Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria científica
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N° 73 (2001: 5)


 

Brasil 2001
Colóquio/Kolloquium

ZUR ERÖFFNUNG EURO-BRASILIANISCHER ARBEITEN IM 21. JAHRHUNDERT
ABERTURA DOS TRABALHOS EURO-BRASILEIROS NO SÉCULO XXI

9.-11. Februar 2001
9 a 11 de fevereiro de 2001

Akademie Brasil-Europa
Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes Instituto Brasileiro de Estudos Musicológicos
Sociedade Brasileira de Antropologia da Música

Wissenschaftliche Leitung Dr. A. A. Bispo- Org. Dr. H. Hülskath

em cooperação com/in Zusammenarbeit mit:

Musikwissenschaftliches Institut der Universität zu Köln - Hauptseminar "Die Musik Brasiliens"

*
Musikethnologische Sektion
des Instituts für hymnologische und musikethnologische Studien

*

Seehotel Maria Laach

 

Zum Beginn des 21. Jahrhunderts

Stimmen der Vergangenheit

Francisco Curt Lange

 

Die lateinamerikanische Kirche kann auf eine ausserordentlich intensive Missionsarbeit zurückblicken. Die europäische Kirchenmusik wurde sofort nach der ersten Entdeckungsphase und mit Beginn der Kolonisationsperiode unter den Indianern eingeführt, deren ausserordentlich starke Veranlagung zur Musik die Möglichkeiten zu einer Massenkonversion sehr erleichterte. Die Einbeziehung der Indianer in die Ausführung katholischer Kirchenmusik in den Städten, als Sänger und Instrumentalisten, war dermassen erfolgreich, dass die errichteten Musikschulen den Andrang der Indianer zu ihrer professionellen Ausbildung zurückweisen mussten. Der musikliebende Indiander identifizierte sich mit dieser neuen Musiksprache, d.h., mit der der Spätrenaissance und des Barock dermassen, dass er sie gewissermassen erlebte, in sich aufnahm und meisterhaft wiederzugeben verstand. Dies bedeutete andererseits, dass er seine alten Kultgesänge und - tänze aufgab. Dieser Prozess verlangt besondere Studien anthropologischer, sozialer und materieller Art, die wir hier nicht weiter erörtern. Nur soll betont werden, dass der Indianer sich in einen Träger europäischer Musikkultur verwandelte, die sich von Mexiko, Guatemala, Cartagena, Bogotá, Quito, Lima, Cuzco, Arequipa bis nach Chuquisaca (Sucre) weit verbreitet hat und in den ersten zwei Jahrhunderten eine überragende Stellung einnahm, und sich, mit Teilnahme der Mestizen - wie systematische Forschungen in den Kirchenarchiven zeigen - zuweilen bis zum heutigen Tage erhalten hat.

Trotz vieler Verluste ist der Reichtum der bestehenden Sammlungen überwältigend und die Werke der heute so geschätzten Tonsetzer von grosser Bedeutung. Man soll nicht vergessen, dass diese Bewegung in der letzten Zeit durch die historische Musikwissenschaft Lateinamerikas gefördert worden ist und einem breiten Spektrum der Bevölkerung diese Werke wieder zugänglich machen konnte.

Die erwähnte aussordentlich grosse musikalische Veranlagung fand in den Missionsorten der Jesuiten im La Plata-Gebiet ein ganz besonderes Gepräge. Zu welchem Grade sich selbst kürzlich konvertierte Indianergruppen nicht nur der europäischen Kultmusik und dem Spiel mannigfaltiger Musikinstrumente hingaben, beweisen die Berichte der Patres Sepp und Paucke. Auch die Wiederentdeckung des Domenico Zipoli, dessen Eintritt in den Jesuitenorden Spaniens und Aufenthalt in Córdoba (Argentinien) von F. C. Lange bewiesen werden konnte, trägt zu diesem Eindruck bei. Die isoliert liegenden Pueblos de Misiones gestatteten keinerlei Kontakt mit der weissen Bevölkerung, um dessen negativen Auswirkungen durch die Laster der Weissen entgegenzuwirken, aber des öfteren traten dort unter der Obhut der geistlichen Vorsteher Chor-und Orchestergruppen aus Buenos Aires, Santa Fe und Córdoba auf, wofür grosse Entfernungen auf dem Landwege oder den Flüssen zurückgelegt werden mussten. Damit wollte man die Resultate einer systematischen Musikerziehung vor den kirchlichen und den Verwaltungautoritäten vor Augen führen, die mit grösster Begeisterung diese Darstellungen begrüssten. Die Auflösung des Ordens führte zu einem plötzlichen, unerwarteten Stillstand dieser fast unglaublich erscheinenden Entwicklung. Viele Indianer kehrten in den Urwald zurück, andere blieben bei den eingesetzten Franziskanern oder Mercedariern, sehr wenige begaben sich als Sänger, Musiklehrer und Kapellmeister nach Buenos Aires. Leider konnten von jener Zeit, die von 1608 bis 1787 reichte, nur ganz geringe Teile der unglaublich reichen Archive gerettet werden, die durch systematische Plünderung oder Tropenwürmer zerstört wurden. Aber es bestehen noch heute in der Missionsbezirken von Moxos und den Chiquitos Bestände, die durch die grosse zeitliche Entfernung leider nur halbzerstört aufgedeckt werden konnten, so die ca. 5500 Seiten Musik umfassende Sammlung unter den Chiquitos.

Die gefundenen Werke können hiermit ein überwältigendes Bild dieser Epoche liefern. Die bisher restaurierten unter ihnen stellen einen Beweis der obengenannten Tätigkeit dar und führten zur Einverleibung in die katholischen Kirchenmusik.

[...]

Ein gänzlich anderes Kapitel führt uns nach Brasilien, wo seit ungefähr 1600 die portugiesische Kirchenmusik in den Regionen des Nordosten (Bahia, Pernambuco) eingeführt wurde. Portugal war durch den Verlust des Spezereienhandels sehr arm und befand sich gegenüber der Riesenfläche Brasiliens nicht in einer Lage, die erlaubte, sich fördernd einzusetzen. Mit der relativ späten Entdeckung der Gold- und Diamantenfelder (1680) in dem späteren Staate Minas Gerais, der zum grössten Goldrush der Geschichte wurde, bekam Brasilien zum ersten Male ein geographisch gelegenes Rückgrat, da sich ja bisher die wenigen Städte nur an der Küste entwickeln konnten. Bedingt durch die Ausbeutung der Mineralien bildeten sich am Rande unzählige Ortschaften. Die zahlreichen von Portugal eingewanderten Menschen lehnten jede Handarbeit ab und überliessen den Farbigen auch die Musikausübung. Die Afrikaner wurden zu Tausenden, grösstenteils zur Förderung des Goldes und der Diamenten, als Sklaven eingesetzt. Zugleich wurde während der ersten 50 Jahre die Mitnahme von weissen Frauen von der portugiesischen Regierung der Gefährlichkeit halber, die das nun erschlossene Land darbot, untersagt. So entstand in wenigen Jahrzehnten ein äusserst intensiver Prozess der Mischung zwischen Weissen und Schwarzen, der die Zahl der Mulatten bald diejenige der Weissen übersteigen ließ und die unehelich Geborenen in einer schellen Entwicklung zu einer breit gefächerten Tätigkeit als Handwerker, Bildhauer, Maler und Musiker führte, die sich in Gilden zusammenschlossen. Es mag unmöglich erscheinen, dass die sich entfaltenden religiösen Feiern der prächtigen Kirchenbauten und ihrer Bruderschaften eine Musiktätigkeit hervorriefen, die in der ganzen Welt einzigartig erscheint, sich in glänzender Form entwickelte und zu einer sehr intensiven Kompositionstätigkeit führte. Sie überwanden nicht nur den Barockstil, der sie überwältigend im Inneren und Äusseren der Kirchenbauten und staatlichen Gebäude umgab, sich einem vorklassischen Stil hingebend, sondern bewiesen uns durch ihre Tätigkeit als Tonschöpfer ihre hohe Begabung, die umso mehr erstaunen lässt, als sich diese der Misere entkommen Vollblutmusiker, als Sänger und Instrumentisten beginnend, in weniger als 30 Jahren nicht nur vor den Weissen zu behaupten wussten, sondern eine Tonsprache entwickelten, die einzigartig in der Musikgeschichte dasteht.

Dieser Fall stellt in der Kulturgeschichte Europas einen nicht wiederholbaren Abschnitt einer Epoche dar, die zumindest im Laufe von 100 Jahren 1200 professionelle Musiker hervorbrachte, unter diesen eine Reihe bedeutender Tonsetzer. Diese ethnisch, soziologisch und historisch zu betrachtende Entwicklung besass, wie man jetzt sehen kann, schöpferische Kräfte, die sich auf der Westküste unter den Indianern nicht äusserte. Aus diesem Grunde bedarf die Musik - und auch die Kulturgeschichte von Minas Gerais einer ganz besonderen Beachtung. Die von mir seit 1944 durchgeführten Forschungen sollten eifrigst fortgesetzt werden, um noch viele Schätze der damaligen Zeit ans Licht zu befördern.

Gehalten bei der Konferenz in Köln, im Dezember 1975. Alle Rechte vorbehalten I.S.M.P.S. e.V.

 

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