Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria científica
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No. 80 (2002: 6)


 

    Entidades promotoras
    Akademie Brasil-Europa
    I.S.M.P.S. e.V./I.B.E.M.: Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes/Instituto Brasileiro de Estudos Musicológicos
    ACDG: Associação Cultural Cante e Dance com a Gente (Novo Hamburgo RS)

    Direção geral
    Dr. Antonio A. Bispo
    Direção Forum RS
    Dra. Helena de Souza Nunes, Rodrigo Schramm

© Foto: H. Hülskath, 2002
Archiv A.B.E.-I.S.M.P.S.

 

MUSIKWISSENSCHAFT, KULTURGESCHICHTE UND DIDAKTIK IDENTIFIKATORISCHER FORMUNGSPROZESSE

Antonio Alexandre Bispo

 

Auseinandersetzungen mit dem Begriff Identität und der davon abgeleiteten Terminologie prägen maßgeblich theoretische und pragmatisch orientierte Debatten in Musik-, Kultur- und Erziehungswissenschaft der Gegenwart. Die damit zusammenhängenden Probleme werden vor allem bei Tagungen und in Publikationen diskutiert, die sich mit interkulturellen Themenkomplexen und globalen Zusammenhängen befassen.

Musicologia, História da Cultura e Didática de Processos de Formação de Identidades

Antonio Alexandre Bispo

Os atuais debates teóricos e de orientação pragmática na musicologia e nas ciências da cultura e da educação trazem o forte cunho de reflexões em torno do conceito de identidade e da terminologia dele derivada. Os problemas conectados com tais questões são discutidos sobretudos em simpósios e em publicações que se ocupam com complexos temáticos interculturais e contextos globais.

Essas reflexões trazem conseqüências também para campos de estudos mais delimitados, para investigações de temas particulares ou projetos determinados quanto a tempo e região. Como a atenção é dirigida a um complexo conceitual de central significado para a história das idéias em geral, os assuntos discutidos influenciam de forma fundamental a discussão teórica e metodológica de diversas disciplinas e áreas de pesquisa.

Mesmo uma História da Música delimitada à Europa ou uma Etnomusicologia voltada ao estudo das culturas extra-européias não deixam de ser atingidas por essa crescente sensibilização por questões relativas a problemas de identidades. Cada vez mais se questionam limites dos objetos de estudo segundo nações, regiões e etnias, muitas vezes considerados até hoje como evidentes.

Esses processos diferenciadores internos, que promovem a superação de fronteiras fixas entre áreas de pesquisa dentro de uma própria disciplina, são acompanhados por uma aproximação a outras matérias, o que contribui a cooperações interdisciplinares. Através da focalização dos interesses a questões de identidade, através do emprêgo de um repertório conceitual comum e de modêlos teóricos compatíveis, o desenvolvimento de uma metodologia inter-disciplinar já não parece ser impensável. O conceito de identidade surge até mesmo como a chave tão procurada para a estruturação coerente do trabalho científico.

Entretanto, a necessidade de esclarecimentos de natureza fundamental torna-se cada vez mais evidente. O uso de um mesmo vocabulário não pode ser visto como prova da existência das mesmas noções e de uma argumentação baseada nos mesmos pressupostos. É justamente na discussão interdisciplinar possibilitada pela orientação segundo questões de identidade é que se mostra a necessidade de consideração dos condicionamentos nas várias redes do pensamento, as quais deveriam ser analisadas sob o ponto de vista da Sociologia das Ciências.

O significado extraordinário do conceito de identidade numa lógica da organização transdisciplinar das ciências ainda não foi suficientemente reconhecido. O emprêgo do conceito é feito primordialmente com base em noções derivadas da Sociologia, de modo que as atenções da pesquisa da cultura, da música e da pedagogia são dirigidas às identidades sociais e de grupo. Ao mesmo tempo, de acordo com perspectivas da Psicologia, colocam-se questões de identidade individual. Dessa forma, o relacionamento entre identidade pessoal e de grupo posiciona-se no centro das discussões. As diversas ciências da cultura aproximam-se entre si nessa perspectiva dirigida às relações de reciprocidade entre o indivíduo e a sociedade.

(trechos resumidos da conferência)

Die Reflexionen wirken sich aber auch bei eingegrenzten Studienfeldern, punktuellen Untersuchungen oder zeitlich, regional oder lokal determinierten Projekten aus. Da sie die Aufmerksamkeit auf ein begriffliches Umfeld richten, dem in der Ideengeschichte zentrale Bedeutung zukommt, wird dadurch die theoretische und methodologische Diskussion in verschiedenen Disziplinen und Forschungszweigen in grundsätzlicher Weise beeinflußt. Auch eine sich auf Europa beschränkende Musikgeschichte oder eine Musikethnologie, die sich die Erforschung außereuropäischer Kulturen als Aufgabe stellt, können von der gesteigerten Sensibilisierung für Identitätsfragen nicht unberührt bleiben. Zuweilen als Selbstverständlichkeiten geltende Eingrenzungen des Untersuchungsgegenstandes nach Nationen, Regionen und Ethnien werden zunehmend problematisiert.

Diese internen Differenzierungsvorgänge, die der Durchlässigkeit starrer Grenzen von Forschungsbereichen innerhalb des Faches förderlich sind, gehen mit einer Annäherung an andere Disziplinen einher, die interdisziplinäre Kooperationen erfordern. Durch die gemeinsame Fokussierung des Interesses auf Fragen der Identität, durch die gemeinsame Verwendung desselben begrifflichen Repertoires und nicht zuletzt durch die Anwendung kompatibler Theoriemodelle erscheint sogar eine Entwicklung transdisziplinärer Methodik nicht undenkbar. Das Konzept der Identität bietet sich als die lang ersehnte Klammer für eine kohärente Umstrukturierung des wissenschaftlichen Arbeitens an.

Allerdings wird zunehmend deutlich, daß Klärungen grundsätzlicher Art nötig sind. Der Gebrauch desselben Vokabulars bedeutet nicht, daß dieselben Auffassungen vorliegen und aus denselben wissenschaftstheoretischen Vorbedingungen heraus argumentiert wird. Gerade in der interdisziplinären Diskussion, die durch die Orientierung an Identitätsfragen ermöglicht wird, zeigt sich die Notwendigkeit der Beachtung von Konditionierungen in Netzwerken des Denkens, die wissenschaftssoziologisch zu untersuchen sind.

Die herausragende Bedeutung des Begriffs Identität für eine Logik der transdiziplinären Organisation wissenschaftlicher Disziplinen wird aber immer noch nicht ausreichend erkannt. Die Verwendung des Begriffes erfolgt stets primär in Anlehnung an Konzeptionen der Soziologie, so daß die Aufmerksamkeiten der Musik- und der Kulturforschung sowie der Pädagogik auf soziale Identitäten und Gruppenidentitäten gerichtet sind. Zugleich werden im Sinne der Psychologie Fragen der individuellen Identität aufgeworfen. Damit tritt das Verhältnis zwischen persönlicher Identität und Gruppenidentitäten in den Mittelpunkt der Diskussionen. Die verschiedenen Kulturwissenschaften werden durch diese Perspektivierung auf das Wechselspiel zwischen Individuum und Gesellschaft zusammengeführt.

Am eindeutigsten zu erkennen ist dieser integrative Prozeß in der Volkskunde. Dieses Fach ist selbst vielerorts seit langem regelrecht in eine Identitätskrise geraten, da viele Volkskundler erkannt haben, wie besonders problematisch die Bestimmung und Eingrenzung ihres Forschungsgegenstandes ist. Als Folklore-Forschung in vielen Ländern definiert, war es von Anfang an eine wahrhaft kulturwissenschaftliche Fachrichtung, die allerdings ein Segment des gesamten Kulturkomplexes zu ihrem Forschungsobjekt erkor, das nur schwer theoretisch zu erfassen war. Die Geschichte des Faches war dementsprechend mehr als bei anderen Disziplinen von stetigen Auseinandersetzungen mit dem Begriff Kultur und von Versuchen der Differenzierung von Kultursphären zur eigenen Eingrenzung und Entwicklung eigener Methodik gekennzeichnet.

Die Ansätze betonten zum einen die Traditionalität der untersuchten Kulturphänomene, die Oralität der Überlieferung, die Anonymität, die kollektive Akzeptanz; es wurde zuweilen von archaischen Schichten der Kultur gesprochen. Als eine Archäologie der Kultur mochte sich das Fach aber nicht verstehen, da die Gegenwärtigkeit der meist empirisch zu untersuchenden Kulturgüter im Leben des Volkes im zentralen Blickfeld des Forschungsinteresses behalten wurde. Bezeichnenderweise wurde das Fach von einigen als Demopsychologie aufgefaßt. Einer der Hauptgründe der Krise der Volkskunde liegt sicherlich in der hergestellten Beziehung der untersuchten Volkskultur zu nationaler Identität und ihrer Vereinnahmung durch nationalistische Ideologien. Die Folklore-Forschung wurde vielfach zur Leitdisziplin, an deren Ergebnissen sich Geschichte, Literatur, Kunst, Musik und Pädagogik auf der Suche nach Aufdeckung, Formung und Festigung nationaler Identität zu orientieren hatten.

In den 1960er Jahren wurde einigen Vertretern des Faches zunehmend bewußt, daß die kulturelle Situation, die durch Migrationen, Metropolenbildung und Medien bei gleichzeitigem Verschwinden der traditionsgebundenen Kulturphänomene eingetreten war, theoretische und methodologische Umorientierungen erforderte. Die Wandelbarkeit bzw. die Dynamik der volkskundlich zu untersuchenden Fakten wurde hervorgehoben. Am schwierigsten erwies sich jedoch die Abgrenzung der zu untersuchenden Kultursphäre nicht nur von einer Bildungs-, sondern auch von der Popularkultur.

Die Lösung dieses Problems wurde gesucht in der Differenzierung zwischen einer durch Institutionen oder Medien geformten oder geleiteten Kultur und einer informellen Kultur, die nicht durch äußere Veranlassung rezepiert, sondern selbsttätig und selbstbestimmt, d.h. spontan entstanden ist und gelebt wird. Die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf die Spontaneität von Handlungen in sozialen Situationen führte zu Auseinandersetzungen mit philosophischen und psychologischen Fragen, die das Individuum und die Freiheit des Menschen betrafen.

Neben allen Diskussionen über Eingrenzungen und Durchlässigkeiten der Kultursphären blieb es jedoch für das Verständnis des Faches maßgeblich, daß es sich anders als die Ethnologie Kulturphänomenen widmet, die der Gesellschaft des Beobachters eigen sind. Dadurch wurde zunehmend ersichtlich, daß die Definition des Faches eine Frage nicht nur der Bestimmung des Forschungsgegenstandes, sondern der Kulturidentität oder der kulturidentifikatorischen Positionierung des Forschers selbst war. Ethnische Minderheiten wurden selbst innerhalb derselben Staatsgrenzen als primäre Untersuchungsobjekte von Ethnologen angesehen. Allerdings veränderte sich mit der wachsenden Einsicht, daß angemessene ethnologische Studien möglichst eine Sicht von innen verlangen, die damit postulierte Distanz der Ethnologen zwischen Subjekt und Objekt der Forschung. Die aktive Teilnahme an kulturellen Darstellungsweisen, das Erlernen von Sprache, symbolischen Systemen und Verhaltensweisen führte oft zur Annahme von Identitätspositionen der untersuchten Gruppen mit entsprechenden solidarischen Verpflichtungen.

Der Zwang zur Integration in eine hegemoniale, meist national definierte Kulturidentität durch geleitete oder spontan verlaufende Akkulturationsprozesse wurde zunehmend als menschenverachtend und kulturell verarmend empfunden. Mit dem entschiedenen Eintreten für Kulturvielfalt wurden Konzepte einer pluriethnischen und multikulturellen Staatsorganisation entwickelt, die für eine - vielfach als die Einheit von Staaten gefährdend empfundene - Abkopplung von Staatsangehörigkeit und monolithischer nationaler Kulturidentität plädierten.

Die Abgrenzung von der Volkskunde wurde zunehmend darin gesehen, daß diese präziser als europäische Ethnologie aufzufassen war. Dieses Ansinnen wird jedoch zu verwerfen sein, da die Volkskundler außereuropäischer Länder, die Kulturphänomene und Lebensweisen ihrer Gesellschaft untersuchen, die zwar aus kolonialen Verhältnissen entstanden, aber im Prozeß der Kulturdynamik differenziert wurden, keinesfalls eine europäische Identität akzeptieren werden. Darüberhinaus - und dies ist am gravierendsten - wird durch diese intendierte Umbenennung die Kategorie Ethnie bestimmend für die Determination des Forschungsgegenstandes. Von ihrer eigenen Terminologie, ihrer Geschichte und ihrem Selbstverständnis her war jedoch die Volkskunde bzw. die Folklore-Forschung primär mit dem Begriff "folk" und somit mit Lebensformen und Kultur sozial minder privilegierter Schichten, d.h. eher mit Fragen der Klassenzugehörigkeit, verbunden. Eine Subsumierung der Volkskunde unter den Begriff Ethnologie würde eine bedeutende Kategorie der Kulturanalyse in den Hintergrund treten lassen.

Die besondere Sensibilisierung für ethnische Fragen bei zugleich zunehmender Toleranz gegenüber Relativierungen des Modells einer national homogenen Kultur oder eines positiv belegten Prozesses der Amalgamierung auf dem Weg einer einheitlichen Kultur ließ immerhin ein besonderes Interesse der volkskundlichen Forschung für Kultur- und Lebensformen ethnisch definierter Bevölkerungsgruppen entstehen. Da sich die Disziplin in ihrer Arbeitsweise und Theoriebildung zwischen empirischer Sozialwissenschaft und Geschichte bewegt, gingen die dabei untersuchten Kulturphänomene und Lebensformen mit Rekonstruktionen der Geschichte einher. Die vielschichtigen Probleme, die sich hierbei stellten, wurden nicht immer reflektiert. So war die Ethnizität in der Gruppenidentifikation zuweilen ein Resultat von strategischen Mechanismen zur Überwindung von Diskriminierungen und zur Durchsetzung von Rechten, die die sozialen, ökonomischen, kulturgeschichtlichen und auch ethnischen Differenzen innerhalb der Gruppe überdeckten. Die geschichtlichen Rekonstruktionen zur Legitimierung der politisch intendierten homogenen Identität können demnach Fiktionen sein. Dies bedeutet natürlich nicht, daß sie keine Berechtigung haben, sondern daß sie selbst als Teil des Diskurses im Dienste der Verleihung von Signifikation anzusehen sind und Gegenstand der kulturwissenschaftlichen Analyse sein sollen.

Damit wird der Volkskunde aufgegeben, essentialistische Positionen zu verlassen und sich nicht mehr auf die Suche nach Merkmalen und Konstanten spezifischer Identitäten - z.B. des "Afro" - zu begeben und diese zu bestimmen, sondern sich nach der Untersuchung der Prozesse kulturidentifikatorischer Formungen und ihrer Repräsentationen und Darstellungsweisen zu orientieren.

So richtet sich ihre Aufmerksamkeit nicht so sehr auf die Permanenz von Kulturelementen einer "deutschen" Kultur in der dritten oder vierten Generation von Immigranten, die das "deutsche Wesen" dieser Bevölkerungskreise manifestieren, sondern auf die Mechanismen der Folklorisierung, die Elemente aus verschiedenen Kulturkontexten neu disponiert und heterogene Repräsentationsformen komponiert, welche nicht so sehr als identitätserhaltend, sondern als identitätsstiftend für pragmatische Zielsetzungen wirken.

Diese Ausrichtung der Folklore-Forschung auf Ethnizierungen, Folklorisierungen und andere kulturelle Prozesse läßt die Fixierung der Disziplin auf kategoriale Differenzierungen von Sphären der Hoch-, Volks- und Popularkultur erweichen und bringt sie nicht nur in noch größere Nähe zu den Sozialwissenschaften, sondern verändert und steigert zugleich auch ihr Verhältnis zur Kulturgeschichte. Da die Prozesshaftigkeit der identifikatorischen Konstituierung zeitlich verläuft, ist die Analyse ihrer Darstellungsweisen und Repräsentationen vornehmlich eine kulturgeschichtliche Aufgabe.

Wenn in der Volkskunde bisher historische Quellenforschung vor allem mit dem Ziel der Erhärtung von Ursprungshypothesen relevanter Fakten, der Verfolgung ihrer Diffusion und der Konstatierung ihrer Permanenz über die Zeiten betrieben wurde, so daß vielfach zwischen gegenwartsbezogener Folklore-Forschung und Geschichte der Folklore unterschieden wurde, so ist heute eine zunehmende Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf die Analyse kulturhistorischer Vorgänge festzustellen.

Die so geartete Orientierung der Kulturgeschichte regelt auch das Verhältnis der volkskundlichen Kulturanalyse zur Geschichte. Diese erhält dadurch eine starke mentalitätshistorische Prägung, die nicht herausragende Ereignisse, Daten und Gestalten in den Vordergrund stellt, sondern in Zielsetzung und Methodik auf die Rekonstruktion des Kulturlebens breiter Schichten ausgerichtet ist und sich dabei auf heterogene Quellen stützen muß.

Die Musikwissenschaft erfährt durch diese gesteigerte und zugleich veränderte Bedeutung der kulturgeschichtlichen Forschung in ihren Fragestellungen, in ihrer Theoriebildung und in ihren Verfahrensweisen neue Weichenstellungen. Musik und Musikinstrumente nahmen stets einen wichtigen Platz in volkskundlichen und ethnologischen Studien ein. Die veränderten Perspektiven können nicht ohne unmittelbare Rückwirkung auf die musikwissenschaftliche Forschung bleiben, insofern diese sich auf empirische Erhebungen stützt und den Kulturkontext der Daten beachtet. Allerdings treten eine Volksliedforschung und Organologie, die auf Genealogien von Typen, auf Variantenbildungen und auf kartographische Aufzeichnungen von Wanderungen und Verbreitungen mit den damit zusammenhängenden wertenden theoretischen Modellen von Ursprünglichkeit, Reinheit, Verformung und Dekadenz basiert, in den Hintergrund. Musikimmanente systematisierende Versuche weichen vor Bestrebungen, die Funktion der Musik und Musikinstrumente bei Darstellungsweisen kulturkonstituierender Vorgänge zu analysieren.

Die Aufmerksamkeit richtet sich vornehmlich auf die symbolische Ordnung im Kulturgeflecht sowie im Netz sozialer Interaktionen und auf die Rolle der Musik und Musikinstrumente in ihr. Spiele. Tänze, Aufzüge, Theaterdarstellungen und andere Repräsentationsformen erkennbar zeichenhafter Natur treten auch in der Musikforschung in den Vordergrund der Aufmerksamkeit. Musikinstrumente werden darauf hin untersucht, inwieweit ihr Klang zusammen mit anderen akustischen und nicht-akustischen Ausdrucksmitteln - Gesten, Farben, Handlungen usw. - zum Gesamtrepertoire von Kulturmustern beiträgt, dessen Einübung und Wiederholung Prozesse steuert.

Daß dabei eine vordergründige Klassifizierung von Musikinstrumenten nach Materialien, Tonerzeugung und Spieltechnik in den Hintergrund tritt, bedeutet nicht, daß die Ausrichtung des Interesses auf die Funktion der Musik die Bedeutung der Musikwissenschaft schmälert. Im Gegenteil: damit wird erst die Forschung der Musik in deren Rolle als wirksames Organisationsprinzip in sprachlichen und außersprachlichen Symbolsystemen und in der intersubjektiven Partizipation der Menschen an ihnen gerecht.

Die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf die Symbole und ihre Bedeutung führt die Musikforschung zu einer stärkeren Beschäftigung mit Fragen des Verhältnisses zwischen Musik und Vorstellungen, die ihr zugrundeliegen. Gattungen, Formen, Stile, Musikinstrumente, Spielweisen, Vortragsarten verändern sich, nach Maßgabe gegebener Kontingenzen, in Zeit und Raum, und dennoch kann gerade durch den Wandel klanglich-akustischer Realitäten die Musik zur Aktualisierung und Aufrechterhaltung symbolischer Systeme beitragen und somit Vorstellungen gewährleisten, da sie weiterhin die Verständigung der Menschen unter veränderten Bedingungen ermöglicht.

Auf der anderen Seite können vor allem in pluriethnischen und multikulturellen Situationen differierende symbolische Ordnungssysteme miteinander in Kontakt treten und interagieren, so daß es Aufgabe der Musikforschung sein wird, die Rolle der Musik bei Wandel, Umformung, Verstärkung oder Regenerierung kulturidentifikatorischer Prozesse zu analysieren.

Diese Umorientierung des Interesses der Musikforschung von einer Kulturgutforschung akustischer Gegebenheiten zu Fragen der Beziehung der Musik zu Vorstellungen wirkt sich nicht nur in der Volksmusikforschung und in der Musikethnologie aus. Sie führt in der Musikgeschichte zu einer veränderten Einstellung gegenüber dem musikalischen Werk, dessen Analyse nicht mehr primär tonsatzorientiert, sondern vor dem Hintergrund einer mentalitätsgeschichtlich geleiteten Analyse von Kulturprozessen betrieben wird.

Gerade diese Beachtung vorherrschender Mentalitäten und Vorstellungen führte die Musikwissenschaft zu abstrakteren Dimensionen des Musikverständnisses zurück, die einen erneuten Zugang zu antiken Konzeptionen von Musik gewährleisten. Allerdings treten auch in der Musikwissenschaft entsprechend der Entwicklung in den Kulturwissenschaften Grenzüberschreitungen und Überwindungen von Sphären gehobener Kunstmusik und Volksmusik ein.

Die mentalitätsgeschichtliche Ausrichtung der Musikgeschichte verleiht der lange vernachlässigten Musik breiter Volksschichten größere Relevanz, deren Geschichte rekonstruiert werden muß. Da hierbei die Aufmerksamkeit ebenfalls auf Darstellungsweisen und Repräsentationen gerichtet wird, die den Zugang zur Analyse eingeübter Verhaltensweisen und vorherrschender Vorstellungen sowie des Wandels von Mentalitäten ermöglicht, nehmen in der Musikwissenschaft historische Prozesse spontaner oder geleiteter Vermittlung und Erlernung von Musik in ihrer funktionalen Bezogenheit auf Symbolsysteme eine bevorzugte Stellung ein.

Fragen der Pädagogik, des Kulturkontakts durch Mobilität, Kolonisation und Immigration und vor allem der Missionierung, die - wie sich herausstellt - Musik als wirksames Mittel kulturidentifikatorischer Transformierung systematisch einsetzte, treten damit verstärkt ins Blickfeld der historischen Musikforschung.

Durch die besondere Beachtung von musikerzieherischen Vorgängen und Methoden und ihrer Konsequenzen in der Geschichte der Musik gewinnt die Musikwissenschaft besondere Kompetenz, um den Dialog mit der Musikpädagogik und ihrer Didaktik in der Gegenwart zu führen. Sie kann hoffen, wissenschaftliche Hilfstellungen bieten zu können, sich somit in der Praxis nützlich zu erweisen und im Aufbau zukünftiger Zustände Verantwortung mit zu übernehmen. Darüberhinaus bleibt sie durch den Gegenwartsbezug am Puls aktueller Formungsprozesse und behält somit eine Positionierung im Hier und Jetzt, in gerade ablaufenden geschichtlichen Verläufen, was künstliche Historizismen vermeiden kann.

Die Musikforschung hat stets eine nicht unbedeutende Rolle bei der Bestimmung von Bildungsinhalten gespielt; Volkslieder, Volksmusikinstrumente und Vermittlung national und/oder konfessionell geprägter Kulturidentifikationen mittels der Musik waren lange Zeit in vielen Ländern maßgeblich. Die didaktische Diskussion der Gegenwart hat sich weitgehend von einer Orientierung auf Inhaltsauswahl und Fixierung von Kanons des zu vemittelnden Wissens zu den Lernsubjekten und zur Beachtung von sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen gewendet.

In Auseinandersetzung mit theoretischen Debatten in den Kulturwissenschaften treten auch hier Theoriemodelle in den Vordergrund, in denen die Aufmerksamkeit auf die erzieherischen Mechanismen in Darstellungs- und Repräsentationsformen gerichtet wird, die Erfahrungen öffentlich manifestieren, Lernprozesse steuern und Gruppenidentifikationen bilden. Die Bedeutung des Einübens und Erlernens bei der aktiven Partizipation und tätigen Teilnahme an Darstellungsformen der Gruppe wird als maßgeblich für die Aneignung von Erfahrungs- und Wissensrepertoire sowie für die subjektive Entwicklung hervorgehoben. Parallel zu dem Wandel des kulturwissenschaftlichen - insbesondere volkskundlichen - Denkens werden hier Unterscheidungen von Kultursphären aufgehoben.

Die Rolle der Volks- und Popularmusik wird allerdings ganz anders bewertet als zu Zeiten der Orientierung an Formung nationaler Kulturidentitäten. Sie erscheint als Mittel zur Verständigung bei der Konstituierung des soziokulturellen Körpers im Erlernen und Mitvollziehen der Darstellung und der Repräsentation der Gruppe. In Anlehnung an Entwicklungen des ethnologischen Denkens werden die populären Darstellungsweisen vorwiegend der Kategorie der Ethnizität zugeordnet, auch wenn die dadurch geschaffene Gruppenidentifikation primär strategischen Zwecken dient und Differenzen verdeckt. Durch die selbstbestimmte Ein- und Ausübung dieser Darstellungsformen der Gruppe soll ein Bildungsprozeß in Gang gesetzt werden, der eine kulturelle Konstruktion des Individuums gewährleistet, die von Solidarität geprägt ist; der Lehrer nimmt dabei keine aktiv erzieherische Rolle ein, sondern eher die eines Regisseurs für die optimale Repräsentation der Gruppe.

Der Beitrag, den die Musikgeschichte zur kritischen Reflexion dieses didaktischen Denkmodells leisten könnte, besteht darin, darauf hinzuweisen, daß auch zu anderen Zeiten der Geschichte, vor allem in Missionssituationen, die Musik ebenfalls eine wesentliche Rolle bei der Integration der Menschen in Darstellungs- und Repräsentatiosformen von Spielen, Aufzügen und Tänzen gespielt hat, die die kulturelle Formung bzw. Umformung des Menschen von der kollektiven Erfahrung der Gruppe her gewährleisteten. Dadurch wurde bei Wahrung spielerischer und spontaner Mechanismen eine symbolische Ordnung implantiert, die Normen des einzuführenden Systems von Vorstellungen durchsetzte.

Es kann nicht Ziel einer mentalitätsgeschichtlich orientierten Musikwissenschaft sein, dabei lediglich die eine Seite des Umwandlungsprozesses zu beachten und somit lediglich systemaffirmativ eine eurozentrische Positionierung einzunehmen. Die Sozialisation und die kulturell-identifikatorische Konstituierung der Lernsubjekte mittels vollziehender Partizipation an tradierten Darstellungsweisen der Volks- und Popularkultur sind ohne Begleitung kritischer Reflexion ebenfalls fragwürdig. Dadurch wird ein normativ intendiertes System von Vorstellungen perpetuiert, wogegen sich selbst Vertreter dieser didaktischen Modelle wehren.

Die mentalitäts- und kulturgeschichtlich orientierte Musikwissenschaft kann aufzeigen, daß gerade die Darstellungsweisen, die zur Dekulturierung außereuropäischer Völker dienten, Maskeraden und das Prinzip der Groteske anwendeten, um exogene symbolische Ordnungen zu entwerten und zu ersetzen. Gerade auch die Musik trug mit ihrer verführerischen Faszination zum partizipativen Vollziehen der Darstellungen und zur Internalisierung des vermittelten Normensystems und der entwertenden Zuschreibungen bei.

Das skizzierte didaktische Konzept erweist sich demnach als kontraproduktiv, wenn es nicht - wie affirmiert - der Stabilisierung konventioneller Kulturmuster und Vorstellungen dienen möchte. Die Musik die nach diesem Theoriemodell entwickelt wird, kann sich nicht als innovativ erweisen und sozialisiert die Menschen in den Konventionen des tonalen Systems. Dabei erscheinen auch hier nicht stilistische Aspekte und klangliche Realitäten, sondern die Funktion, die die Musik erfüllt, besonders problematisch.

Die Musikwissenschaft kann demnach zur didaktischen Diskussion dadurch beitragen, daß sie darauf hinweist, daß die Anwendung des vorgeschlagenen Modells in der Praxis stets mit spielerischer Dekonstruktion des sich spielerisch darbietenden Konstrukts einhergehen sollte. Gerade die Musik eignet sich für Performances, die dazu dienen können, die subtilen Mechanismen der Durchsetzung eines Systems von Vorstellungen, das verändert werden soll, auszuschalten.

Bei allen Rekursen auf Ethnizitäten bleibt dieses didaktische Projekt somit zutiefst Denkmustern der Volkskunde verhaftet, die sich Kulturphänomenen widmet, die der Gesellschaft des Beobachters eigen sind. Wie sich jedoch die Volkskunde bemüht, eigene Perspektivierungen in Frage zu stellen und sich bei aller sozialwissenschaftlichen Gegenwartspositionierung der kulturgeschichtlichen Analyse zu nähern, so sollte sie auch die didaktische Reflexion die Historizität und somit die Prozeßhaftigkeit und Wandelbarkeit tradierter Darstellungsweisen der Volks- und Popularkultur anerkennen.

Es ist nachvollziehbar, daß vor allem Migrantenkreise in ihrem Streben nach kultureller Selbstfindung statt fiktiver Ethnizierung und Folklorisierung bei der Darstellung ihrer Minderheitenidentität die Integration in Darstellungsweisen und Repräsentationsformen der vorherrschenden Gesellschaft suchen. Bei der Untersuchung dieser Tendenzen soll aber stets präsent bleiben, daß dieser Erziehungsprozeß auch zur Verstärkung gerade von symbolischen Ordnungen führen kann, deren implizite Normativität von den in ihnen Sozialisierten in Frage gestellt wird.

Eine auf Mentalitäts-, Alltags- und Kulturgeschichte ausgerichtete Musikwissenschaft darf diese scheinbare Paradoxie nicht außerhalb des Blickfeldes lassen. Sie kann beispielsweise aufzeigen, daß die Struktur dieser Darstellungsweisen vielfach eine Binarität zum Ausdruck bringt, die ein duales Normensystem des Welt- und Menschenbildes offenbart, das Sichten zwanghafter Bipolaritäten und hierarchischer Ordnungen einsetzt. Durch die Musik ohne reflektive Distanzierung an diesen Repräsentationen äußerer Dualitäten teilzunehmen würde soziokulturelle Zwangssituationen verfestigen, die eigentlich zunächst dekonstruiert werden sollten.

Die kulturwissenschaftlich ausgerichtete Musikwissenschaft kann somit zur Differenzierung der Debatte über Theorie und Praxis erzieherischer Vorgehensweisen im Bereich kulturidentifikatorischer Formungsprozesse in besonderer Weise beitragen. Sie kann ersichtlich werden lassen, daß konstruktivistische und performative Modelle der Didaktik nicht ohne Reflexionen über ethische Verantwortung weitergeführt werden können.

Bei aller konstruktivistischen Orientierung der Musik- und Kulturwissenschaften sowie der Didaktik können essentialistische Annahmen nicht völlig ausgeschaltet werden, vor allem wenn die Diskussion nicht ausschließlich um Gruppenidentifikation kreist, sondern das Verhältnis des Menschen zur Umwelt thematisiert. Damit eröffnet sich auch der Musikwissenschaft ein bisher vernachlässigter Bereich.

 

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Da publicação:/Aus der Veröffentlichung:
Musik, Projekte und Perspektiven. A.A. Bispo u. H. Hülskath (Hgg.).
In: Anais de Ciência Musical - Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft. Köln: I.S.M.P.S. e.V., 2003.
(376 páginas/Seiten, só em alemão/nur auf deutsch)
ISBN 3-934520-03-0

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