Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria científica
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No. 83 (2003: 3)


 

    Entidades promotoras
    Akademie Brasil-Europa
    I.S.M.P.S. e.V./I.B.E.M.: Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes/Instituto Brasileiro de Estudos Musicológicos
    ACDG: Associação Cultural Cante e Dance com a Gente (Novo Hamburgo RS)
    Institut für hymnologische und musikethnologische Studien e.V. (Maria Laach)

    Direção geral
    Dr. Antonio A. Bispo
    Direção Forum RS
    Dra. Helena de Souza Nunes, Rodrigo Schramm

 

ZU: DISKUSSION ÜBER AUTORITÄRE KONZEPTIONEN IN DER MUSIKFORSCHUNG

Aus dem Kolloquium der Akademie Brasil-Europa (2001)

Elena Schwenzel

 

Wenngleich es zunächst vielleicht befremdlich erscheinen mag, so sah bereits Platon einen engen Zusammenhang zwischen Musik und Politik. Platon ging sogar so weit, die Gesetze der Musik mit denen des Staates zu vergleichen: "Nirgendwo wird an den Gesetzen der Musik gerüttelt, ohne daß auch die höchsten Gesetzte des Staates ins Wanken geraten […]. Dort müssen also die Wächter ihr Wachhaus bauen: in der Nähe der Musik. Ja, Gesetzlosigkeit dringt leicht in die Musik ein, ohne daß man es gewahr wird." Gleichzeitig erachtete es Platon als unabdingbar, Gesetzlosigkeit in der Musik mit staatlichen Mitteln zu unterbinden. Da Platon der Musik die Fähigkeit zuschrieb, sich im Geist des Menschen festzusetzen und dort zu wirken, wollte er sie darüber hinaus als politische Propaganda im weitesten Sinne nutzen. Es ist demnach nicht überraschend, daß Musik, insbesondere in autoritär geführten Staaten, einerseits als Politikum gefürchtet und durch Zensur reglementiert wurde, andererseits als ideologisches Vehikel genutzt wurde.

Die Wechselwirkungen zwischen Musik und Politik lassen sich sehr gut an Hand der Entwicklungen in Deutschland in den 30er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts verdeutlichen. Es bietet sich darüber hinaus an, den wissenschaftlichen Aspekt in die Untersuchung einzubeziehen. In der Forschung manifestierten sich politische (Re-)Interpretationen oder ideologische Instrumentalisierungen der Musik sehr deutlich. Dabei war die Hervorhebung des spezifisch Nationalen also ?Deutschen‘ von besonderer Bedeutung: "[…] viele Musikhistoriker [versuchten], ?das Deutsche‘ in der Musik zu bestimmen. Hierzu gab es zahlreiche Ansätze. Man versuchte, die deutsche Musikgeschichte als eine organische Entwicklung dazustellen, mit der Tendenz, große Kompositionen verschiedener Epochen Bach und Beethoven, Bach und Wagner, Bach und Schumann und so weiter historisch zu verknüpfen, um musikalische Gemeinsamkeiten zu finden."

Solche Ideen entstanden nicht erst in den 30er Jahren, vielmehr stellte Bernd Sponheuer fest, daß sich die zwei Haupttendenzen, aus denen eine Art deutsches Sonderbewußtsein hervorgehen konnte, bereits im 19. Jahrhundert abzeichneten. Die Stichworte, mit denen Sponheuer die beiden Haupttendenzen zusammenfaßt, lauten Nationalismus und Kulturreligion.

Solche bereits entwickelten geistigen Strömungen wurden demnach lediglich von den neuen Machthabern übernommen und für ihre Zwecke instrumentalisiert. Dementsprechend konstatiert Sponheuer in einem Artikel über den Zusammenhang von Musik, Faschismus und Ideologie, daß "die zunehmend irrationale, mit Weltanschauung behaftete Wendung der deutschen Musikverhältnisse des 19. Jahrhunderts ein Potential von Denkfiguren und Verhaltensmustern entwickelt hat, das ohne viele Umstände vom Nationalsozialismus integriert werden konnte." Das Nationalistische kann weniger in den jeweiligen Ausdrucksmitteln oder ideologischen Elementen gefunden werden, als in der spezifischen Anordnung und in der rezeptiven Einbettung.

Es stellt sich demnach die Frage, wie und mit welchen Auswirkungen auf die Forschung und Musikgeschichtsschreibung die Umfunktionierung in der Musikwissenschaft stattgefunden hat. Seit den 70er Jahren befaßten zunächst eher verhalten diverse Arbeiten mit dieser Fragestellung. Umfassende Abhandlungen, die ausschließlich diesen Aspekt untersuchten, wurden aber erst in den 90er Jahren veröffentlicht. Besondere Erwähnung verdient die 1991 erschienene Arbeit Trends in German musicology. 1918-1945, von Pamela Maxime Potter, in der sie sehr umfassend die geistesgeschichtlichen Entwicklungen der Musikwissenschaft von der Weimarer Republik bis zum Ende des 2. Weltkrieges darstellt und reflektiert. Weitere Recherchen Potters in diesem Feld führten zu neuen Erkenntnissen, die sie in einer 1998 erschienen Arbeit Most German of the Arts, Musicology and Society from the Weimar Republic to the End of Hitlers Reich zusammenfaßte. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Arbeiten zu einzelnen musikwissenschaftlichen Instituten. Dazu zählt beispielsweise Kurt Drexels Arbeit über den Zusammenhang zwischen der Forschung am musikwissenschaftlichen Institut der Universität Innsbruck und NS-Ideologie. Auch Eckhard Johns Arbeit über die Musikwissenschaft in der Zeit des Nationalsozialismus an der Freiburger Universität befaßt sich explizit mit der Rolle der musikwissenschaftlichen Forschung beim Aufbau und Festigung eines Mythos vom Deutschen in der deutschen Musik. Verschiedene Aufsätze, die sich mit den Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die Bachforschung befassen, finden sich in den Leipziger Beiträgen zur Bachforschung von 1995. Es gilt darüber hinaus eine Aufsatzsammlung Musikwissenschaft - eine verspätete Disziplin? Die akademische Musikforschung zwischen Fortschrittsglauben und Modernitätsverweigerung, herausgegeben von Anselm Gerhard, zu erwähnen, in der diverse Aspekte der Methodik und Ideengeschichte der Musikwissenschaft behandelt werden. Eine Arbeit von Eckhard John über die Musikforschung im Dritten Reich sowie eine Arbeit von Roman Brotbeck über die (fehlende) Vergangenheitsbewältigung in der Musikwissenschaft befassen sich explizit mit den Auswirkungen nationalsozialistischer Vorstellungen auf die musikwissenschaftliche Forschung.

Wie schon dieser kurze und unvollständige Überblick über den Stand der Forschung zeigt, gibt es bereits eine Vielzahl von Arbeiten zu dieser Thematik. Dies bedeutet jedoch nicht, daß eine Auseinandersetzung mit dem Thema nicht mehr lohnenswert sei. Interessant wäre in diesem Zusammenhang beispielsweise eine genaue Analyse und Auswertung der Lehre und Lehrinhalte in den musikwissenschaftlichen Instituten in der Zeit zwischen 1933 und 1945. Eine solche Arbeit müßte das Lehrangebot an den verschiedenen deutschsprachigen Universitäten (also auch österreichischen und schweizerischen Universitäten, sowie deutschen Universitäten im Ausland wie beispielsweise in Prag) untersuchen. Dabei sollten folgende Fragestellungen berücksichtigt werden: Was hat sich im Hinblick auf die Lehrinhalte nach 1933 verändert? Gab es überhaupt Veränderungen? Gab es Themenschwerpunkte, wenn ja welche? Gab es Verlagerungen der Themenschwerpunkte zwischen 1933 und 1945, ausgelöst beispielsweise durch innen- oder außenpolitische Ereignisse?

Als Quellenmaterial können die Vorlesungsverzeichnisse der Zeit dienen. Diese erschienen bis 1935 in der Rubrik "Vorlesungen über Musik an Universitäten und Hochschulen" in der Zeitschrift für Musikwissenschaft, danach bis 1943 in der Nachfolgezeitschrift Archiv für Musikforschung.

Allein die Titel der Vorlesungen und Seminare reichen jedoch als Quellenmaterial nicht. Der Titel einer Vorlesung wie "Musikgeschichte des Mittelalters" besitzt wenig Aussagekraft über die ideologischen und methodologischen Schwerpunkte des Faches. Wenn aber festgestellt werden kann, daß die Musik des Mittelalters sehr viel häufiger als zuvor oder als danach in Vorlesungen und Seminaren thematisiert wurde, so ist dies ein interessanter Hinweis. Um die Aussagekraft des Titels einer Vorlesung zu stärken, bietet es sich darüber hinaus an, Artikel oder Bücher der dozierenden Professoren, die sich mit dem gleichen Thema befassen, in die Untersuchung einzubeziehen. Beispielsweise hielt Prof. Dr. Joseph Müller-Blattau im Wintersemester 1937/38 eine Vorlesung mit dem Titel "Geschichte der deutschen Musik", 1938 erschien im Vieweg-Verlag ein Buch des Professors mit dem gleichen Titel. Es liegt demnach nahe, daß der Inhalt des Buches sich nicht wesentlich vom Inhalt der Vorlesung unterschieden hat. Es wäre also möglich, die Vorlesung an Hand des Buches zu rekonstruieren. Auch die Befragung von Zeitzeugen bietet interessante Möglichkeiten. Leider sind fast 60 Jahre nach dem Krieg viele der ehemaligen Studenten verstorben.

Bereits bei einer ersten, oberflächlichen Betrachtung der Vorlesungsverzeichnisse fallen interessante Entwicklungen auf. Nach 1933 traten gehäuft Titel auf, die darauf hinweisen, daß in den Kursen und Vorlesungen Fragestellungen zum Thema Rasse und Musik behandelt wurden. Dies gilt beispielsweise für die Übung Völkische und persönliche Eigenart in der musikalischen Ausdrucksgestaltung, die im WS 1933/34 in Hamburg von Prof. Dr. Wilhelm Heinitz angeboten wurde, aber auch für die im WS 1933/34 in München gehaltene Vorlesung Einfluss der Rasse auf die Musikentwicklung von Prof. Dr. Alfred Lorenz. Auch die Vorstellung einer Überlegenheit der deutschen Musik wurde häufig schon im Titel deutlich. Dies gilt beispielsweise für die von PD Dr. Walter Vetter im WS 1933/34 in Hamburg gehaltenen Vorlesung Die Stellung der deutschen Musik innerhalb der allgemeinen Musikgeschichte seit 1300 oder für die im Sommersemester 1934 von Prof. Dr. Heinrich Besseler an der Universität Heidelberg angebotene Vorlesung über Wesen und Aufgabe der deutschen Musik und Kunst. Ein gesteigertes Interesse an der deutschen Volksmusik kann ebenfalls konstatiert werden. Beispielsweise hielt Prof. Dr. Joseph Müller-Blattau im SS 1935 an der Universität Königsberg (Pr.) eine Vorlesung über Das deutsche Volkslied nach Stämmen und Landschaften und Prof. Dr. Heinrich Besseler eine Vorlesung über Das deutsche Volkslied an der Universität Heidelberg im Sommersemester 1936.

Untersucht man die Vorlesungsverzeichnisse z.B. der 20er Jahre, so erkennt man, daß auch hier ähnliche Thematiken behandelt wurden. Im Sommersemester 1922 hielt Prof. Dr. Max Friedländer in Berlin eine Vorlesung über Das deutsche Volkslied, mit musikalischen Beispielen und im Wintersemester 1921/22 hatte Prof. Dr. Max Dietz in Wien Die Führer und Bahnbrecher der neuromantischen Tonkunst (in der Sinfonik, im Oratorium und in der Oper) behandelt. Es wird somit deutlich, daß die Vorstellungen und Ideen nicht erst nach der Machtübernahme 1933 entstanden. Vielmehr bestätigt sich hier erneut, daß der Nationalsozialismus problemlos bereits vorhandene Denkfiguren und Verhaltensmuster integrieren und für sich instrumentalisieren konnte. Gleichzeitig fanden bisher eher skeptisch betrachtete Ideen auch in einer breiten wissenschaftlichen Schicht Zustimmung und Aufnahme. So schreibt Pamela Potter: "The new regime managed to locate some common ground between musicologists and Nazi ideologues. Nazi party and state functionaries channelled resources into the already growing area of German folk music, in the hope that scholars would enrich the repertoire of songs for use in schools, political functions, and the Wehrmacht."

Im Rahmen der hier gegebenen Möglichkeiten kann nur aufgezeigt werden, daß es nach wie vor notwendig ist, der Frage nach den Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die Forschung und Musikgeschichtsschreibung nachzugehen. Eine genaue Untersuchung des Lehrplans, eine Möglichkeit die hier lediglich angedeutet werden konnte, stellt einen Ausgangspunkt weiterer Forschungsfelder dar. Eine solche Fragestellung gliedert sich wiederum in die umfassendere Fragestellung nach dem Zusammenhang zwischen Musik und Politik ein, die von allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Interesse sein sollte.

 

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Da publicação:/Aus der Veröffentlichung:
Musik, Projekte und Perspektiven. A.A. Bispo u. H. Hülskath (Hgg.).
In: Anais de Ciência Musical - Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft. Köln: I.S.M.P.S. e.V., 2003.
(376 páginas/Seiten, só em alemão/nur auf deutsch)
ISBN 3-934520-03-0

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