Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria científica
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No. 83 (2003: 3)


 

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    Direção geral
    Dr. Antonio A. Bispo
    Direção Forum RS
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ZU: PROJEKT "NIETZSCHE DURCH DAS OHR"

PHILOSOPHIE UND MUSIK, MUSIK ALS WEG ZUR PHILOSOPHIE

Luis Eduardo Xavier Rubira

 

Die Kunst ist in der Konzeption von Nietzsche der große Stimulus des Lebens. Unter Kunst - dies gebührt sich zu erwähnen - verstand der deutsche Philosoph vor allem die Musik. Seit seiner Geburt im Jahr 1844 bis zu seinem psychischen Zusammenbruch in den ersten Tagen des Januars 1889 war sie ein grundlegender Bestandteil seines Lebens. Einerseits wurde sie, wie wir wissen, zum Gegenstand einiger seiner ernsteren Reflexionen und Auseinandersetzungen. In diesem Sinn prägte sie Teile der philosophischen Produktion dieses Denkers, wie Titel wie "Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik" (1872), "Richard Wagner in Bayreuth" (1876), "Der Fall Wagner" und "Nietzsche gegen Wagner" (1888) erkennen lassen. Reflexionen über Musik sind auch in anderen seiner Werke zu finden, wie z.B. in "Jenseits von Gut und Böse". Auf der anderen Seite begleitete ihn die Musik in einsamen Stunden, bereitete ihm Freude und richtete ihn auf.

Nietzsche hörte nicht nur Musik, sondern spielte auch Klavier und komponierte. Als Komponist wurde er von einigen seiner Zeitgenossen mißachtet, wie von dem wagnerischen Dirigenten Hans von Bülow und von Richard Wagner selbst, obwohl dieser die Improvisationen auf dem Klavier des jungen Nietzsche geschätzt hatte. Jahrzehnte nach diesen mißbilligenden Meinungen erfährt die Musik Nietzsches eine Wiederentdeckung. Dies ermöglicht uns einerseits, uns eine eigene Meinung über seine Kompositionen zu bilden, und auf der anderen Seite, dem Verfasser der Genealogie der Moral auf einer anderen Ebene zu begegnen, d.h. in anderen Worten, Zugang zu den intimen Momenten zu erlangen, die in seinen Schriften nicht zu finden sind, und vor allem auch zu klanglichen Augenblicken, was in der Philosophie selten ist. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß vor Nietzsche offenbar nur von Rousseau eine musikalische Hinterlassenschaft bekannt ist. Wir verdanken dem Biographen von Nietzsche, Curt Paul Janz, der glücklicherweise sowohl in Philosophie als auch in Musik ausgebildet war, und auch der Schweizerischen Gesellschaft für Musikforschung die Publikation eines Werkes mit über 315 Seiten an Partituren von Nietzsche aus dem Jahre 1976. Janz äußerte bei einem vor wenigen Jahren gegebenen Interview, die Musik Nietzsches würde seitdem sehr gut angenommen, und über ihre öffentliche Aufführung sagte er, sie würde mehr und mehr gespielt, es bestünden Schallplatten und die deutschen Rundfunkanstalten stellten häufig Kompositionen von Nietzsche vor, die vor allem aus dem Rundfunk Basel entliehen würden. Vor wenigen Tagen hätte er von einer Organisation - The Nietzsche Music Project aus New York - eine CD mit siebzig Minuten Klaviermusik des Komponisten erhalten, die in Amerika bereits einen großen Verkaufserfolg erlangt hätte.

Nietzsche und die Musik

Nietzsche war seit seinem 9. Lebensjahr Autodidakt in der Musik. Er erhielt Anregungen von seinem Vater Karl Ludwig, der in seiner Pfarrei im preussischen Dorf von Röcken abends an der Orgel improvisierte. Er erbte die musikalische Begabung vom Vater, welcher starb, als er fünf Jahre alt war. Nietzsche begann zu komponieren, als er einen Chor in der Kirche hörte. Seitdem pflegte er seiner Mutter und seiner Großmutter zu den Geburtstagen Kompositionen mit der Angabe "Text und Musik von Friedrich Nietzsche" zu widmen. Als er etwa fünfzehn Jahre alt war und bereits in Pforta zur Schule ging, sagte er seiner Mutter, er wolle Musiker sein. Sie führte ihn aber von dem Weg der Kunst weg, da sie es sich wünschte, er sollte Theologie studieren. An seinem Vorhaben gehindert, sollte die Musik erst durch die "Hintertür" immer wieder in sein Leben zurückkehren.

1862 wird der achtzehnjährige Nietzsche Student der Theologie und Philosophie an der Universität Bonn. Nach seiner Immatrikulation begann er, Musikveranstaltungen benachbarter Städte beizuwohnen. Wie sein Biograph Daniel Halévy erwähnt, konnte er so Werke von Bach und Beethoven hören. Im folgenden Jahr las er das Werk "Die Welt als Wille und Vorstellung" von Arthur Schopenhauer und wurde u.v.a. tief beeindruckt von der Meinung des "Meisters" über die Musik. Elf Tage lang, in denen er sich dem Werk Schopenhauers widmete, soll er das Lesen nur für das Klavierspiel unterbrochen haben. In den folgenden Jahren - in denen die Philosophie Schopenhauers Wurzeln in dem jungen Nietzsche schlug - wird die Musik Schumanns sein Trost werden. 1868 bewegten ihn die Meistersänger Wagners, mit dem er bald eine tiefe Freundschaft schloß.

Von 1860 bis 1870 schuf Nietzsche die Mehrheit seiner Kompositionen. Für sie verwendete er sowohl Dichtungen, die er selbst verfaßte, als auch solche anderer Autoren. Unter anderen Kompositionen sind zu erwähnen die Lieder: "Beschwörung" mit Text des russischen Schriftstellers Alexander Puschkin (1799-1837), "Ständchen" mit Text des ungarischen Dichters Sandor Petöfi (1823-1849) und "Ungewitter" mit Text des deutschen Schriftstellers französischer Herkunft Adalbert von Chamisso (1781-1838). Alle diese Lieder entstanden im Jahr 1864.

In den Jahren, die der Freundschaft mit Wagner folgten, reflektierte Nietzsche weiterhin über Musik und komponierte. Zu Weihnachten 1874 schrieb und bearbeitete er für vier Hände einen Hymnus der Freundschaft und überarbeitete einen großen Teil der Werke seiner Jugend. Sein Schaffen hörte jedoch um 1876 auf, als er sich innerlich - wie er später schrieb - von Wagner trennte.

Erst 1880 erfreute sich nach unserem Wissen Nietzsche wieder an der Musik, als er in Venedig Kompositionen von Chopin hörte. Später (1881) frequentierte er auch die Oper in Genua, wo er Opern von Rossini und Bellini beiwohnte, die ihm ebenfalls gut gefielen. Erst jedoch "Carmen" von Georges Bizet wird für ihn ein Lebensereignis werden. Im folgenden Jahr nahm er nach Erhalt einer von der jungen Russin Lou Andreas-Salomé verfaßten Dichtung das Komponieren wieder auf, indem er den Text für Klavier vertont. Von da an entstand sein Hymnus an das Leben, der 1887 - nachdem es für Chor und Orchester von seinem alten Freund, dem Dirigenten Peter Gast (Heinrich Köselitz) bearbeitet worden war - als erstes und einziges musikalisches Werk des Philosophen vom Verlag E. W. Fritzsch veröffentlicht wurde. Dieser Hymnus sollte nach dem Wunsch des Autors von Zarathustra zu seinem Gedächtnis gesungen werden, wie in seiner Ende 1888 in Turin verfaßten autobiographischen Schrift "Ecce Homo" ausgedrückt ist.

Die öffentliche Vorführung der Musik Nietzsches in Porto Alegre/RS 2000 zum Zentenarium seines Todes und ihre Auswirkungen: Die CD "Nietzsche durch das Ohr" und Teile der Musik des Films "Tage von Nietzsche in Turin" von Bressane

Ronel Alberti da Rosa
Zum Zentenarium des Todes von Nietzsche kamen mir und dem Dirigenten Ronel Alberti da Rosa die Idee, ein Konzert mit Werken des Philosophen zu seinem Andenken zu realisieren. Bei der Suche nach Noten und Aufnahmen mit seinen Werken stellten wir fest, daß die Musik von Nietzsche in Brasilien unbekannt war. Im Verlaufe der Forschung fanden wir, daß nur der Dirigent Julio Medaglia ein Programm für das Radio Cultura São Paulos im März 1998 mit Kompositionen Nietzsches gestaltet hatte. So weit wir wissen, hat es aber kein öffentliches Konzert mit seinen Werken gegeben. Der Biograph von Nietzsche, Curt Paul Janz, hatte zwar 1976 das großangelegte Werk mit 315 Kompositionen des Philosophen herausgebracht, dies war in Brasilien jedoch nicht übersetzt worden. Auf Grund bestehender Kontakte in Deutschland war es möglich, Kopien von Teilen dieses Werkes zu erhalten, obwohl es vergriffen ist.

Im Besitz der Partituren konnten die Proben beginnen. Am 25. Oktober 2000 wurden bei einem vom Post-Graduierungs-Kurs in Philosophie der Bundesuniversität Rio Grande do Sul veranstalteten Treffen im Goethe-Institut nach einem Vortrag über Nietzsche von Prof. Dr. Günter Abel die Kompositionen einer aufmerksamen Zuhörerschaft vorgestellt werden. Es wurden folgende Werke vorgetragen: Heldenklage, Fragment an sich und Ermanarich (für Klavier), Ständchen, Beschwörung und Ungewitter (für Stimme und Klavier) und zuletzt der Hymnus an das Leben (für Klavier und Chor). Am 12. November wurden dann mehrere Kompositionen von Nietzsche nun von einem Orchester im Auditorium der Universität aufgeführt. Später bearbeitete Ronel Alberti auf Einladung von Antonio Carlos Cunha, Dirigent des Orchesters Sesi-Fundarte, das Werk Ermanarich für Streichorchester, und am 4. Dezember wurde die Musik Nietzsches im Sesi-Theater unter der Leitung von Cunha neben Werken von Händel, Stolzel, Grieg und Vivaldi aufgeführt. Teile der an diesem Tag vorgestellten Werke wurden von TVCOM aufgenommen und am nächsten Abend im Fernsehen übertragen.

Vor den drei Vorstellungen der Musik Nietzsches in Porto Alegre im Jahr 2000 hatte ich die Gelegenheit, im Rahmen des 3. Internationalen Symposiums für Philosophie zu referieren. In Rio de Janeiro hatte ich die Gelegenheit, einem "making of" über die "Tage von Nietzsche in Turin" beizuwohnen, ein Film, der damals von dem Cineasten Júlio Bressane realisiert wurde. In einem Gespräch mit Frau Prof. Dr. Rosa Maria Dias von der UERJ erzählte ich ihr über die Hommage, die wir für Nietzsche in Rio Grande do Sul zu veranstalten gedachten. Sie zeigte sich lebhaft daran interessiert und bat darum, ihr eine Aufnahme der Aufführung der Werke Nietzsches zusenden, um sie für die musikalische Gestaltung des Filmes von Bressane zu verwenden. Die Musik wurde am Tag der Aufführung aufgenommen und ihr zugeschickt; heute bildet sie einen Teil der Musik des Films "Tage von Nietzsche in Turin".

Mit der Absicht, die Musik Nietzsches in Brasilien zugänglich zu machen, wurde die CD "Nietzsche durchs Ohr" produziert. Es wurden von dieser CD weniger als hundert Kopien hergestellt, die bald verteilt wurden. Dies war der Auftakt eines größeren Projektes. Heute bereitet sich Ronel Alberti vor, eine neue CD mit dem Titel "Die tragische Dissonanz" mit verschiedenen anderen Aufnahmen von Werken Nietzsches für Klavier, Chor und auch Orchester zu produzieren.

Über die symphonische Dichtung Ermanarich, die auf der CD "Nietzsche durchs Ohr"vorgestellt wird, kann man folgendes sagen: der junge Nietzsche setzte sich von 1861 bis 1865 während seiner Studien in Pforta und später an der Universität Bonn mit der Sage von Ermanarich, dem König der Ostrogoden, auseinander. 1861 bereitete er zunächst eine historische Skizze vor, um die historischen Fundamente und die Tradition der Sage zu klären. Anschließend fing er auf Grund seiner Empfindungen über das Thema damit an, es musikalisch zu behandeln. Mit der Absicht, ein Orchesterwerk zu schaffen, fertigte er zunächst eine Version für vier Hände. Im folgenden Jahr gewann das Thema Ermanarich eine poetische Form und Nietzsche trug seine Dichtung "Tod von Ermanarich" bei einer Feier in Pforta vor. Auch verfaßte er eine Version seiner Musik für Klavier zu zwei Händen. Am 10. November 1863 schrieb er an seine Familie und teilte ihr mit, daß er in der vorherigen Woche eine tiefgehende Forschung der Sage von Ermanarich durchgeführt habe und dabei mehrere alte Bücher und Chroniken gesichtet hätte. Daraus würde eine kleine Arbeit von sechzig Seiten. Nach diesem Versuch setzte sich Nietzsche noch mit seiner Musik auseinander, und 1865 skizzierte er eine Oper über dieses Thema.

Auf der CD "Nietzsche durchs Ohr" wird die Musik Ermanarich in zwei Versionen vorgestellt, die erste für Klavier, wie Nietzsche sie erarbeitet hatte, die zweite für Streichorchester, deren Instrumentierung von Ronel Alberti da Rosa stammt. Nach diesen beiden Versionen folgen "Wenn Nietzsche Löwen gezähmt hätte …" für drei Posaunen, Klavier und Chor, eine freie Komposition von da Rosa zum Anlaß des Zentenariums des Philosophen. Über diese letzte Musik bringt die CD einen von da Rosa verfaßten Text. Die Aufnahmen wurden in Porto Alegre im Oktober-Dezember 2000 zur gleichen Zeit wie die Aufführungen gemacht. Es würde sich lohnen, diese Musik in einem Studio aufzunehmen wie die Doppel-CD "The Music of/La Musique de Friedrich Nietzsche", die von der Concordia University/Montreal produziert und finanziert wurde. Da wir über eine solche Unterstützung nicht verfügen, entschieden wir uns, die Aufnahmen nicht im Archiv zu lassen und sie einem größeren Publikum zur Verfügung zu stellen.

Schließlich erhoffen wir, daß die CD "Nietzsche durchs Ohr" und zukünftig die CD "Die tragische Dissonanz" den brasilianischen Hörern nicht nur erlauben, die Musik Nietzsches kennenzulernen, sondern ihnen ein weiteres Mosaiksteinchen bieten, um diesen Denker als Ganzes besser zu verstehen, ein Philosoph, für den es die Musik ist, die den Geist frei macht.

 

Texto incompleto e sem notas/Unvollständiger Text ohne Anmerkungen
Da publicação:/Aus der Veröffentlichung:
Musik, Projekte und Perspektiven. A.A. Bispo u. H. Hülskath (Hgg.).
In: Anais de Ciência Musical - Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft. Köln: I.S.M.P.S. e.V., 2003.
(376 páginas/Seiten, só em alemão/nur auf deutsch)
ISBN 3-934520-03-0

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