen Gesellschaften in Kontakt treten.

Diese Differenzierung der Begrifflichkeit betrifft nicht nur Fragen des Verhältnisses des Menschen zum Raum - Erschließungen, Verstädterungen, Verdichtungen - und zur Umwelt - mehr oder weniger große Abhängigkeit von natürlichen Bedingungen -,2 sondern beinhaltet auch qualitative Komponenten, die historischer Natur sind und somit die Zeit betreffen. Die ländlichen Regionen sind nämlich diejenige Räume, die noch nicht städtisch sind. Die ländliche Kultur wird somit mit kultureller Rückständigkeit assoziiert, hier können in den Städten überholte Darstellungsformen und Verhaltensweisen länger überleben. Dies ist die "cultura caipira", die Kultur der Provinzialität, die in ihrem ungekonnten Umgang mit modischen Impulsen gütig belächelt wird. Sie ist demnach auch eine Kultur, die nicht mehr städtisch ist.

Dieses Leben in überkommenen Ordnungen machte die ländliche, bäuerliche Kultursphäre zum Gegenstand schlechthin der Volkskunde. Trotz aller Differenzierungen des "folk"-Begriffes, trotz aller neuen Ansätze war auch die Volksmusikforschung vorwiegend auf musikkulturelle Phänomene angewiesen, die vor allem auf dem Land gepflegt wurden. Volkslieder, Volkstänze, Volksmusikinstrumente, Volksspiele, Volksfeste und tradierte Kultformen werden nämlich vorherrschend in Dörfern und kleinen Siedlungen angetroffen. Aus dieser Zusammenarbeit mit der Volkskunde gewinnt die Musikforschung die Kategorien, die Interpretationsmodelle und die Verfahrensweisen, um den musikkulturellen Vorgängen wissenschaftlich zu begegnen, die sich in den vordersten Fronten der Expansion euro-genetischer Kultur ereignen.

Die Welt der Anderen, der zu Integrierenden, fällt traditionsgemäß nicht in den Aufgabenbereich der volkskundlich orientierten Musikforschung. Sie findet gar keinen Platz in dem Grundmodell Stadt/Land der Urbanisierungsperspektive der sich ausbreitenden Gesellschaft: sie befindet sich jenseits des Randes. Insofern die Musikforschung sich sozialwissenschaftlich orientiert und mit musikwissenschaftlich relevanten Erscheinungen und Vorgängen befaßt, die mit der Erschließung und Verstädterung einhergehen - Musik in den Medien, Musikschulunterricht, Musikorganisationen -, argumentiert sie aus der Perspektive des horizontal verlaufenden Expansionsprozesses, der sich im Dienst des Fortschritts und der Zivilisation wähnt. Insofern sie sich kulturgeschichtlich orientiert und die Permanenz von Musiktraditionen sowie - in vertikaler Sicht "versunkene" - Musikstile und -praktiken in diesen abgelegenen Randgebieten untersucht, richtet sie die Aufmerksamkeit auf älteste Schichten der Musikkultur. Die Anderen, die sich mit dieser Kulturfront auseinandersetzen, werden somit mit einer paradox anmutenden Situation konfrontiert. Sie werden einerseits in einen fortschreitenden, als evolutive Entwicklung verstandenen Prozeß involviert, andererseits kulturell in Darstellungs- und Repräsentationsformen eingeübt, die in den urbanen Zentren zu einer Archäologie der Kultur gehören.


b) Stammesbezogenheit

Kongressteilnehmer aus den Kulturen Xerente und Krahô
beim Kongreß Euro-Brasilianischer Studien 2002 in Joanópolis
© Foto: H. Hülskath, 2002 - Archiv A.B.E.-I.S.M.P.S.
Die indigenen Kulturen und ihre Musik werden nach dem überkommenen Einteilungssystem dem Aufgabenbereich der Ethnologie bzw. Musikethnologie zugeordnet. Leitendes Kriterium bleibt bei allen Differenzierungen und unterschiedlichen Ansätzen der prägende Begriff Ethnie. Das Denkmodell Stadt/Land, das die Terminologie und die Theoriemodelle der Volkskunde so sehr bestimmt, tritt hier in den Hintergrund. Raumgestaltung und Hausarchitektur indigener Dörfer, das Verhältnis indigener Tänze und ritueller Handlungen zum Raum und zur Umwelt erfahren zwar wachsende Beachtung, Gegenüberstellungen zwischen Zentrum und Peripherie oder urbanen Werten und ländlichen Gebieten verbleiben aber in der wissenschaftlichen Sprache naturgemäß im Hintergrund. Seitdem in der Forschung die Verwendung der Klassifizierungen "Wilde" oder "Barbar" nicht mehr vertretbar erscheint, ist keine offensichtliche Kohärenz mit dem zivilisatorischen Duktus des auf der Vorstellung eines Urbanisierungskontinuums basierenden Denkmodells erkennbar.

Die Orientierung sowohl der wissenschaftlichen Reflexion als auch des außerwissenschaftlichen Diskurses ist hier stammesbezogen. Die Aufmerksamkeit richtet sich eher auf die durch nahe oder ferne verwandschaftliche Beziehungen strukturierte Einheit einer Gesellschaft, die durch Sprache, Kultur, historische Erfahrung und territoriale Bindung identifiziert wird. Inter- und transkulturelle Prozesse zwischen den Stämmen werden zwar zunehmend in der Forschung beachtet, die Beziehungen zu der sich expandierend umschließenden fremden Gesellschaft können allerdings nicht nach demselben Muster der Kulturanalyse untersucht werden. Die Differenzierungskategorien Stämme, Familien, Sippen, Klans u.a. spielen zwar eine bedeutende Rolle bei volkskundlich orientierten Untersuchungen, sind jedoch nicht maßgeblich für die Determinierung von Kultursphären.

Musiker des Xerente-Stammes
beim Kongreß Euro-Brasilianischer Studien 2002 in Joanópolis
© Foto: H. Hülskath, 2002 - Archiv A.B.E.-I.S.M.P.S.
Ein Vertreter einer indigenen Gesellschaft, der einem Kulturkongreß der dominierenden Gesellschaft einen Besuch abstattet, kann sich zunächst in der anders gearteten Strukturierung und dem anderen Strukturierungsverständnis der fremden Konstruktion der Realität kaum zurechtfinden. Seine Versuche, Homogenitäten zu erkennen, die eine Einheit in der Gesellschaft bilden mögen, können sich nicht grundsätzlich auf ethnische Prinzipien stützen. Erst allmählich wird ihm der vielschichtige prozessuale Charakter kultureller Entwicklungen der Fremde bewußt, die horizontal expandieren und qualitativ degradieren, zugleich aber von der Forschung wegen der Permanenz älterer Kulturschichten aufgewertet werden. Wenn er durch die ihm gewohnten familiären und sippenhaften Bindungen als Organisationsprinzipien der Gemeinschaft stammesgebunden und somit gleichsam in biologischen Metaphern denkt, so wird er in der fremden Welt einen andersgearteten, organisch anmutenden Prozeß sehen, nicht die Stadt als Organismus, sondern den Urbanisierungsprozeß als ein sich ausbreitendes Geschwür im Körper der Natur. Er spürt, daß sein tribales Zugehörigkeitsgefühl und Solidaritätsempfinden als bedrohlich für die Stabilität und die Einheit des fremden, als übergeordnet verstandenen Körpers aufgefaßt wird, er zugleich aber gerade durch seinen Status als Fremder wenn nicht Achtung, dann doch zumindest Beachtung und eine differenzierte Behandlung erfährt und dabei in seinem kulturellen Verharren von den Ethnologen unterstützt wird.

So entsprechen die unterschiedlichen Standortbestimmungen der Kulturwissenschaften, ihre Perspektivierungen und Denkmodelle den widersprüchlichen Situationen kultureller Prozesse und können so nicht wirksam zu der Verarbeitung und Lösung anstehender Probleme beitragen. Eine interdisziplinäre Kooperation zwischen Volkskunde und Ethnologie ruft stets nach einer gründlichen epistemologischen überprüfung ihrer Grundlagen, und eine Musikwissenschaft, die sich unkritisch nach dieser Facheinteilung kulturwissenschaftlichen Vorgehens richtet, wird unweigerlich die deren Differenzierung innewohnende Krisis internalisieren und fortschreiben.


c) Kulturwandel

Der Kulturwandel bei der Konfrontation zweier grundverschieden konstituierter Organisationssysteme menschlichen Zusammenlebens und deren Umweltorientierung müßte primär nach der Logik der Reziprozität verlaufen. In der Realität ist er offenbar ein höchst einseitiger Vorgang, da die tribalen Einheiten trotz Experimenten der Abschottung oder der territorialen Umzäunung vom Netzwerk der Urbasierungsmechanismen eingefangen werden. Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kulturwandel müßte gemäß den zwei Paradigmen der volkskundlichen und der ethnologischen Annäherungsweise primär beide Seiten in der Dynamik der Wechselbeziehungen erfassen. Daß auf der einen Seite Reziprozität ein Euphemismus bleibt, zeigt die Tendenz der Volkskunde und der Kulturgeschichte, von "Beiträgen" der aufgenommenen Kultur zu reden, d.h. von residualen Elementen, die dekontextualisiert, ohne einen realen Kulturwandel in Gang zu setzen, rezipiert wurden.

Dagegen ist das Studium des Kulturwandels auf stammesbezogener Seite seit langem ein zentrales Anliegen der ethnologischen Forschung. Als Kulturwandel wurde bereits in den dreißiger Jahren eine Veränderung verstanden "im harmonischen Gesamtausdruck des Fühlens, Denkens, Wollens, Könnens, Handelns und in der Reaktion einer sozialen Einheit, ein Ausdruck, der aus dem Zusammenwirken von erblichen, physischen, psychischen und moralischen Kollektivfaktoren entsteht." Bei Versuchen, die Modifikationen von Kulturen theoretisch zu reflektieren, wurde nicht nur zwischen einseitigen oder wechselseitigen Vollzugsformen der Assimilation, sondern auch zwischen totalen oder partiellen Transformationen unterschieden. Das Ausbleiben reziproker Assimilationen würde die Zerstörung der einseitig rezipierenden Kultur bedeuten. Diese würde letztlich eine totale Transformation erfahren und sich in die anderen Kultur umwandeln.3

Entsprechend der nicht immer gründlich reflektierten Distinktion zwischen materieller und geistiger Kultur in der ethnologischen Pragmatik wurden weitere Differenzierungen vorgenommen. Partieller Wandel und totale Metamorphosen könnten sich auf unterschiedlichen Ebenen derselben Kultureinheit gleichzeitig vollziehen. So könnte beispielsweise die stammesgebundene Musik, die der geistigen Kultur zugeschrieben wurde, durch das Aufgehen in einer anderen Musikkultur erlöschen, während die materielle Kultur trotz aller Assimilierungen stabil bleibt.4

Diese Systematisierungsansätze mögen gewisse Gültigkeit für Situationen von Kulturbegegnungen beanspruchen, bei denen die Partner im Austausch nicht durch unvergleichbare Machtpotenzialitäten grundsätzlich über- oder unterlegen sind, etwa bei inter- und transtribalen Verläufen. Beim Aufeinandertreffen mit der in der technischen Bewältigung der Umwelt unbezwingbaren euro-expansiven, vordringenden Kulturwalze gelten solche Kategorisierungen höchstens für initiale Phasen eines Prozesses, dessen Endziel die totale überlegenheit, dessen Ergebnis die totale Unterwerfung ist.

Im Denkmodell der Kulturwandelforschung der dreißiger Jahre entsprach diese Situation der einer eingesetzten internen Unterminierung bzw. einer prädisponierenden Schwächung der Kultureinheit durch Assimilation fremder Kulturelemente, die durch Mittler und Leitindividuen hineingebracht wurden. Gleichsam als trojanische Pferde brachten Führergestalten, Händler, Missionare, Offiziere und professionelle Agenten der Attraktion Geschenke in die Geschlossenheit ihrer Welt hinein, um dann zu erleben, wie die in Gang gesetzten Mechanismen der Abhängigkeit die Mauern von innen heraus für den Sturm durchlässig machten. Die auf den Gedanken führender Individuen fixierte Diskussion unterschied folgerichtig zwischen Einführung eines neuen Kulturelementes durch einen beschenkenden Konduktor, der aus der Kultureinheit des eingeführten Elementes stammt, und der Assimilation eines neuen Kulturelementes durch eine mit Autorität versehene Leitperson der jeweiligen Kultureinheit.5 Der eine könnte beispielsweise ein Forscher oder ein Missionar sein, der mit seiner Gitarre sympathetische Resonanzen bei den Menschen bewirken möchte, der andere ein Häuptling oder Sänger, der fremdes Liedgut akzeptiert und durch seine exemplarische Funktion deren Diffusion fördert.

Das analytische Anliegen, den Komplex kultureller Veränderungen gesellschaftlicher Einheiten wissenschaftlich zu erfassen, diente von Anfang an kulturpolitischen Strategien der Integration isolierter oder in weitgehend selbständiger Geschlossenheit lebender Gruppen. Die Steuerung der Mechanismen des akkulturativen Prozesses geriet zuweilen in den Mittelpunkt der Diskussion. Zwei methodische Vorgehensweisen wurden entworfen: geleitete und kontrollierte Akkulturation einerseits, Verzögerung des akkulturativen Vorganges durch Isolierung andererseits.

Die Unabänderlichkeit der letztlich totalen Veränderung wurde nicht mehr problematisiert, sondern - wenn überhaupt - resignativ die Möglichkeit der Konservierung von Subkulturen mit indigener Färbung in Erwägung gezogen.6 Die faktische Unterwerfung von Theoretikern der Akkulturation unter das systemimmanente Rodungs- und Bebaungssyndrom westlicher Kultur wurde dadurch gemildert, daß sich die Reflektionen darauf richten, eine Art und Weise zu ergründen, um für das Ethos stammesgebundener Kulturkomplexe eine überlebenschance zu garantieren.

Eine Umperspektivierung der Forschung fand statt, die sich von einer auf Kategorien, Elemente, Sphären und Stratifizierungen fixierten Kulturtopographie verabschiedete und zur funktionalistischen Analyse von Normen und Phänomenen überging. Die Veränderungen bei den Funktionen sollten Aufschluß über den eigenen und eigenständigen Charakter des im Akkulturationsprozeß befindlichen Kultursystems geben.

Wenn auch typologische oder zumindest idiographische Charakterisierungen nicht ganz außer acht gelassen werden sollten, sollte doch die funktionalistische Analyse erst dynamische Kulturkonfigurationen aufdecken, die das Verstehen des Gesamtverlaufes ermöglichten. Durch die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf Funktionen erhofften die Kulturanalytiker andere theoretische Plattformen für die Untersuchung nicht nur des interkulturellen Austausches zwischen Partnersozietäten, sondern auch des akkulturativen Prozesses bei der Konfrontation zwischen Kulturkonfigurationen einer originär stammesgebundenen Gesellschaft und denen westlicher "Zivilisation".

Mit Verspätung setzte sich somit in den sechziger Jahren in der ethnologischen Kulturanalyse ein theoretischer Wandel durch, der analog erscheint zu den damaligen Erneuerungstendenzen der musikalischen Analyse, die von der Morphologie und der auf Stufen basierenden Auffassung des akkordischen Aufbaus zu einer funktionstheoretisch gestützten Erfassung des harmonischen Kontextes überging.

Zugleich wird hier die Metapher ersichtlich, die den Verlauf sich wandelnder soziokultureller Konfigurationen als musikalische Prozeßhaftigkeit erfaßt und somit eine unartikulierte Konzeption von Kultur als Musikwerk erkennbar macht. Wie bei der funktionsanalytischen Durchdringung einer Komposition anders als bei der alten elementaren Analyse ein Minimum von integrativer Kohärenz in der methodologischen Annäherungsweise angestrebt werden sollte, so sollte die theoretische Auseinandersetzung mit dem Kulturwandel den akkulturativen Vorgang in seiner Einheit als komplexes Netz kausaler Beziehungen untersuchen.7

Der erhöhte Abstraktionsgrad dieser metaphorischen Analogie zwischen Kulturveränderungen und dem musikalischen Verlauf einer Komposition lag darin, daß es darum ging, Wandel nicht nur innerhalb des Kontextes einer Kultureinheit, sondern in den durch die Dynamik der Kontakte konstituierten Konfigurationen zu analysieren. Das Ethos einer Kultur konnte in der Konfrontation in unterschiedlichen Sphären persistieren, sei es in religiösen, sei es in künstlerischen oder anderen Ausdrucksformen.8

Eine fortgeschrittene Akkulturation müßte nach diesem theoretischen Ansatz nicht unbedingt mit der Absage tribaler Selbstbehauptung und reziproker Assimilation einhergehen.9 Es könnten verhältnismäßig friedliche Interaktionen auf gemeinsamen Ebenen stattfinden, die Mechanismen bei der Ritualisierung der Aggressivität in Gang setzen würden, die als notwendig für die Selbstbehauptung und die Ethos-Erhaltung einer Kultur erscheinen. Zu der funktionalistischen Kulturanalyse würden nämlich auch die akkulturativen Reaktionen innerhalb der Kultursphären, im sozialen System, im ökonomischen Leben, in den politischen Institutionen, in technologischer Hinsicht und in der materiellen Kultur, auf linguistischer Ebene, in Kunst, Mythologie und Religion gehören.

Trotz aller Schwierigkeiten, allgemeine Tendenzen im Wandel der sozialen Organisation zu bestimmen, da die externen und internen Faktoren zu unterschiedlich sind, wurde davon ausgegangen, daß eine Umwandlung von einer "geschlossenen" in eine "offene" Gesellschaft erfolge. Diese Modifizierung von geschlossener zu offener Form der Kulturkonfigurationen hatte Konsequenzen, die besonders zu beachten sind, wie die Veränderungen bei der Arbeitsverteilung und -verrichtung oder der wirtschaftlichen Individualisierung. Größere Flexibilität würden solche Kulturen zeigen, die auf einem weiten Familiengeflecht aufbauen, und nicht diejenigen, die sich in Hälften und Zeremoniegruppen aufteilen.

Somit erschien für funktionalistische Kulturanalytiker die Binarität der gesellschaftlichen und kulturellen Organisation mit ihrem normativen Vorschreibungscharakter als ein Hindernis beim Prozeß der öffnung der kulturellen Form. Erst vorausgehende Anpassungen würden zur Abschaffung von institutionalisierten Strukturen führen, die die rituellen Darstellungs- und Repräsentationsformen und das gesellschaftliche Gerüst trugen; so würden Bedingungen geschaffen, die Kernfamilie als soziale Einheit zu etablieren. Die Zerstörung kollektiver Organisationsprinzipien war somit Voraussetzung für die Stärkung der Familie als Kernzelle in der offenen Kulturform der mit der Urbanisierung einhergehenden, expandierenden Verwestlichung.

Die funktionalistischen Akkulturationsstudien blieben auch nicht ohne Folgen für kulturpolitisch programmatische Vorgaben zur Kontrolle der Kulturveränderungen. Der Forschung und den Diskussionen sollten Richtlinien zur Etablierung rationalerer Normen für die pragmatische Begegnung mit den akkulturativen Prozessen entnommen werden. Hierbei erwies sich, daß auch der funktionalistische Ansatz einer integrativ verstandenen Kulturanalyse nicht auf kategoriale, a priori gesetzte Differenzierungen verzichtete.

Der aus Kontakten und interethnischen Kreuzungen entstandene Wandel vollzöge sich auf dreierlei Ebenen: der kulturellen, der sozialen und der psychischen. Der Soziologe widme seine Aufmerksamkeit den sozialen, interpersonalen Phänomenen, der Psychologe der Gesamtheit psychischer, intrapersonaler Phänomene; die kulturellen Fakten gehörten zum Aufgabengebiet der Anthropologie. Die Akkulturation erfolge zugleich in der Persönlichkeit und außerhalb des Individuums, in der kulturellen Konfiguration und außerhalb von ihr, in der Gesellschaft und außerhalb davon. Diese drei Naturen würden eine Gesamtheit bilden. Eine theoriegeleitete Pragmatik gegenüber akkulturativen Prozessen müßte demnach auf der Grundlage interdisziplinärer Kooperation zwischen Soziologen, Psychologen und Kulturanthropologen erfolgen, denn sie müßte inter- und intrapersonale sowie kulturelle Vorgänge berücksichtigen. Der Kulturanthropologie würde dabei eine Vorrangstellung zukommen.

Die Kontroversen, die sich aus der funktionalistisch ausgerichteten Kulturanalyse ergaben, betrafen vor allem auch deren Auswirkungen auf kulturpolitischem Terrain. Einige Anthropologen wiesen darauf hin, daß die Analyse der Kultur Wertkriterien erfordere und die Anthropologie in der Lage sein sollte, Werte für die Praxis vorzuschlagen. Nach D. Bidney10 konnte die vergleichende Analyse von Kulturen und ihrer Werte selbst immanente universelle Prinzipien aufdecken und demnach die Ableitung allgemein gültiger Normen ermöglichen.11 Schaden dagegen hob hervor, daß alle Werte, die bis dahin als universell gelten könnten, dermaßen allgemein seien, daß sie für jegliche differenzierende kulturanalytische Betrachtung und Vorgehensweise unmaßgeblich sind.

Die Polemik zwischen Vertretern einer als notwendig erachteten Wertorientierung der Kulturanalyse und den Verfechtern einer wertfreien, rein wissenschaftlichen Ergründung von Phänomenen und Prozessen und den daraus abzuleitenden Möglichkeiten kontrollierenden Einwirkens war demnach stets mit der Diskussion über die Existenz oder Nicht-Existenz von Universalien in der Kultur verbunden. Sowohl extreme als auch vermittelnde Positionen wurden hierbei vertreten.

Für extreme Relativisten erschienen wertende Perspektivierung des Analytikers und wertorientierende Positionierung des kulturpolitisch Aktiven als Ausdruck euro- bzw. ethnozentrischer Haltung sowie eines vor-wissenschaftlichen Verständnisses von Forschung und einer vor-demokratischen Haltung gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen in ihren freien Regulierungsmechanismen. Empirische Lösungen für anstehende Probleme würden sich automatisch im freien Spiel der Kräfte ergeben. Die Vertreter einer Wertorientierung der Kulturanalyse und -pragmatik teilten sich je nach ihrer Verortung in unterschiedliche, in ihren Extremen vielfach nicht miteinander vereinbare Lager. Die konservative Haltung zeigte sich zum einen im Verharren auf wertenden Vorgaben gemäß den Normen des eigenen Kultursystems bei der analytischen Inspektion fremder Kultur und dem im Namen des zivilisatorischen Prozesses und - paradox - des Fortschritts gerechtfertigten aktiven Eingreifen in deren Veränderung. Konservativ waren zum anderen auch die prinzipiellen Kulturrelativisten, für die die Vielfalt von Kulturen ein Wert an sich war und die nostalgisch an der Utopie der Erhaltung oder Rückgewinnung der Werte von Gesellschaften festhielten, ohne glauben zu wollen, daß die durch die Kontakte hervorgerufene Krise dermaßen tiefgreifend ist, daß eine Rückkehr zu früheren Situationen nicht mehr möglich ist.

Eine gemäßigte, vermittelnde Position wurden von den Theoretikern für sich beansprucht, die die pragmatische Lösung in einer möglichst konfliktfreien Integration in die westliche Welt sahen. Sie gaben vor, sich auf die Realität der Fakten und die Unabdingbarkeit des Prozesses der Kulturveränderung zu stützen. Die Lösung für die sich stellenden Probleme sollte jedoch nicht nur der empirischen Erfahrung und der Kontingenz überlassen werden. Sie sollte sich aber auch nicht nach ideologischen Prinzipien richten, seien sie wertorientierter Natur des herrschenden Kultursystems, seien sie utopischer Art. Planung und praktische Einwirkung sollten wissenschaftlich nach der Analyse der Funktionen der Kulturkonfigurationen orientiert sein,12 damit die integrativen Prozesse so schmerzfrei wie möglich verlaufen könnten. Wenn früher die Furcht vor einer Verwissenschaftlichung des pragmatischen Handelns ein Hindernis für einen vernünftigen und praktikablen Umgang mit Veränderungen gewesen sei, so würde im Laufe der Zeit die Haltung derjenigen besonders zu einem Hindernis, die für eine absolut wertfreie, reine Wissenschaft plädierten und jegliche Wertung und wertende Einmischung ablehnten. Dagegen sei einzuwenden, daß sowohl bei der Analyse als auch in seinen Möglichkeiten der Einflußnahme auf eine Politik des Kulturwandels der Wissenschaftler moralische Verantwortung bezeugen müsse, denn "Humanwissen-schaft ohne Ethik ist keine Wissenschaft; ethisches Grundpostulat der Humanwissenschaften ist der Respekt zum Menschen als Gegenstand der Forschung."13

So dürfe sich der Kulturwissenschaftler nicht von seiner Verpflichtung durch Rückzug in den Elfenbeinturm angeblich reiner Wissenschaft zurückziehen. Zugleich sollte er der Faktizität und Unumkehrbarkeit der Kulturveränderungen ohne Kulturnostalgie und romantische Verklärung begegnen, andererseits aber seinen Kenntnisvorsprung über die funktionellen Vorgänge dazu benutzen, der Integration zu einem möglichst konfliktreien Verlauf zu verhelfen. Die Gefahr einer ideologischen Verformung der Akkulturationsforschung müsse erkannt und abgewendet werden.14 Notwendig sei die Erstellung einer Kasuistik oder eine klinische Untersuchung der Situation stammesgebundener Gesellschaften, um Ziele und Mittel einer angewandten Anthropologie zu bestimmen.15 Dafür sei es von Fall zu Fall erforderlich, Kulturwandel zu fördern, ihn zu beschleunigen oder zu bremsen, sogar Veränderungen zu verhindern, das ethnische Bewußtsein der Gruppe zu unterstützen oder darauf einzuwirken, es zu ändern.16 Man solle eher von einer "geleiteten oder kontrollierten Akkulturation" als von einer "direkten oder indirekten Verwaltung" sprechen, da die erste Formulierung eher suggeriert, daß sich die Aktion im Prinzip nach den Bedürfnissen des Anderen und erst an zweiter Stelle nach denen der expandierenden Gesellschaft richtet.17 In der Praxis handele es sich vorwiegend darum, falsch eingeschlagene Entwicklungen zu korrigieren, die durch verschiedene Faktoren spontan oder durch ungeeignete Maßnahmen in Gang gesetzt wurden.


d) Identitätsprozesse

Maßgebliche Kehrtwendungen in der theoretischen und methodologischen Diskussion der Analyse des Kulturwandels und deren Auswirkungen auf die angewandte Anthropologie ergaben sich aus der Kritik der Positionen funktionalistischer Kulturtheoretiker gegenüber kulturidentifikatorischen Prozessen. Bei allen Unterschieden zu früheren Formen der Kulturanalyse blieben sie letztlich einer Vorstellung von Kultur gleichsam mit "Werkcharakter" verhaftet, deren Ethos zu ergründen wäre. Trotz aller differenzierenden Betrachtung inter- und intrapersonaler sowie soziokultureller Prozesse blieben die Schlußfolgerungen pessimistisch und die vorgeschlagenen Handlungsweisen resignativ und auf Schadensbegrenzungen gerichtet. E. Schaden z.B. hob hervor, auch wenn es theoretisch möglich wäre, den "primitiven Ethos" zu revitalisieren, so gäbe es in der Praxis keine Möglichkeit, die Identifizierung der Menschen der im Integrationsprozeß begriffenen Gesellschaft mit der neuen Nation zu verhindern.18 Nur anti-akkulturative Impulse könnten zu einer Verstärkung der angestammten Identität führen, und diese treten meist in einer späteren Phase der Akkulturation auf, wenn diese unumkehrbar ist. So wurde die Möglichkeit, das ethnische Bewußtsein einer Minderheit gegenüber der ruralen Kultur, die sie umgab, aufrecht zu erhalten, als gering eingeschätzt.

Die durch die Akkulturation herbeigeführte Identitätskrise ist im allgemeinen dermaßen fortgeschritten, daß die Mehrheit der stammesgebundenen Gruppen bereits in die Caboclo-Kulturwelt, in die Mischlingskultur der zentrumsfernen Zonen und Schichten der herrschenden Gesellschaft, integriert ist. Dem pragmatischen Anthropologen blieb nur der Vorschlag, die Identitätskrise zu organisieren und die Assimilation zu fördern, da sie unumkehrbar ist.19

Eine Chance, dieses tragische Syndrom der Analyse des Kulturwandels zu überwinden, die letztlich resignativ und ohnmächtig macht, ergab sich aus kritischer überprüfung und In-Frage-Stellung des Begriffs Akkulturation. Der Begriff wurde selbst in Kreisen funktionalistischer Kulturanalytiker von denen der Adaptation, Assimilation und Integration nicht immer genügend differenziert. Vielfach wurde als Akkulturation die Assimilierung, d.h. die überführung des Fremden in den eigenen Kulturkorpus, bezeichnet, was vor allem bei der Verwendung des Begriffs durch die Volkskunde und eine auf Verschmelzung und Amalgamierung zielende Kulturanschauung zu beobachten ist.

Hierbei waren nicht unterschwellige Metaphern aus der Biologie wirksam, sondern es erfolgten nicht immer situationsgerechte Entlehnungen aus anderen Wissenschaftstraditionen, so aus der Soziologie und der Psychologie. Soziale und interkulturelle Assimilationen wurden nicht differenziert, Assimilierung von Fremdem und das eigentliche Assimiliertwerden durch Enkulturation nicht in ihrer grundlegenden Unterscheidung beachtet, die von der Psychologie her verstandene Auffassung des Assimilationsvorganges als Angleichung eines Objektes an ein Subjekt nicht genügend für die anthropologische Diskussion fruchtbar gemacht.

Beim Begriff Integration kommen andere Bedeutungsinhalte und Assoziationen zum Tragen, die vielfach unreflektiert in die Analyse kultureller Veränderungen übernommen wurden. Anders als der Begriff Assimilation, der auf das Verschmelzen des Anderen mit dem Eigenen anspielt, hängt Integration mit Vorstellungen vom Ganzen bzw. von Ganzheit zusammen, das (wieder)hergestellt werden soll. Das Wort ist bereits aus der Anwendung in der Biologie eng mit Organisation verbunden. In der Tradition des psychologischen Denkens spielt der Integrationsbegriff eine wesentliche Rolle in seinem Bezug auf das Ganze einer Person, auf das Zusammenhängende der Persönlichkeit, das die Einheitlichkeit des Weltbildes ermöglicht und Identität stiftet. In der Soziologie verweist der Begriff auf das Verhältnis der Vielheit gesellschaftlicher Gruppen zur Einheit als Ganzes, und die Diskussion richtete sich über Jahrzehnte auf komplementäre Mechanismen der Kooperation und Sicherung.

Der kulturanthopologische Diskurs, der vom Begriff Interaktion geprägt ist, wird in diesem Zusammenhang bewußt oder unbewußt von der Diskussion über strukturierte Interaktionen beeinflußt. Das Denken richtet sich nach den zentralen Momenten des integrativen Modells, nämlich nach den von Werten begründeten Normen, an denen sich die integrationsbereiten Individuen orientieren. Sowohl für das volks- als auch für das völkerkundliche Theorievokabular wurde der Gebrauch des Integrations-Begriffes im Sinne staatspolitischer Ideologie und der Wirtschaft maßgebend und wirkte sich - wie in der letzten Zeit zunehmend erkannt wurde - häufig verheerend aus. Dabei vermengten sich Assoziationen mit der Vorstellung eines Staates, der wie ein lebendiger Organismus stets den Integrationsprozeß in Gang hält und sich partikuläre sozio-kulturelle Einheiten einverleibt, mit Mechanismen der Einbindung von abgegrenzten ökonomien in das binnenwirtschaftliche - in außenwirtschaftlichen Abhängigkeiten stehende - Ganze.

Die Geschichte der ethnologischen Theoriebildung und der kulturanschaulich legitimierten Pragmatik des Kulturwandels wurde seit dem 19. Jahrhundert maßgeblich durch die Rhetorik der Staatslehre und die ausdrücklich verteidigte und praktizierte Politik der Weckung von Bedürfnissen, der Förderung des Konsums und somit der Schaffung von wirtschaftlichen Abhängigkeiten bestimmt, die die politische und wirtschaftliche Integration stammesbezogener Gesellschaften in die übergeordnete Ganzheit des Staates herbeiführten. Der Anfang der Integration war in paradoxer Weise der Verlust der Selbständigkeit.

Die Kritik am integrativen Konzept bei Bestrebungen einer Neuorientierung der Kulturanalyse des Wandels steht somit an erster Stelle. Die überprüfung wissenschaftstheoretischer Grundlagen geht primär von einer prinzipiellen Kritik an der Integration als soziologische Kategorie aus, die international bereits 1952 durch T. Parson ausgelöst und seit 1962 von R. Dahrendorf bekräftigt wurde. Durch die von der funktionalistischen Kulturanalyse anerkannte Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Soziologie, Psychologie und Kulturforschung wird ersichtlich, daß das soziologisch aufgefaßte Integrationsmodell Konsequenzen für die inter- und intrapersonellen Beziehungen und für die Kultur- und Sozialordnung hat. Zwang zur Kooperation und mit ihm korrelierte Daseinssicherung als Grundfaktoren des soziologischen Integrationsmodells erscheinen damit aus der anderen Perspektive als Desintegration der Ganzheit des Anderen. Damit geht psychologisch eine Desintegration der Erfahrung der Realität und der Ganzheit der Person einher, d.h. eine Spaltung der Persönlichkeit und eine Krise der Identität.

Nach diesem Denkmuster bedeutet somit die Forderung von Integration von einer Seite die Krise der Identität auf der anderen Seite. Diese kritische Argumentation weckt allerdings ihrerseits die Kritik, daß auf die Integrationsforderung nicht verzichtet werden kann, ohne die staatliche Integrität zu gefährden. Die Diskussion geht dahin, das staatstheoretisch herrschende Konzept nationaler Ganzheit differenzierter aufzufassen, damit die Integration nicht Assimilierung bedeutet. Vorstellungen von Verschmelzung und Amalgamierung von kulturellen Einheiten in einem monolythischen Kulturkorpus werden somit in Frage gestellt. Es wird von vielen Seiten für eine pluriethnische und multikulturelle Auffassung des Staates plädiert und somit für eine Abkopplung der staatlichen Einheitlichkeit von monopluralistischen Verhältnissen in der Kultur. Die Annahme der Möglichkeit dieser Differenzierung bedeutet aber eine Distanzierung von der Auffassung einer ausschließenden nationalen Kultur als hegemoniale, auf Amalgamierungen basierende Entität zugunsten eines dynamischen, sich stets wandelnden Kulturkomplexes, der sich gerade in dieser Wandelbarkeit stets neu konfiguriert und zeitlich bestimmte charakteristische Formungen erhält.

Dadurch wird aber von einem wesenhaften, essentialistischen Kulturkonzept Abstand genommen und eine Auffassung von Kultur vertreten, die von der Konstruiertheit von Kulturgebilden ausgeht. Wenn aber diese Annahme für die integrierende, die Umwelt verstädternde Gesellschaft gilt, dann muß sie kohärenterweise auch für die Kulturanalyse der stammesgebundenen Einheiten gelten. Die Kulturforschung muß demnach auch hier von einer essentialistischen Auffassung von Kultur Abschied nehmen und von allen Vorstellungen, die der Kultur gleichsam Werkcharakter zuschreiben. Die damit zusammenhängende Identität verliert dementsprechend auch ihren Entitätscharakter und wird unter dem Gesichtspunkt von Identifizierungsprozessen zu analysieren sein.

In den Vordergrund der Aufmerksamkeit tritt somit die grundsätzlich variable Kulturidentifizierung als Konstituierungsvorgang der Identität durch die Einübung von kollektiven Darstellungs- und Repräsentationsformen. Rituelle oder ritualisierte Kulturerscheinungen, Zeremonien, Spiele, Tänze, wiederholte Verhaltensweisen und repetitive sprachliche und musikalische Muster treten als formende Mechanismen in den Mittelpunkt des Interesses der Forschung. Somit erfolgt eine grundsätzliche Umorientierung älterer Positionen angewandter Anthropologie, die eine Linderung der konfliktreichen Assimilation dadurch anstrebten, daß Ordnungsstrukturen - z.B. Teilungen in Hälften des sozialen Systems und räumliche Gliederung in zirkulären Anordnungen - aufgegeben werden sollten, um Kernfamilien und eine rastermäßige, expansionsfähige Raumdisposition zu fördern.

Damit werden Strategien früherer Missionen und staatlicher Integrationsmaßnahmen grundsätzlich in Frage gestellt. Wenn auch selbst die Missionare alte Auffassungen aufgeben und die integrative Kulturpolitik auf der Grundlage einer einheitlichen nationalen Kultur zugunsten einer plurikulturellen Kulturauffassung kritisieren, so bleiben sie doch in nicht kohärenter Weise einem Kulturkonzept verhaftet, das Werkcharakter hat. Die vertretene Inkulturation wird eben vielfach in dem Sinne aufgefaßt, daß in einen Kulturboden der Samen von einem neuen, umwandelnden geistigen Prozeß eingepflanzt wird. Diesem metaphorischen Bild liegen somit weiterhin essentialistische Vorstellungen von Kultur zugrunde, da deren Wesen durch den inkulturativen Prozeß von innen heraus zu ändern sein soll.

Die Ausrichtung der Aufmerksamkeit des Kulturanalytikers auf die Mechanismen der kollektiven Darstellungsweisen, die die Kulturidentifizierungen der Individuen prägen, darf aber keinesfalls in Formalismus und Mechanistisches ausarten, was einen Rückfall in entmenschlichte Ideologien der Vorherrschaft des Kollektiven bedeuten würden. Die Kulturanalyse soll darauf gerichtet sein, die den Darstellungs- und Repräsentationsformen zugrunde liegende Ordnung des normativen Systems zu eruieren, um den Protagonisten gerade zur Befreiung von unreflektierter Zwanghaftigkeit des Vollzugs anerzogener Darstellungsweisen von Normen zu verhelfen. Dadurch wird die Wissenschaft erst ihre Verpflichtung gegenüber den Menschen erfüllen können, da diese die Automatik bloßen Ausführens zugunsten schöpferischer Performances aufgeben. Die Darstellungs- und Repräsentationsformen der Kultur werden somit eher zu selbstbestimmt vollzogenen Inszenierungen. Dafür aber ist die Akzeptanz des regelnden Normensystems notwendig, was allerdings die kritische Auseinandersetzung mit diesem und eventuell seine Uminterpretation oder Umformung voraussetzt. Die reflektierte Dekonstruktion und die Rekonstruktion des konzeptionellen Systems, die die kulturellen Phänomene und die kulturidentifikatorischen Prozesse zu leisten vermögen, können sich somit als Möglichkeiten erweisen, früheren stammesgebundenen Kulturkonfigurationen auf neuer Basis in einem analog strukturierten Gesamtkontext zu neuer Existenz zu verhelfen.


e) Symbolische Organisationsprinzipien

Trotz grundsätzlich konstruktivistischem Grundkonzept der Kulturanalyse hinsichtlich des kulturidentifikatorischen Prozesses kann die anthropologische Forschung letztlich auf essentialistische Annahmen nicht verzichten. Denn sonst wäre die intendierte fremdbestimmte Aufhebung der Ausgeliefertheit des Individuums gegenüber den Zwängen des Nachvollzugs von Rollen zugunsten einer selbstbestimmten Vollziehung darstellender und repräsentatorischer Handlungen eines vertretbaren Normen- und Wertsystems nicht denkbar. Nur eine solche wertorientierte (Re-)Konstruktion des leitenden Denkmodells des kollektiven Handelns, mit dem sich das Individuum identifiziert, kann jedoch den in Gang gesetzten systematischen Prozesses der Zerstörung der Umwelt durch die entfesselte Urbanisierung umkehren bzw. in unumkehrbaren Fällen von einer Verstädterung der Landschaft zu einer Verlandschaftlichung des Verstädterten führen.20

Dieser wahrhafte Kulturwandel setzt jedoch voraus, daß eine dialektische Wechselbeziehung zwischen essentialistischen und konstruktivistischen Positionen in der anthropologischen Reflexion angenommen wird. Beim psychologischen Vorgang der inneren Integration des Individuums sind als führende Kräfte, die einen a-prioristischen Charakter nicht-konstruktivistischer Natur beim inneren Prozeß befreiender Selbstbestimmung annehmen sollten, Intellekt und Wille anzusehen. Die Förderung intellektueller Erkenntnisfähigkeit durch die Analyse der ritualisierten Darstellungs- und Repräsentationsformen und die kritische Erschließung des diesen zugrundeliegenden normativen Regelsystems von Konzeptionen geht einher mit dem Auflodern des freibestimmten Willens, dieses System in seiner Wertorientierung zu bestätigen oder umzuwandeln, indem die Darstellungs- und Repräsentationsformen mit ihrer eventuellen Instrumentalisierung nun frei interpretiert oder kreativ inszeniert werden.

Die Aktivitäten des Vollzugs symbolischer Mechanismen formen das Leben der Arbeit und das Zelebrieren, d.h. das aktive Leben. Indem es sich dadurch der Disziplinierung durch die - allerdings nun selbstbestimmten - Regelordnungen äußerlich unterwirft, kann sich das innere Leben frei wähnen, um zur Muße der Betrachtung und der Wonne des sich Verlierens aufzusteigen, die das Gleichgewicht der Persönlichkeit gewährleisten und die Lebensqualität des Individuums erhöhen. Der kulturelle Prozeß setzt somit im eigentlichen Sinn bei der Ordnung bzw. Kultivierung des aktiven Lebens ein, so daß es angebracht erscheint, eine zu weit gehende Auffassung des Kulturbegriffs, die ihn ins nichtssagende Allgemeine führt, neu zu überdenken. Die Analyse der Kultur ist dementsprechend von der Anthropologie zu differenzieren, bzw. sie ist nur ein Aspekt von ihr, und Kulturanthropologie darf nicht mit Anthropologie gleichgesetzt werden.

Die Analyse des Kulturwandels betrifft somit an erster Stelle die Analyse der symbolischen Ordnung, die im aktiven Leben zu untersuchen ist: im Verhältnis zwischen Arbeitsleben und dem Feiern mit seinen Zelebrationsformen und seinem spielerischen Erleben der Welt. Als Postulat könnte gelten, daß das Arbeitsleben einer Gesellschaft umso kultivierter ist, je mehr Muße sie sich leisten kann. Diese Annahme bedeutet zweifellos eine Umkehrung von gewohnten Vorstellungen hinsichtlich der Arbeit, da gerade den stammesbezogenen Gesellschaften über die Jahrhunderte vermeintliche Arbeitsscheu vorgeworfen wurde - und sie vielfach deshalb auch missioniert wurden. Die tribale Ordnung, die - beispielsweise durch Einteilungen nach erkennbaren Gesetzmäßigkeiten der Natur und des Kosmos - kulturell, sozial und räumlich eine sinnerfüllte Organisation - Integration - widerspiegelte, ermöglichte viel eher die Verwirklichung eines klassischen Ideals von einem Menschen, der seine Mitte bewahrt, weil genug Muße walten kann, als die gleichsam barbarische Lebensweise, die sie durch die die Politik der Integration in die rurale Gesellschaft annehmen mußte.

Ziel der Kulturanalyse muß demnach sein, in der eigenen und der übernommenen symbolischen Ordnung nicht nur deren interne Konfigurationen und Ausdrucksformen, sondern ihren Wandel sowie die fehlgeleiteten Prozesse und falsch verstandenen Zeichen zu untersuchen. Praktischer Zweck einer solchen Kulturanalyse des Wandels ist die Veränderung, d.h. entweder die performatorische Rückgewinnung des entwertend uminterpretierten Alten - wenn es möglich und erstrebenswert erscheint - oder die Entschärfung der symbolischen Mechanismen durch subversive übersteigerung und somit Verformung.

Auf jeden Fall muß die Kulturanalyse zwei eng miteinander verbundene und sich ergänzende Grundprinzipien im Mechanismus des Kulturwandels im Sinne der verstädternden und verwüstenden Verwestlichung beachten, nämlich die Neuwerdung und die Anti-Typologie. Beide Prinzipien beinhalten eine entwertende Positionierung gegenüber dem Anderen und der Natur. Das ,was sich häufig als erneuernd und innovativ darstellt, ist als Neuwerdungs-Syndrom zu verstehen, in dem das Andere als das überholte Alte angesehen wird. Tod und Neugeburt werden hier als wirksame, die Identität prägende Akte in der Zeichensprache eingesetzt. Die anti-typologische Orientierung beinhaltet die Annahme, daß es inter- und intrapersonal sowie in der Gesellschaft Typen gibt, die einer Gesetzmäßigkeiten unterworfen sind. Der neu geborene Menschen soll sich trotz aller Bedingtheiten in der Existenz mit den Anti-Typen identifizieren. Sowohl das Alte als auch die Typen werden in der symbolischen Ordnung durch das besonders wirksame Instrument der Groteske entwertet und zerstört. Die Kulturanalyse muß dementsprechend eine besondere Aurmerksamkeit auf alle Darstellungs- und Repräsentationsformen richten, die Ausdrucksweisen der Parodie, der Satire und der Maskerade erkennen lassen. Beide Momente - das Anti-Typologische und die Neuwerdung - sind nicht prinzipiell abzulehnen, sie müssen jedoch nur kontextuell und situativ in ihren Vorbedingungen und Auswirkungen untersucht werden, da ihre Durchsetzung undifferenziert erfolgte.


f) Musikgeschichte

Die geschichtlich orientierte Analyse des Kulturwandels richtet sich nach den Voraussetzungen, den Methoden und der Institutionalisierung von Darstellungs- und Repräsentationsformen, die intrinsisch die Entwertung der symbolischen Ordnung des Anderen durch Anti-Typologie im Sinne der Neuwerdungsideologie beinhalten. Die Rekonstruktion der Vergangenheit erfolgt hier durch die Beachtung von Quellenhinweisen, die Aufschlüsse über Spiele, Tänze und sonstige Freizeitgestaltungen und allen voran über die Bemühungen um Umänderungen des Arbeitslebens, der Arbeitsteilung, des Wirtschaftens, des Konsumverhaltens sowie des Verhältnisses zur Umwelt und zu anderen Lebewesen geben.

Durch die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf den Kulturwandel des aktiven Lebens, die Umdisziplinierung des Disziplinierten und somit auf die Umerziehung gibt die geschichtliche Untersuchung der Veränderungen Aufschlüsse über eine Geschichte des inneren Lebens und der Mentalitäten. Erkenntnisse über Wandel hinsichtlich der Integrations- bzw. Desintegrationsvorgänge in der Person werden somit auf der Grundlage von Analysen der Organisationsprinzipien des aktiven Lebens gewonnen, die sich in Festformen, Zeremonien, Riten, Spielen, Tänzen und Darstellungen besonders sinnfällig untersuchen lassen.

Die Musik spielt als integrativer Faktor, der die Menschen zur Integration in die neue symbolische Organisation verführt und dadurch zur Desintegration beiträgt, eine bedeutende Rolle. Die musikgeschichtliche Analyse beachtet dabei die organisatorische Funktion der Musik in der angestammten Situation und ihre Veränderung bei der Implantation des neuen Zeichensystems. Native Musikinstrumente und Gesänge werden in Beziehung auf die erfahrene Uminterpretierung untersucht und fremde Musik und Instrumente hinsichtlich ihrer Instrumentalisierung als Verstärker symbolischer grotesker Darstellungen der Anti-Typen und des überholten hinterfragt.

Die Musikgeschichte des kulturidentifikatorischen Wandels muß aber auch den Wandel im Verlaufe der Zeit beachten, zumal im Prozeß fortschreitender Integration und Verschwindens der alten Organisation die eingesetzten Strategien ihren Sinn verlieren. Der konkrete Bezug von Musik und Musikinstrumenten auf eine Situation, die zu überwinden ist, verblaßt, und die Symbolhaftigkeit der Darstellungen wird abstrakter. Die Musik dient nicht mehr dazu, die Menschen zu integrieren und in kollektiven Darstellungen zu organisieren, die zu ihrer kulturellen Umidentifizierung führen sollen, sondern zur Bekräftigung der assimilierten Kulturidentität.

Diese Situation ist besonders brisant, da die Dienstbarmachung der Musik für die groteske Entwürdigung des Anderen nicht mehr unmittelbar zu erkennen ist. Die potenziell weiterhin innewohnende Aggressivität des Vorgehens wird nicht erfaßt, und die Musik erscheint als freudige Ausdrucksweise der eigenen Kulturidentität, die ihre integrative Kraft zelebriert.

Auf diesen Versatzstücken eingesetzter Musik und Musikinstrumente im taktischen Prozeß geleiteten Kulturwandels früherer Jahrhunderte basierte das Konzept einer nationalen Musik. Gerade dieses Konzept wird somit letztlich in der Diskussion über eine differenzierte Auffassung von Staat und eine Absage an den Zwang zur Integration und Assimilation in Frage gestellt. Die Musikgeschichte kulturidentifikatorischer Mechanismen - die zugleich ein Teil der Mentalitätsgeschichte ist - dekonstruiert die nationalistische Musikgeschichtsschreibung und konstruiert Musikgeschichten neu. Sie richtet ihre Aufmerksamkeit auf das Organisationsvermögen der Musik, die die Menschen zusammenführt zur Kooperation - und sei es nur bei Spielen, Tänzen und Kultformen; so ist das Interesse eher auf strukturelle Ordnungen, die die Gesellschaft durchziehen, ausgerichtet als auf den durchgesetzten Umbau der sozialen Organisation nach Kleinfamilien mit entsprechender urbaner Rasterhaftigkeit zuungunsten der Umwelt.

Die so verstandene Musikgeschichte kann demnach zu praxisorientierten Bestrebungen der Gegenwart beitragen und historische Grundlagen für die Kulturanalyse aktueller Erscheinungen und Prozesse liefern. In der virtuellen Welt sind nämlich Fragen des Ruralen und des Tribalen längst nicht mehr nur konkret an der realen Urbanisierungsexpansion abzulesen. Das Tribale hat die Stammesbezogenheit abstrahiert, das Rurale allerdings auch das Periphere überwunden: Peripherie ist überall.21 Eine neue Situation für Studien des Kulturwandels ist entstanden, die erneut überprüfung von Denkkategorien und theoretischen Ansätzen erfordert. Eine Kooperation von Menschen, die sich mit stammesgebundenen Gesellschaften und mit der Ruralität identifizieren, ist erforderlich.

Beide Marginalisierte - der Indianer und der Hinterwäldler - müssen aktiv in die Reflexionsarbeit der Kulturanalyse der Gegenwart einbezogen werden. Urbanität ist nämlich von der Urbanisierung zu unterscheiden und kann durchaus in tribalen Gesellschaften vorhanden sein. Dagegen ist die Rustizität nicht mehr ein Charakteristikum der Randzonen verstädterter Regionen, denn die Verrohung in den Zentren großer Städteballungen ist ein weltweites Phänomen. Die Musik kann zur Organisation des Menschen beitragen und somit auch zur Urbanität. Die Karten sind neu gemischt!

1 "(...) es ist festzustellen, daß 'Stadt' der Neuzeit auf der ganzen Welt in ihr Umland ausgreift und dabei eigene Formen einer verstädterten Landschaft oder einer verlandschafteten Stadt ausbildt.
Diese Siedlungsfelder nennen wir, einer uralten Tradition folgend, noch immer 'Städte'! Oder wir bezeichnen sie mit so abstrakten Begriffen wie 'Stadtagglomeration', 'Verdichtungsraum', 'verstädterte Landschaft' etc., weil wir merken, wie unangemessen der Begriff 'Stadt' für diese Siedlungsfelder ist, ein Begriff, der ganz andere Assoziationen hervorruft. (...) Diese Zwischenstadt steht zwischen dem einzelnen, besonderen Ort als geographisch-historischem Ereignis und den überall ähnlichen Anlagen der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung, zwischen dem Raum als unmittelbarem Lebensfeld und der abstrakten, nur in Zeitverbrauch gemessenen Raumüberwindung, zwischen der auch als Mythos noch sehr wirksam Alten Stadt und der ebenfalls noch tief in unseren Träumen verankerten Alten Kulturlandschaft." Thomas Sieverts, Zwischestadt zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land, Braunschweig/Wiesbaden 1997, 14.

2 "'This new, diffuse urban space, in perpetual expansion, fragmented and heterogeneous, often constitutes a challenge for architects, urbanists, and politicians, for its does not match the traditional forms of appropriation, between social life and territorial rights,' maintains Ascher. He distinguishes at least two modes of perception and confrontation: one derives from a will to stop the process, (...) the second chooses to face up to it and to manage this new modernity rather than turning one’s back on it." François Ascher, Metapolis ou L’avenir des villes, Paris 1995, 94, zit. Yorgos Simeoforides, "Notes for a Cultural History Between Uncertainty and the Contemporary Urban Condition", Mutations, ACTAR, Barcelona 2000, 418

3 H. Baldus, Ensaios de Etnologia Brasileira, com um prefácio de A. de E. Taunay, São Paulo 1937 [Biblioteca Pedagó gica Brasileira, Série 5a, Brasiliana 101, 276-277.

4 H. Baldus, Ensaios de Etnologia Brasileira, op.cit. 297.

5 H. Baldus, Ensaios de Etnologia Brasileira, op.cit. 307.

6 E. Schaden, Aculturação Indígena: Ensaio sobre FatÔres e Tendê ncias da Mudança Cultural de Tribos índias em Contacto com o Mundo dos Brancos, São Paulo 1969, 14.

7 E. Schaden, Aculturação Indígena, op.cit. 3.

8 E. Schaden, Aspectos Fundamentais da Cultura Guaraní, São Paulo, 1962.

9 E. Schaden, Aculturação Indígena, op.cit. 299.

10 D. Bidney, "The Concept of Value in Modern Anthropology", A.L. Kroeber, ed., Anthropology Today: An Encyclopedic Inventory, Chicago 1953, 682-699.

11 E. Schaden, Aculturação Indígena, op.cit. 279.

12 E. Schaden, Aculturação Indígena, op.cit. 280.

13 E. Schaden, Aculturação Indígena, op.cit. 278.

14 E. Schaden, Aculturação Indígena, op.cit. 281.

15 E. Schaden, Aculturação Indígena, op.cit. 282.

16 E. Schaden, Aculturação Indígena, op.cit. 282.

17 E. Schaden, Aculturação Indígena, op.cit. 285.

18 E. Schaden, Aculturação Indígena, op.cit. 284.

19 E. Schaden, Aculturação Indígena, op.cit. 283.

20 "Die hohe Umweltsensibilität und die naturverbundene Findigkeit einiger weniger Naturvölker liefern bemerkenswerte Verhaltensmuster, gegen die das ökologische Verhalten des Westens unvorteilhaft abschneidet. Diese wie aus prähistorischer Zeit übrig gebliebenen, verletztlichen kleinen Gemeinschaften, die wunderbarerweise in isolierten Gegenden Australiens, Afrikas, Süd- und Noramerikas überlebt haben, sind heute in steigendem Maß den schädlichen Einflüssen der westlichen Kulturinvasion ausgesetzt und in einigen Fällen wird es wohl auf ihre kulturelle Ausrottung hinauslaufen." James Wines, Grüne Architektur, hg. von Philip Jodidio, Köln, 2000, 11, 26

21 "(...) die Fragmentierung des Stadtraumes, innerstädtische Peripherie erzeugend; die Individualisierung der Sozialstruktur, sozialen Rand produzierend; die Mediatisierung städtischer Kulturen, urbane Milieus dezentrierend, und die Suburbanisierung, Zentren und Peripherien in ein neues Verhältnis zueinander setzend. Diese Transformationsprozesse zerstören die kompakte Zentralität der modernen Großstadt (...). Bezeichnen sie die konkreten Elemente der sogenannten Globalisierung, die in den Städten empirisch erscheinen, so zeigen sie zumindestens das Ende der industriell geprägten Stadtstruktur und eine neue Art der gesellschaftlichen Produktion des Raumes an, in der es keinen privilegierten Ort für Zentralität mehr gibt: Denn Peripherie ist heute überall." Walter Prigge, "Vier Fragen zur Auflösung der Städte", W. Prigge (Hg.), Peripherie ist überall, Frankfurt/New York, 1998 (Edition Bauhaus- Band 1), 6

 

 

Alguns textos dos anais do Congresso foram publicados em:/Einige Texte der Annalen des Kongresses wurden veröffentlicht in:
Musik, Projekte und Perspektiven. A.A. Bispo u. H. Hülskath (Hgg.).
In: Anais de Ciência Musical - Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft. Köln: I.S.M.P.S. e.V., 2003.
(376 páginas/Seiten, só em alemão/nur auf deutsch)
ISBN 3-934520-03-0

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