Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria
científica
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N° 55 (1994: 5)
Viagens, Descobrimentos e Conhecimento Anthropos ludens Joanópolis e Ubatuba 24 a 28 de setembro de 1998 Instituto Brasileiro de Estudos Musicológicos sob o patrocínio da
Colóquio Internacional
Questões de Conhecimento relacionadas com a
Música e dança no culto de São Gonçalo de Amarante
dir. A. A. Bispo
ISMPS/Akademie Brasil-Europa
Sociedade Brasileira de Antropologia da Música
Comissão dos Descobrimentos de Lagos
Prefeitura e Câmara Municipal de Joanópolis
Prefeitura de Ubatuba - FUNDART
Antonio Alexandre Bispo
Tanz und Musik spielen bei den mannigfaltigen Ausdrucksformen brasilianischer Religiosität eine wichtige Rolle. Abgesehen von den Kulttänzen indianischen Ursprungs, die allein im Zussammenhang mit dem mythischen Komplex des jeweils herrschenden kosmologischen Weltbildes betrachtet werden können, ist die entscheidende Bedeutung von Musik und Tanz am ausgeprägtesten bei den synkretistischen Religionsformen Brasiliens ersichtlich. Dort gehören gesteigerte körperliche Bewegungen - auf Grund einer einprägsamen Rhythmik - sogar zu den grundlegenden Elementen des Kultes. Allgemein werden hier durch Tanz und im Tanz geistig-sinnliche Erfahrungen beim Trance-Erlebnis gefördert und ausgedrückt. Die mächtige Affektbeteiligung des Tänzers scheint das Heraustreten des Ichs aus seinen Grenzen zu begünstigen und eine Entrückung aus der Wirklichkeit zu bewirken.
Anders erscheinen tänzerische bzw. dramatisch-choreographische Manifestationen katholischer Prägung im brasilianischen Volksbrauchtum. Hier bedeutet Tanzen nicht primär aktive Ekstasetechnik, welche zu einer veränderten Bewußtseinslage führt, sondern im Wesentlichen religiöse Übung im Bereich der Volksfrömmigkeit . Der Tanz religiösen Charakters setzt keinen Ausschluss der freien Willenbestimmung voraus und ist in seiner Gestik Träger einer bedeutungsvollen Gebärdensprache.
Während die Kraft der tänzerischen Motorik in den sog. afro-brasilianischen Kulten bereits vielfach anerkannt bzw. hervorgehoben wurde, hat dagegen die Stellung der religiösen Tänze innerhalb des Volkskatholizismus ungenügende Beachtung gefunden. In der brasilianischen volkskundlichen Literatur sind - vor allem seit der grundlegenden Arbeit von Oneyda Alvarenga (1950) - mehrere Einzelstudien erschienen, welche die Volkstänze und Tanzspiele katholischer Prägung unter dem Blickwinkel der Folklore eingehend untersuchen. Diese Arbeiten fanden allerdings in der europäischen völkerkundlichen Musik- und Tanzforschung bisher wenig Resonanz.
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Volkstanzforschung dürfte jedoch - da mehrere brasilianische Tanzgattungen europäische Wurzeln aufweisen - zur Erhellung wichtiger Zusammenhänge beitragen. Hemmend wirkt bis heute der unzureichend entwickelte Stand der tanzethnologischen Forschung in Westeuropa. Obwohl in den Entwicklungsländern wie auch in den Vereinigten Staaten und in den Ostblockstaaten das Studium traditioneller Tanzformen inzwischen eine wichtige Angelegenheit geworden ist, ist die Disziplin Tanzethnologie bzw. Ethnochoreologie noch kein fest umrissener Wissenschaftszweig. Hinzu kommt die allzu seltene Beachtung tanzethnologischer Themen innerhalb der kirchenmusikalischen Forschung, da die wissenschaftliche Beschäftigung mit Tanz dem Problemkreis der Kirchenmusik fern zu liegen scheint. Auch durch eine engee Zusammenarbeit der europäischen Volkstanzforschung und der Kirchenmusikforschung könnten neue Erkenntnisse gewonnen werden, die für die kirchenmusikalische Praxis nicht ohne Bedeutung wären. Besonders im Volksbrauchtum der iberischen Halbinsel bestehen Traditionen, die im Zusammenhang mit den in Brasilien anzutreffenden Tänzen religiösen Charakters zu untersuchen wären.
Bereits 1953 beantwortete A. Krumscheid die als Titel seines Aufsatzes aufgestellte Frage: "Gibt es noch Kulttänze in Europa?" bejahend mit Hinweisen auf mehrere Volkstänze Spaniens. Noch 1963 weist derselbe Autor auf die Existenz von Totentänzen (u.a. die "Danza de animas" oder "Danza de inocentes") in Spanien hin. Auch in Portugal sind Volkstänze religiösen Charakters zu verzeichen. Für viele dieser Praktiken lassen sich Parallelen in Brasilien feststellen. Eine umfassende vergleichende Untersuchung europäischer und brasilianischer Volkstänze religiösen Charakters steht allerdings noch aus.
Die in der brasilianischen volkskundlichen Literatur bestehenden terminologischen Uneinheitlichkeiten bei der Begriffsbestimmung von "danças folclóricas", "danças dramáticas", "autos populares" und "folguedos populares" sprechen für Schwierigkeiten bei der Klassifikation tänzerischer bzw. dramatisch-choreographischer Gattungen. Für die Untersuchung von Tänzen katholischer Prägung ist es jedoch notwendig, eine Differenzierung vorzunehmen. Das Kriterium hierfür kann nur im Charkter des Tanzes liegen.
(...)
Zusammen mit dem Tanz von "Santa Cruz" gehört der Tanz "des heiligen Gonçalo" zu den wichtigsten Volkstänzen katholischer Prägung Brasiliens. Im Gegensatz zum Tanz des Heiligen Kreuzes, der ein Dokument alter jesuitischer Missionsarbeit darstellt, ist der Sankt Gonçalo-Tanz ein ausgesprochener Kulttanz, dessen Betrachtung nur unter Berücksichtigung der volkstümlichen Eigenarten brasilianischer Heiligenverehrung erfolgen kann. Die Begründung zur tänzerischen Verehrung des Heiligen Gonçalo kann in den in zahlreichen Varianten vorhandenen Legenden gefunden werden, welche Episoden aus der Geschichte des Heiligen frei interpretieren. Gläubige feiern und tanzen mit erhabener Intention bei festlicher Stimmung, so wie der hl. Gonçalo von Amarante (ca. 1187-1259) im Leben Begegnungen vergnüglicher Art veranstaltete, um eine christlich orientierte Lebensführung zu erzielen. Der Sankt Gonçalo-Tanz ist portugiesischen Ursprungs und in Brasilien seit dem 18. Jahrhundert dokumentarisch belegt.
Die für die Volksfrömmigkeit Brasiliens charakteristische Verflechtung der weltlichen und sakralen Sphären in der religiösen Praxis tritt bei der Gonçalo-Verehrung augenfällig in Erscheinung.
(...)
Die Tradition des Sankt Gonçalo-Tanzes, der in der Vergangenheit vor allem in Kirchen mit Gonçalo-Patrozinium in Brasilien gepflegt wurde, besteht heute sowohl in ländlichen als auch in vorstädtischen Gebieten. Sein Vorkommen wurde bereits in verschiedenen Regionen Brasiliens festgestellt, besonders intensiv erscheint die Verehrung des hl. Gonçalo im Nordosten des Landes, in den Bundesstaaten São Paulo, Minas Gerais und Paraná sowie in Zentrl-Brasilien, was für die große Verbreitung des Tanzes spricht. Noch 1973 konnte vom Verfasser eine Aufführung des Tanzes mit Teilnahme zahlreicher Gläubigen im Stadtviertel Vila das Palmeiras in São Paulo beobachtet werden, ein Beweis für das Fortbestehen des Kulttanzes innerhalb des metropolitanischen Komplexes der Großstadt.
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In der Gebärdensprache des Sankt Gonçalo-Tanzes kommt eine reiche Symbolik zum Ausdruck, die auf den kultischen Chrakter des Tanzes Bezug nimmt. Hinzuweisen ist beispielsweise auf die Haltung der Mitwirkenden beim Gebet, die - mit der linken Hand auf der Brust und mit halb geöffneter rechten Hand bei leicht gebeugtem Arm - eine Bittstellung ausdrücken zu wollen scheinen. (...) Zahlensymbolik spielt sowohl im formalen Aufbau des Tanzes als auch bei der Zahl der Mitwirkenden eine Rolle. Die in einigen Varianten anzutreffende Zahl 12 wird zum Teil in Bezug zu der Zahl der Apostel gesetzt, zum Teil auf die Zahld er von Gonçalo bekehrten Frauen zurückgeführt.
(...)
Zwei Momente fallen bei der Betrachtung der Tradition des Sankt Gonçalo-Tanzes auf: einerseits das sittliche und andererseits das religiöse. Zum einen sind sittlich-moralische Maßnahmen bei der Auswahl der Tanzenden zu beobachten. Je nach Ort und Region werden nur Jungfrauen, verheiratete Frauen oder Männer zum Tanz zugelassen. Zumindest tanzen beide Geschlechter, falls sie gemeinsam eingeladen werden, in getrennten Reihen. auch bei der volkstümlichen Interpretation der Geschichte des Heiligen spielt der sittlich-moralische Hintergrund des seelsorgerischen Beistandes des Gonçalo zu Menschen mit leichter Lebensweise eine wichtige Rolle. Außerdem ist der Glaube an die wunderwirkende Hilfe des Heiligen bei verzweifelten Fällen eheloser bzw. heiratswilliger Menschen verbreitet.
Der religiöse Aspekt zeigt sich zum anderen in der Auffassung, daß die Verhaltensweise des Hl. Gonçalo eine Bußleistung darstellte. Dementsprechend wird die Veranstaltung des Tanzes heute als Erfüllung eines dem Heiligen gegebenen Versprechens angesehen, das gewissenhaft ausgeführt wird. Das Verantwortungsgefühl für die Erfüllung des Versprechens wird so stark empfunden, daß es im Todesfall sogar auf die Nachkommen übertragen wird. Bezeichnenderweise wird meistens ausdrücklich vor dem Beginn des Tanzes darauf aufmenrksam gemacht, daß es sich um eine religiöse Haltung handelt, die Respekt und Stille erfordert.
(...)
Ein 1965 durchgeführtes Experiment erbrachte die Bestätigung, "daß tänzerische Bewegungen (...) durchaus als Medium der Andacht wirksam werden können, als Ausdruck bei den Ausübenden sowohl wie als Eindruck bei den Zuschauenden". Eine tanzethnologische Beschäftigung mit den fragen nach Bedeutung und Möglichkeiten der körperlichen Bewegung in religiöser Sphäre scheint heute sinnvoll und notwendig.
Vollst. Text in A.A.Bispo (et alii), "Collectanea Musicae Sacrae
Brasiliensis". Jahrbuch Musices Aptatio. Rom, 1981. Bestellungen:
Institut für hymnologische und musikethnologische Studien. Haus
der Kirchenmusik. Maria Laach. Bundesrepublik Deutschland.