Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria
científica
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N° 56 (1994: 6)
Viagens, Descobrimentos e Conhecimento Anthropos ludens Joanópolis e Ubatuba 24 a 28 de setembro de 1998 Instituto Brasileiro de Estudos Musicológicos sob o patrocínio da
Colóquio Internacional
Questões de Conhecimento relacionadas com a
Música e dança no culto de São Gonçalo de Amarante
dir. A. A. Bispo
ISMPS/Akademie Brasil-Europa
Sociedade Brasileira de Antropologia da Música
Comissão dos Descobrimentos de Lagos
Prefeitura e Câmara Municipal de Joanópolis
Prefeitura de Ubatuba - FUNDART
Ely Camargo
Ich möchte im Rahmen des wissenschaftlichen Symposiums über die christlichen Musiktraditionen und den Synkretismus in Brasilien als Praktikerin das Wort ergreifen, nämlich als eine Interpretin der Volksmusik, die sich bemüht, ihr Liedrepertoire und ihre Vortragsweise mittels eigener Forschungen und Beobachtungen so authentisch wie möglich zu gestalten.
Mein Interesse für das Volkslied wurde bereits in meiner Kinderheit geweckt, als ich die musizierenden Volksgruppen - congos, folias de reis u.a. - durch die Straßen meiner Stadt ziehen sah; die Erinnerung daran blieb untilgbar und führte mich dazu, Orte im Landesinneren aufzusuchen, in denen diese Traditionen noch gepflegt werden. In meiner Familie - mein Vater war selbst Musiker - wurde stets gesungen und musiziert, ich schlief beim Klang des Geigenspiels meines Vaters und die traditionellen Lieder der Kinderspiele, die ich im Auftrag von ADVENIAT hier in Deutschland vorstelle, gehören demnach zu meiner ureigensten Erlebniswelt.
Als ich professionell in Rundfunksendungen zu singen begann, versuchte ich, das zu singen, was ich im Gedächtnis hatte und dessen - zumeist tiefreligiösen - Aussagen mir vertraut waren. Später nahm ich diese Gesänge auf Schallplatten auf und führte mehrere Reisen in verschiedene Regionen Brasiliens durch, um beim Volk selbst weiter zu lernen und dessen Glaubensäußerungen mit all ihrer eigenen Ausdruckskraft und Schönheit aufzunehmen; die mitgebrachten Tonaufnahmen gab ich bei der Rückkehr einem satztechnisch versierten Musiker, der sie dann für die geplante Schallplatte bearbeitete. Meine Volksliedforschungen erfolgten demnach mit dem praktischen Ziel, durch meine Stimme eine Brücke zu bauen zwischen dem unbekannten, anonymen Sänger des Volkes, dem kaum Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, und dem großen Publikum, das mir zuweilen Gehör schenkt.
In diesem Vortrag möchte ich hervorheben, daß es nicht ausreicht, die geistlichen Volkslieder in ihren verschiedenen Erscheinungsweisen zu sammeln, zu bearbeiten und zu interpretieren, sondern daß es notwendig ist, den geistigen Gehalt der Volkstraditionen zu ergründen, um die in den Texten und in den entsprechenden Volksbräuchen überlieferten Auffassungen zu verstehen und weitergeben zu können. Zur Erläuterung möchte ich kurz den mit dem hl. Gonçalo verbundenen Liedschatz, mit dem ich mich besonders befaßt habe, in Erinnerung rufen. Mit diesem 1259 gestorbenen portugiesischen Heiligen aus Douro, der am 10. Januar gefeiert wird, verbinden sich nämlich bemerkenswerte Traditionen, die von Geistlichen sowie Gläubigen aus den großen Städten nicht verstanden werden. Er soll nach weit verbreiteter Überlieferung mit Frauen getanzt haben, um sie zu bekehren; trotz aller von ihm zum Ausdruck gebrachten Freude trug er Steine in den Schuhen, um durch solche Kasteiung den seelsorgerischen Zweck dieser Praxis stets im Bewußtsein zu behalten und nicht in Versuchung zu kommen. Tänze, die diese Verfahrensweise des Heiligen in der Choreographie und Gestik zum Ausdruck bringen, sollen früher gar in der Kirche selbst praktiziert worden sein; unter ihnen erlangte die sogenannte Festa das Regadeiras im Dom von Porto einen besonderen Ruf. Nach der Überlieferung soll der hl. Gonçalo ein viola-Spieler gewesen sein, und er gilt als Schutzpatron der heiratswilligen Frauen aller Altersklassen.
Die Feste des hl. Gonçalo, die sich in der ganzen portugiesischen Welt ausbreiteten, kamen mit den Siedlern auch nach Brasilien. U.a. in São Paulo, Minas Gerais und Goiás wird sein Tanz vor einem Altar, vor dem gebetet und gesungen wird, zur Einlösung von Versprechen veranstaltet. Er ist weniger in den Städten anzutreffen als im ländlichen Gebiet, wo er den Gläubigen Gelegenheit gibt, Gelübde bei den traditionellen jornadas tanzend und singend zu erfüllen. Nicht nur heiratswillige Frauen versprechen dem Heiligen, bei Erfüllung ihrer Wünsche mit seinem Bild zu tanzen; auch Kranke streben dadurch Heilung an. Das Tanzen mit dem Bild ist als typisch und traditionell anzusehen und ist nur in Erfüllung eines Versprechens gestattet, niemals als Vergnügen, zum Zeitvertreib oder aus Neugier. Wer aus eigenen Mitteln den Tanz veranstalten kann, läßt die Verehrer und Sänger des hl. Gonçalo zu sich kommen, d.h. diejenigen, die zu tanzen und zu singen verstehen; ein Armer, der das Fest selbst nicht finanzieren kann, nutzt diese Gelegenheit, um daran teilzunehmen und dadurch sein Versprechen zu erfüllen.
Getanzt wird vor allem tagsüber, wenn auch nächtliche Festtänze
- z.B. in Atibaia - zu beobachten sind. Dabei wird eine respektvolle
Gesinnung gewahrt; weltliche Tänze sind nicht erlaubt, und vom
vorbestimmten Ritual wird nicht abgewichen. Es wird mit Gebeten
begonnen, die dem Tanz vorausgehen, der von zwei viola-Spielern
geleitet wird, nämlich einem Meister und dessen Gehilfen, welche
die Choreographie führen; dazu kommen zwei helfende cantadores,
die jeweilstipe (Triplum) und cantato (Alt) genannt werden und
vor einem kleinen Altar mit dem Bild des hl. Gonçalo singen. Jornadas
heißen die Reihen von Versen, die ohne Unterbrechung gesungen
werden. Es werden 12 jornadas vollzogen; die Verse sind entweder
traditionell und werden aus dem Gedächtnis vorgetragen oder improvisiert,
wobei der Text einen mittelbaren oder unmittelbaren Bezug zum
Kult aufweist. Die Choreographie wird nur durch den Rhythmus des
Stampfens der Füße, des Klatschens und des toque der violas begleitet.
Der Gesang entwickelt sich zwischen den einzelen Tanzepisoden,
wenn alle Teilnehmer andächtig stehenbleiben. Als ein Beispiel
gesungener Texte sei folgender Inhalt mitgeteilt:
"S.Gonçalo hat viel getanzt, als er auf der Welt weilte; er tanzte
von Haus zu Haus und lud dazu die Sündigen ein; jetzt ist er ein
Heiliger und befindet sich auf dem Altar, S.Gonçalo ist ein gnadenvoller
Heiliger, ein Freund unseres Herrn; wer ihm etwas schuldet, wird
nicht in den Himmel eingehen, ihm wird der hl. Petrus die Tür
nicht öffnen und der hl. Michael will seine Seele nicht wiegen."
Zum Abschluß der Zeremonie wird der cururu als Kreistanz aufgeführt,
bei dem die Teilnahme von Frauen erlaubt ist, da er realisiert
wird, damit die Anwesenden ihre privaten Versprechungen einlösen.
Die gesungene Aufforderung hierfür lautet:
"Wenn jemand ein Versprechen einzulösen schuldet, möge er den
Heiligen aufsuchen, S. Gonçalo wartet stehend auf seinem Platz
darauf; in dieser Stunde vor dem schönen Altar fordert - und dies
gilt Dir persönlich - der hl. Gonçalo auf, zu tanzen!"
Einige Teilnehmer halten das Bild des Heiligen und verdecken es teilweise mit einem weißen Tuch, andere halten eine brennende Kerze. Die außerhalb des Kreises stehenden Verehrer stampfen mit den Füßen, die Tänzer selbst bewegen sich mit kleinen Schritten. Der Tanz des hl. Gonçalo ist eine der letzten Spuren religiöser Tänze und weist Elemente auf, die offenbar weltweit verbreitet waren. Demütig, arm, anonym und ungebildet sind die Sänger, die ein Beispiel gelebter Religiosität gegen den heutigen Strom des Zeitgeistes darstellen. Diese Tradition der Volksfrömmigkeit, die bereits Gegenstand zahlreicher Untersuchungen wurde, enthält zahlreiche Elemente, die unverständlich erscheinen, jedoch erklärt werden müssen, um angemessen gewürdigt und vermittelt werden zu können. Sie zeigt somit die Notwendigkeit, bei der Auseinandersetzung mit Volkstraditionen deren geistigen Gehalt nicht nur aus wissenschaftlichem Interesse, sondern auch aus der Sicht der Praxis verstärkt zu ergründen.
Zur Literatur über den Sankt-Gonçalo-Tanz siehe
Bispo, A.A. "Der Sankt Gonçalo-Tanz in Brasilien: Ein Beitrag
zur Tanzethnologie", Musices Aptatio 1981, 225-236.