Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria científica
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No. 82 (2003: 2)


 

    Entidades promotoras
    Akademie Brasil-Europa
    I.S.M.P.S. e.V./I.B.E.M.: Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes/Instituto Brasileiro de Estudos Musicológicos
    ACDG: Associação Cultural Cante e Dance com a Gente (Novo Hamburgo RS)
    Institut für hymnologische und musikethnologische Studien e.V. (Maria Laach)

    Direção geral
    Dr. Antonio A. Bispo
    Direção Forum RS
    Dra. Helena de Souza Nunes, Rodrigo Schramm

© Foto: H. Hülskath, 2002
Archiv A.B.E.-I.S.M.P.S.

 

MUSIKWISSENSCHAFTLICHE UND KULTURGESCHICHTLICHE POSITIONIERUNGEN UND NEUORIENTIERUNGEN ZUR GESCHICHTE DER AKADEMIE BRASIL-EUROPA

Eröffnugsvortrag im Kulturzentrum von Gramado

Antonio Alexandre Bispo

 

Mit großer Freude sehe ich, daß ein lang vorbereitetes Projekt heute Wirklichkeit wird: die Realisierung eines Kongresses euro-brasilianischer Studien unter besonderer Berücksichtigung der Musik in einer Region Brasiliens, die vielleicht am meisten eine Unternehmung dieser Art rechtfertigt. Ich bin für diese Gelegenheit und die Gastfreundschaft der Städte Gramado, Nova Petrópolis, São Leopoldo und Dois Irmãos sehr dankbar.

Ohne das außerordentliche Engagement unserer Kollegen und Freunde in Rio Grande do Sul wären wir heute nicht hier. Vor allem Frau Prof. Dr. Helena Souza Nunes und Herrn Rodrigo Schramm von der ACDG sowie ihren Helfern möchte ich im Namen aller auswärtigen Teilnehmer unseren herzlichsten Dank aussprechen.

Ich möchte meine Rede kurz zusammenfassen. Wie läßt sich erklären, daß wir uns in einem Kongreß euro-brasilianischer Studien, der in verschiedenen Städten Brasiliens stattfinden wird, mit einem musikerzieherischen Projekt, nämlich mit der Bewegung "Singe und tanze mit uns", besonders beschäftigen, das sich in der Region deutscher Einwanderung im Süden Brasiliens entwickelte?

*

Der Grund des besonderen Interesses der Akademie Brasil-Europa für Probleme von kulturidentifikatorischen Prozessen und dementsprechend auch für Unternehmungen im Bereich der angewandten Kulturforschung und der Erziehung läßt sich aus der Geschichte der Ideale nachvollziehen, die der Akademie zugrundeliegen. Diese vielschichtigen Denkströmungen gehen zurück auf einen Kreis deutsch-russischer Gelehrter, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Ukraine lebten. Sie beschäftigten sich vor allem mit Fragen des Europäischen und des Nicht-Europäischen in der Kultur, der Begegnung zwischen Okzident und Orient sowie den Grundlagen abendländischer Kultur und Geistigkeit. Es ging damals nicht nur um eine rein wissenschaftliche Beschäftigung, sondern vor allem um Fragen der geistig-kulturellen Formung des Menschen, d.h. im weiten Sinn um Fragen, die die Mechanismen der Konstituierung von Kulturidentitäten betreffen und somit dem Spannungsfeld interdisziplinärer Beziehungen zwischen Kultur- und Erziehungswissenschaft zugeordnet werden können.

Durch die Revolution von 1917 mußten viele der Mitglieder dieses Kreises auswandern. Sie kamen über die Krim, Istanbul und den Balkan nach Österreich. Eine von ihnen war Tatiana Kipman, eine Musikerin mit Interessen für die Geisteswissenschaften, die in Salzburg Martin Braunwieser, den besten Schüler des Mozarteums der damaligen Zeit, kennenlernte. Das Mozarteum erlebte zu dieser Zeit unter der Leitung von Bernhard Paumgartner tiefgreifende Reformen. Es war eine Zeit des Aufbruchs und des Wandels der Musiksprache, der Musikanschauungen und der musikalischen Bildungsinhalte und -methoden. Studenten und Professoren des Mozarteums gründeten damals eine freie Akademie für Geisteswissenschaften, die sich mit Strömungen des Denkens, der Analyse der Wirklichkeit, dem Studium der Geschichte und der kreativ und wissenschaftlich-philosophisch geleiteten Aktionsweisen auseinandersetzen sollte. Ein solches Ansinnen entsprach den Bedürfnissen der Zeit, wie sie unter anderen Vorzeichen auch in der sich damals entwickelnden Anthroposophie und der Waldorf-Pädagogik zum Ausdruck kamen. Zu dieser Zeit wurde zum ersten Mal das Werk "Saudades do Brasil" von Darius Milhaud in Deutschland aufgeführt. Seitdem waren Tatiana und Martin Braunwieser von einem Wunsch nach einem Leben in Brasilien erfüllt.

1924 wurden Mitglieder dieser Akademie geisteswissenschaftlicher Studien nach Athen berufen, um den Musikunterricht und das Musikleben im traditionsreichen Odeon zu erneuern. Voller Idealismus träumten die Musiker davon, den klassischen Mo-zart-Geist Salzburgs zu den Wurzeln der Antike zurückzuführen. So führten sie zum ersten Mal das Requiem von Mozart im Stadion von Olympia auf. Sie haben aber auch nicht versäumt, die "Saudades do Brasil" in Griechenland vorzustellen. 1928 wanderten diese Musiker nach Brasilien aus, nämlich zu der Region São Paulos, in der unser Studienzentrum liegt. Sie begannen dort eine Arbeit der Erneuerung des Musiklebens und des Musikunterrichts. So waren sie diejenigen, die Béla Bartók und P. Hindemith in Brasilien eingeführt haben. Ihre Tätigkeit mußte aus sprachlichen Gründen naturgemäß zunächst in deutschsprachigen und russischen Kreisen ansetzen,was aber bald eine erstaunliche Dynamik entfachte, durch die sprachliche, kulturelle und soziale Grenzen sowie historisch bedingte Kontexte überwunden werden konnten, was für die historisch orientierten kulturwissenschaftlichen Studien heute von größtem Interesse erscheint. Von Anfang an standen Fragen der Rolle der Musik bei der Kulturformung sowie der Musikerziehung und -pädagogik im Vordergrund.

Während Tatiana Kipman sich so z.B. der Pflege des Kunstliedes in deutscher Sprache widmete, versuchte Braunwieser, deutsche Kirchenlieder der portugiesischen Sprache anzupassen. Die Hauptaufmerksamkeit galt jedoch den Kindern. In Zusammenarbeit mit dem staatlichen Rundfunksender für Kultur São Paulos schuf er so bereits 1930 ein musikalisches Hörspiel für Kinder.

Unter der Leitung von Martin Braunwieser wurde das deutschsprachige Musikleben São Paulos von Grund auf erneuert. Darüber hinaus förderte er bemerkenswerterweise die Entwicklung des Gesanges in portugiesischer Sprache. Da er mit der Bewegung des Volkschores im deutschsprachigen Raum vertraut war, unterstützte er z.B. nach Kräften die Entstehung des Volkschores in portugiesischer Sprache in Brasilien. Zusammen mit dem Schriftsteller Mário de Andrade veranstaltete er 1937 den I. Brasilianischen Kongreß der gesungenen Nationalsprache. 1938 nahm er als Musikforscher an der wichtigen Expedition für Musikforschung zum Nordosten Brasiliens teil. Die Eindrücke, die er bei dieser Reise gewann, prägten zutiefst seine weitere Arbeit. M. Braunwieser erkannte in den Volksspielen und -tänzen des Nordostens Brasiliens das Weiterleben von uralten Kulturerscheinungen und spürt in ihnen die Wirkung einer symbolischen Organisation des Weltbildes auf, die der Kultur Brasiliens zugrundelag. Ihm lag daran, diese erkannten Sinnbilder auch für die Musikerziehung anderer Regionen Brasiliens in reflektierten Auseinandersetzungen fruchtbar werden zu lassen, um kulturellen Entfremdungen in den kosmopolitischen Städten vorzubeugen und zugleich den sich damals ausbreitenden Tendenzen einer nationalistischen Reduktion des Kulturverständnisses und des Sinnes schöpferischer und pädagogischer Kulturarbeit entgegenzuwirken.

Gelegenheit zur Anwendung dieser Erkenntnisse ergaben sich durch die Entwicklung eines Netzes von Kindergärten in São Paulo, in denen Kinder der verschiedensten Immigrantenkreise sozialisiert und erzogen werden sollten. Dies war ein offizielles Experiment der Stadt São Paulo, das in seiner Art Pioniercharakter in Lateinamerika hatte. Bereits für die erste Vorstellung dieser Kinder schuf Braunwieser ein Musiktheater, das sich auf das Motiv des Waldes und der Indianer bezog. Das Paradigma der musikalischen Arbeit war jedoch das Spiel des Katharinetenschiffes bzw. der Barke, das auch als Seefahrerspiel oder Adventsspiel bekannt ist und zur Weihnachtszeit im Nordosten traditionell aufgeführt wird.

In diesem Volksspiel erkannte M. Braunwieser das Weiterleben eines uralten Symbols für Vorstellungen, die die Formung des Menschen betrafen und die Überlegungen der Akademie für geisteswissenschaftliche Studien in Salzburg und Athen geprägt hatten. Diese Darstellungen vermittelten seiner Ansicht nach in spielerischer und lustiger Weise durch Tanz und Musik die Auffassung, daß das Leben mit einer Schiffsreise vergleichbar sei. Wie bei einer Seefahrt erleiden wir auf unserem Lebensweg Stürme, und Kämpfe unter der Reisegefährten können verhindern, daß wir glücklich das ersehnte Ziel, den Hafen, erreichen. Das Wichtigste bei diesem Abenteuer ist der Wind, der zwar ein schnelles Vorankommen ermöglichen, jedoch auch Wellenberge auftürmen kann, die das Schiff gefährden. Bei diesen Gelegenheiten zeigen sich die Weisheit des Kapitäns, die richtige Orientierung des Spähers auf der Höhe des Mastes und die gemeinsame Mitarbeit der Mannschaft.

Der Wind betrifft im metaphorischen Sinn die Musik des geistigen Lebens der Gesellschaft, zu der wir gehören, unseren sozio-kulturellen Körper. Der pädagogische Sinn dieses Bildes liegt nach M. Braunwieser darin, den Kindern zu zeigen, daß wir uns auf unserer Lebensreise weiterhin nach den Fixsternen orientieren, d.h. stets durch höhere ethische Werte und Kategorien leiten lassen müsen. Damit gewährleisten wir, daß auch unter unseren Reisegefährten z.B. Friede und Harmonie herrschen , da durch die Vorherrschaft des mentalen Lebens das Leben der Arbeit nicht zu einer Sklaverei wird. So werden nach diesem Spiel wundersam Windstillen überwunden und die Wellen beruhigt, und wir können unsere Reise friedlich fortsetzen. In metaphorischem Sinn tragen wir damit zum Frieden der uns umgebenden Welt bei.

In mythologischer Deutung stellt diese Barke das Schiff der Argonauten dar, in biblischem Sinn die Arche Noah. Dieses Bild wurde von - vor allem deutschen - Jesuiten in der Barockzeit dazu verwendet, außereuropäische Völker neu zu formen. Es stellt einen der zentralen Gegenstände der Überlegungen bei dem mit unserem Kongreß gleichzeitig stattfindenden Symposium "Kirchenmusik und Brasilianische Kultur" dar, da dieses unter dem Motto "Musik auf der Suche nach einem Land ohne Bösem" steht, was sich auf die Geschichte der Sintflut und somit die Arche Noah bezieht.

Wie sie feststellen können, hat unser Kongreß euro-brasilianischer Studien zwar kultur- und wissenschaftstheoretische Zielsetzungen, kann jedoch bei seinen Diskussionen keinesfalls musikerzieherische und -pädagogische Dimensionen außer Acht lassen, da wir uns mit Fragen der Konstituierung von Kulturidentitäten, ihre Dynamik und Wandlungen sowie mit der Rolle sozialer Netzwerke in der Entwicklung von Denkströmungen und Methoden in der Kultur- und insbesondere in der Musikwissenschaft beschäftigen werden.

Dies sind eben Ziele der Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftsforschung, eine Organisation, die die Ansätze von Martin Braunwieser in ständigen wissenschaftlichstheoretischen Reflexionen, in globaler Zusammenarbeit von Vertretern verschiedener Disziplinen und in der Auseinandersetzung mit anderen theoretischen und methologischen Konzepten kritisch weiterentwickelt und aktualisiert.

Er war nicht nur ein Musikforscher, sondern eine der wichtigsten Gestalten der vielschichtigen Geschichte der Musikpädagogik und des Einsatzes der Musik in der Kulturarbeit Brasiliens, nämlich beim sogenannten Orpheonischen Gesang. Deshalb sind wir besonders dankbar, diese Tage des Zusammenseins mit der Bewegung "Cante e Dance com a Gente" in den Städten deutscher Einwanderung des Staates Rio Grande do Sul verbringen zu dürfen.

[…]

 

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Da publicação:/Aus der Veröffentlichung:
Musik, Projekte und Perspektiven. A.A. Bispo u. H. Hülskath (Hgg.).
In: Anais de Ciência Musical - Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft. Köln: I.S.M.P.S. e.V., 2003.
(376 páginas/Seiten, só em alemão/nur auf deutsch)
ISBN 3-934520-03-0

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