Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria científica
© 1989 by ISMPS e.V. © Internet-edição 1999 by ISMPS e.V. © 2006 nova edição by ISMPS e.V.
Todos os direitos reservados


»»» impressum -------------- »»» índice geral -------------- »»» www.brasil-europa.eu

No. 82 (2003: 2)


 

    Entidades promotoras
    Akademie Brasil-Europa
    I.S.M.P.S. e.V./I.B.E.M.: Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes/Instituto Brasileiro de Estudos Musicológicos
    ACDG: Associação Cultural Cante e Dance com a Gente (Novo Hamburgo RS)
    Institut für hymnologische und musikethnologische Studien e.V. (Maria Laach)

    Direção geral
    Dr. Antonio A. Bispo
    Direção Forum RS
    Dra. Helena de Souza Nunes, Rodrigo Schramm

© Foto: H. Hülskath, 2002
Archiv A.B.E.-I.S.M.P.S.

 

MUSIKALISCHE WAHRNEHMUNG UND SELBSTWAHRNEHMUNG

Laura Franch Schmidt da Silva

 

[Aus der Tonaufnahme des Vortrags]

A percepção musical e a percepção de si mesmo

Laura Franch Schmidt da Silva

A experiência de ensino obtida desde 1988 nas matérias estruturais da linguagem musical no Instituto de Música da Escola Superior de Teologia - EST em São Leopoldo tem demonstrado que a orientação e a fundamentação da prática de ensino devem ser consideradas sob duas perspectivas:

1) a da preocupação exclusiva com a assimilação de conteúdos teórico-musicais - rítmo, melodia, contraponto e harmonia - com o objetivo de dar maior qualidade à prática musical; 2) a da consideração do fato de que o processo de aquisição da linguagem musical para os alunos representa uma experiência que modifica a sua percepção de si próprio e a sua visão do mundo.

Percepção musical e percepção de si próprio torna-se, assim, cada vez mais, um objetivo central do ensino e também objeto de pesquisa científica. Uma pesquisa desse tipo encontra-se em andamento e deverá fornecer bases teóricas para a publicação de materiais didáticos que serão aplicados ao ensino de Teoria, Ditado e Solfejo no Instituto de Música da EST.

(resumo parcial)

Der vorliegende Vortrag basiert auf Erfahrungen, die seit 1988 am Musikinstitut der Hochschule für Theologie von São Leopoldo im Fach Theorie und musikalische Perzeption der Musik gemacht werden, das im Laufe der Zeit mehrfach umbenannt wurde. 1998 wurde eine Musikabteilung der theologischen Hochschule gegründet, die später zu einer Schule professioneller Qualifizierung wurde. Heute gilt sie als eine Fachhochschule. Wir haben es somit mit einem Fach zu tun, das sich dem Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen anpassen mußte. Die Disziplin, die heute Theorie und musikalische Perzeption heißt, ist mit dieser Bezeichnung verhältnismäßig neu. Ihr Konzept wurde vielfach diskutiert und wird oft nicht verstanden oder wie das Instrumentalspiel akzeptiert.

Musikalische Perzeption wird im Sinne der Wahrnehmung des Selbst verstanden. Diese Auffassung der Disziplin kann aber nur unter Berücksichtigung ihrer Geschichte und Entwicklung in der Institution nachvollzogen werden.

1988 wurde ein Fach eingeführt, das "Funktionelles Tasteninstrument" (Teclado funcional) genannt wurde. Musiktheorie wurde dabei in Anlehnung an die Funktionsharmonik mit Hilfe eines Tasteninstruments - in der Regel ein Klavier - gelehrt. Diese Verfahrensweise hob sich bereits von der traditionellen Weise, Theorie zu reflektieren und zu lehren, kontrastierend ab. Sie war praxisbezogener. Bis dahin bestand die Theorie der Musik aus dem eigentlichen theoretischen Kernbereich und aus der Gehörbildung, die traditionell Diktat und Solfège umfaßte. Bei der neuen, multimodalen Auffassung wurde ein neues Konzept des Musiklernens entwickelt und erprobt. Dies besagt, daß Musik nicht nach einem gefächerten Modell erlernt wird. Dabei wird berücksichtigt, daß es unterschiedliche Weisen gibt, Theorie aufzufassen, denn Theorie kann auch in engem Zusammenhang mit dem Akt des Musizierens selbst, des Musikmachens, stehen. Es geht darum, die theoretische Reflexion dem Entwicklungsniveau anzupassen, in dem sich der Student befindet. Dies geschieht mittels verschiedener Techniken musikalischer Improvisation und der angemessenen, angewandten Gehörbildung sowie durch Lektüre und Komposition.

Diese Konzeption war damals in der Region neu und rief naturgemäß Reaktionen hervor. In ein und derselben Gruppe gab es Studenten mit kaum musikalischen Kenntnissen und andere, die bereits ein Konzertrepertoire beherrschten. In diesen unterschiedlich zusammengesetzten Klassen mußte Theorie gelehrt werden. Der Ansatzpunkt war die Partitur. Die Lektüre erfolgte zunächst nach den vorhandenen Kenntnissen einzelner Studenten und wurde allmählich vertieft. Ausgehend von einfachster Analyse von Rhythmus, Metrum und Melodie wurden zunehmend Harmonie und Kontrapunkt behandelt, jedoch stets in demselben Kontext. Diese Methode war umstritten, vielleicht weil sie nordamerikanisch geprägt war. Sie wurde jedoch immer weiter entwickelt und für die vorhandenen Bedürfnisse didaktisch aufgearbeitet.

1996 wurde diese Entwicklung der Praxis systematisiert und die verschiedenen Ansätze dienten der Konfiguration eines musikpädagogischen Projekts. Der Terminus Musikpädagogik wurde in Anlehnung an den deutschen Sprachgebrauch dafür ausgewählt. Der theoretische Unterricht stand seitdem unter der weiteren Perspektiv einer übergreifenden musikpädagogischen Auffassung.

Seit 2000 wird das didaktische Material für diese neue Auffassung der Theorie erarbeitet. Die multimodale Konzeptualisierung, die hier angewandt wird, geht auf Kontakte zu der nordamerikanischen Erziehungswissenschaftlerin M. Harlem zurück, die bis in das Jahr 1987 zurückreichen. Sie lehrte den Musikunterricht durch das Tasteninstrument, eine Vorgehensweise, die Laura Schmidt in ihrer Magisterarbeit behandelt. Der Grundgedanke liegt in der Auffassung, bei allen Unterschieden der Musikmethoden soll Musik durch das Musikmachen erlernt werden. Diese Idee scheint selbstverständlich zu sein, sie ist es aber nicht. Vielfach wird beabsichtigt, den Menschen Systematisierungsmodalitäten ohne Praxis zu vermitteln. Dieser Ansatz verfolgt einen umgekehrten Weg. Es muß eine Praxis geben, danach folgt die Theorie. Vor allem die Erwachsenen tendieren dazu, zuerst eine Struktur, ein System zu erlernen, um es dann in die Praxis umzusetzen. Für sie ist zunächst befremdlich, mit dem neuen Ansatz praxisbezogener Theorieerarbeitung konfrontiert zu werden. Die Individuen nehmen beim Hören das Ganze war, ohne zu wissen, wie es strukturiert ist. Sie sind zunächst nicht in der Lage, zu erkennen, wie es z.B. rhythmisch, melodisch und harmonisch konstruiert ist.

Die Schwierigkeit lag zunächst darin, das Gehörte zu systematisieren. Es kann sein, daß diese Schwierigkeit kulturell bedingte Gründe hatte. Es hätte vielleicht eine Kontextualisierung dieser nordamerikanischen Vorgehensweise an die lokalen Bedingungen stattfinden sollen. Es wurde festgestellt, daß das Problem in der Dichotomie zwischen dem Selbst und dem Anderen lag. Das Ich wurde hier von dem Wir unterschieden. Die Studenten hatten die Tendenz, die Partitur als Anderes aufzufassen, daß ihnen gegenüberstand. Ein Gruppenbewußtsein war nicht vorhanden. Es wurde nicht verstanden, daß die Musiksprache eine Kommunikationsweise mit der Welt ist, daß der Mensch mit der Musik über eine zweite Sprache verfügt. Man ging nur davon aus, daß die Musiksprache lediglich im Dienst einer musikalischen Performance stand. Es wurde nicht erkannt, daß diese Performance zur Konstruktion des Selbst führte. Diese Fixierung hing stets mit der Idee des Wettbewerbs zusammen. Das Individuum erscheint vielfach als Figur vor einem Hintergrund, d.h. die Figur wird auf Kosten des Ganzen hervorgehoben.

Diese Ansschauung war es, die dazu führte, daß das ganze System auf die Formung von Solisten ausgerichtet war. Auf diese Weise wurde an der Konstruktion von Solisten oder Gruppen gearbeitet, aber nicht an dem Einzelnen in seiner Bedeutung innerhalb der Gruppe. Dieser Mangel ist beispielsweise in der Chorpraxis zu beobachten. Die Chorteilnehmer fühlen sich nur dann aufgewertet, wenn sie eine Solopartie haben. Sie fühlen sich nicht ganz beachtet, wenn sie nur Teil der Gruppe sind. Man hört sogar oft die Aussage: sing nicht in meiner Nähe, da Du mich störst. Es wird nicht wahrgenommen, daß die eigene Stimme durch die Stimme des Anderen ergänzt wird.

Aus diesen Beobachtungen entwickelte sich zwischen 1996 und 2000 die Reflexion darüber, was unter Perzeption im Namen der Disziplin aufzufassen ist. Der Begriff Perzeption selbst mußte diskutiert und geklärt werden. Es wurde problematisiert, was unter Theorie und Perzeption implizit verstanden wurde und was daraus in den Vordergrund gebracht werden mußte. Immer mehr wurde dabei ersichtlich, daß es nicht so sehr darum ging, Rhythmen, Melodien und Strukturen wahrzunehmen. Derjenige, der Musik macht, ist das Individuum.

Die Musik ist ohne die formende Einwirkung des Individuums abstrakt inexistent. Dieser Formungsprozeß wird in dem entwickelten musikpädagogischen Projekt besonders beachtet. Das Individuum modelliert die ästhetischen Erfahrungen durch das Musikmachen. Das "learning by doing" steht im Mittelpunkt. Dabei ist nicht das individuelle Musikmachen gemeint, sonder die Gruppenerfahrung. Erst dann beginnt die Bewußtwerdung des Ich, die Wahrnehmung des Selbst durch die Musikstruktur. Die Musikstruktur erscheint als Metapher für das Sich-Aussprechen und das Sprechen vom Ich. Erst in diesem Gesamtrahmen wird erfaßt, was es bedeutet, gestimmt zu sein, was es bedeutet, gemeinsam zu musizieren, präzise zu singen, was z.B. Kontrapunkt bedeutet.

Diese Reflexionen führen zur Frage der Konstruktion der Identität. Das, was man als Parameter der Struktur und der Sprache der Musik wahrnimmt, ereignet sich gleichzeitig mit der Wahrnehmung des Selbst. Man lernt, sich selbst zu verstehen, indem man sich in einen musikalischen Kontext einfügt, in dem der Andere erscheint, jemand der die Differenz verkörpert, einen ergänzt und zur Formung des Wir führt. Daraus entsteht das Individuum, das mit dem Leben gestimmt ist. Was ist denn ein Individuum, das mit dem Leben gestimmt ist? Es ist der, der sein Ich in der musikalischen Sprache konstruiert hat. Es ist das Individuum, das in der musikalischen Sprache eine Relation aufstellt: dabei geht es nicht um das Individuum für sich, sondern um das Individuum für etwas.

Dieses relationistische System ist zumindest im Rahmen tonaler Musik - die noch vorherrschend ist - zu hinterfragen. Was versteht man z.B. unter Relation von Medianten? Die Reflexionen führen dahin, daß darunter eine Relation im Sinne von "für etwas" zu verstehen ist. In der Funktionsharmonie tritt diese Relation deutlich in Erscheinung, wenn man z.B. von Relativen und Anti-Relativen spricht. Unter dieser Perspektive tritt die Person im Projekt in den Vordergrund. Die Person ist es, die Musik macht für den Anderen und mit dem Anderen. Diese Orientierung hin zur Aufwertung des Individuums ist sehr ausgeprägt. Der Lehrer selbst sieht nicht den Schüler vor sich, sondern eine Person, die die Legitimität hat, ein Individuum mit einem Eigenrhythmus zu sein, die ihre eigene Art und Weise hat, ihren Kontrapunkt zu setzen und mit der Welt zu harmonisieren. Als Ergebnis hat man ein Individuum, das sich im Prozeß befindet, sich auf das Leben einzustimmen, indem es für den Anderen ist und die Einheit des Wir konstituiert.

Auf der Basis der Phänomenologie der Perzeption von Merleau-Ponty wird reflektiert, ob alles, was man - auch durch die Wissenschaft - über die Welt weiß, von der eigenen Sicht ausgeht, die eine letzte Erfahrung der Welt ausmacht, ohne die die Symbole der Wissenschaft nichts bedeuten würden. In der Disziplin Perzeption wird dementsprechend die Person geachtet, die sich im Prozeß der Erfahrung befindet und auf der Basis der erlebten Welt konstruiert ist. Das vom Studenten Erlebte, das Erlebte als Erfahrung der Perzeption, wird aufgewertet. Perzeption betrifft hier nicht die Musik, sondern erfolgt durch die Musik. Es handelt sich letztlich um die Erfahrung der Welt, die die Idee der Essenz konstituiert. So betrifft die Musik in diesem Projekt nicht eine rein ästhetische Frage, sondern durch sie wird das Individuum konstruiert. Beim Perzeptionsunterricht geht es darum, eine musikalische Erfahrung herbeizuführen, die das Individuum ergreift, so daß es sich zusammen mit der Musik strukturiert. Hier liegt die große Verantwortung, eine Perzeptionsaktivität vorzuschlagen. Es geht eben nicht darum, daß der Student etwa rhythmische Präzision erlangt oder melodisch sauber singt, sondern um viel mehr. Er soll sich seiner selbst bewußt werden.

Ziel ist also nicht die Partitur und die Performance, sondern das, was daraus der Stundent für sich entnimmt, wie er seinem Leben und dem der Anderen Qualität verleiht. In unserer individualistischen Welt geht es darum, das Bewußtsein der Gruppe und der Gemeinschaft zu erneuern. Die Musik dient dazu symbolisch und metaphorisch als organisierte Töne und Rhythmen, die eine Kommunität bilden. Ganz wichtig dabei ist der Begriff des Körpers, denn durch den Körper wird gelernt, etwa durch die Gesten des Dirigierens, bei der Nachahmung der Rhythmen, bei der Lokalisierung von konfigurierten musikalisch-gestischen Akten. Die Gesten spielen bei der musikalischen Perzeption eine viel größere Rolle als bisher anerkannt. Der Komplex des Perzeptionsprozesses beinhaltet bisher Lücken, die wahrgenommen werden müssen. Es geht auch darum, das Abwesende wahrzunehmen. Partitur wird unter dieser Perspektive gleichsam nur zu einem Atlas, einer musikalischen Karte, durch die die verborgenen, die impliziten, die nicht ausgesprochenen Dingen geoffenbart werden sollten, und zwar durch ein Individuum. Das Hauptziel der Perzeption nach dieser Konzeption liegt also darin, die kontextualisierte Kenntnis des Selbst zu initiieren.

Auf Grund dieser Reflexionen werden zur Zeit pädagogische Hefte vorbereitet. Sie stützen sich auf mehrere Ansätze. Die musikalische Erfahrung steht im Vordergrund und wird in Hinblick auf zwei Kategorien erarbeitet: die Perzeption von Raum und Zeit. Bei der Perzeption der Zeit geht es vor allem um Fragen des Rhythmus, was dem Individuum auch die Auseinandersetzung mit dem Unvorhergesehenen und somit mit dem Leben bringt.

Das Individuum wird im Musikinstitut der theologischen Hochschule dazu erzogen zu erkennen, daß nur der Glaube es ihm erlaubt, in der Unsicherheit des Lebens Pläne zu schmieden und so seine Zukunft zu konstruieren. Das Individuum erlebt dies in der zeitlichen Strukturierung der Musik. Die Perzeption des Raumes wird vor allem auf Grund des musikalischen Plans selbst erfahren, in dem der Student Musik als Strukturiertes erkennt und von dort aus in der Lage ist, die eigenen Erfahrungen auf Grund ihrer Potenzialitäten zu modellieren.

Die Aneignung der musikalischen Sprache erfolgt gemäß der Konzeption eines theoretischen und eines physischen Körpers. Der theoretische Körper betrifft die Vielfalt des Wissens, und der physische Körper den materiellen Leib des Menschen. Aus theologischen Erwägungen wird hier Musik als Suche nach Transzendenz aufgefaßt. Die ästhetische Erfahrung als Erfahrung des Selbst in bezug auf den Anderen soll zur Transzendenz durch die Musik führen.

Der Terminus Theorie sollte in dieser Konzeption des Faches ersetzt werden. Die Bezeichnung "Musikalische Strukturierung" würde eher den dargestellten Auffassungen entsprechen, wenn darunter die Konstruktion der Identität des Individuums, der Identität des Selbst verstanden wird.

 

Texto incompleto e sem notas/Unvollständiger Text ohne Anmerkungen
Da publicação:/Aus der Veröffentlichung:
Musik, Projekte und Perspektiven. A.A. Bispo u. H. Hülskath (Hgg.).
In: Anais de Ciência Musical - Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft. Köln: I.S.M.P.S. e.V., 2003.
(376 páginas/Seiten, só em alemão/nur auf deutsch)
ISBN 3-934520-03-0

Pedidos com reembolso antecipado dos custos de produção e envio (32,00 Euro)
Bestellungen bei Vorauszahlung der Herstellungs- und Versandkosten (32,00 Euro):
ismps@ismps.de
Deutsche Bank Köln (BLZ 37070024). Kto-Nr. 2037661

Todos os direitos reservados. Reimpressão ou utilização total ou parcial apenas com a permissão dos autores dos respectivos textos.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Wiedergabe in jeder Form oder Benutzung für Vorträge, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Autoren der jeweiligen Texte.

 

zum Index dieser Ausgabe (Nr. 82)/ao indice deste volume (n° 82)
zur Startseite / à página inicial
Editor